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Die
Nackten und die Toten
Schonungslos
„Ich
sehe in diesem Krieg die
Umschichtung
historischer Energien.
Es
gibt Völker, bei denen ungenutzte
Kräfte
brach liegen. Diese Völker
können
heute noch auf unserer
Seite
kämpfen, morgen aber
unsere
Feinde sein., und umgekehrt.
Ich
sage Ihnen, Robert, wir stehen
heute
im Mittelalter einer neuen Ära.
Wir
warten auf die Wiedergeburt der
wirklichen
Macht. Wir sind heraus
aus
dem stagnierenden Brachwasser
der
Geschichte.”
(Cummings
zu Hearn)
Kriegsfilme, die sich kritisch
mit den Regeln und Verhaltensweisen des Krieges auseinander setzen, sind rar
– besonders wenn sie in den USA produziert wurden. Insbesondere nach dem Vietnamkrieg
befassten sich viele Regisseure mit dem Desaster dieses Krieges und der Verwicklung
der USA. Der Watergate-Skandal tat ein übriges, um diese kritische
Auseinandersetzung zu fördern. Doch nur wenige Jahre später setzen
andere Leute andere Maßstäbe. Filme wie „We Were Soldiers”, „Black Hawk Down” oder „Pearl Harbor” zogen wieder das in
den Mittelpunkt, was für die einzig verbliebene Weltmacht wichtig war.
Verschrobene Begriffe wie „Ehre”, „Vaterland” usw. rückten spätestens
nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten in den Mittelpunkt der
US-Kriegsfilme.
Auf eine ganz andere Weise setzte
sich 1958 Raoul Walsh in seinem Film „Die Nackten und die Toten” mit dem Krieg
auseinander. Nach dem Roman von Norman Mailer erzählt Walsh die Geschichte
einer Kompanie, die im zweiten Weltkrieg im Pazifik gegen die Japaner operiert.
Im Film geht es um den Kampf um eine Pazifikinsel, die von den Japanern besetzt
ist. Ausgangspunkt der Handlung ist die Tatsache, dass General Cummings (Raymond
Massey) und seine Truppen nur stockend vorwärts kommen – auch angesichts
der Tatsache, dass die japanischen Einheiten von einem schlauen Fuchs von General
geführt werden.
Die Offiziere um General Cummings
führen ein zunächst fast sorgenfreies Leben, werden – im Unterschied
zur Truppe – sehr gut verpflegt und vertreiben sich ihre Zeit auf möglichst
angenehme Weise. Das ändert sich, als Cummings Druck vom Generalstab bekommt.
Er wird beauftragt, einen Spähtrupp auszusenden, der die Insel erkunden
soll, um festzustellen, wo sich die japanischen Einheiten aufhalten. Diese Informationen
wiederum sollen der US-Luftwaffe ermöglichen, die japanischen Stellungen
zu bombardieren, um so den Kampf um die Insel zu gewinnen.
Wir treffen u.a. auf Sergeant
Croft (Aldo Ray), einen abgebrühten Mann, der zwar keine Angst – vor welchem
Einsatz auch immer – hat, der von seinen Leuten nicht mehr verlangt als von
sich selbst, der andererseits aber auch skrupellos genug ist, seine Männer
jederzeit zu opfern. Croft gehört zu jenen Soldaten, die kein Mitgefühl
kennen – weder mit den eigenen Leuten, und schon gar nicht mit den „Japsen”.
Croft ist ein Sadist. Bei der Ausspähung einer japanischen Stellung nehmen
er und seine Leute einen Japaner fest. Croft lässt sich ein Familienfoto
des japanischen Soldaten zeigen, gibt ihm eine Zigarette und etwas zu essen.
Dann schickt er seine Leute weg und erschießt den Gefangenen.
Wir treffen auf Lieutenant Robert
Hearn (Cliff Robertson), einen jungen gut aussehenden Mann, im Privatleben einer,
der die Frauen liebt – und zwar nicht gerade wenige –, als Soldat seine Fähigkeit
zur kritischen Sicht der Dinge nicht verloren hat. Hearn ist persönlicher
Adjutant von General Cummings. Und Hearn lässt keine Gelegenheit aus, Cummings
seine unterschiedliche Sicht der Dinge in diesem Krieg zu erläutern. provokant,
ohne Umschweife, manchmal auch mit leisem Zynismus.
Ein zentraler Aspekt des Konflikts
zwischen Cummings und Hearn durchzieht den ganzen Film: Cummings ist der Meinung,
ein Krieg sei nur zu gewinnen, wenn man nicht nur dem Feind Angst mache, sondern
auch den eigenen Soldaten. Nur, wenn die eigene Truppe Angst habe, wäre
sie kriegsfähig; nur dann bestehe eine Chance, die Kriegsziele zu erreichen.
Absoluter Gehorsam allein genüge nicht. Hearn sieht das ganz anders. Er
will nicht, wie er deutlich sagt, dass seine Leute vor ihm Angst haben. Er plädiert
für ein Vertrauensverhältnis zwischen Offizieren und einfachen Soldaten,
das nur hergestellt werden könne, wenn Mitgefühl und Verständnis
im Spiel seien.
Wir treffen auf weitere Soldaten,
auf Martinez (Henry Amargo), der Croft voll ergeben ist, auf Red (Robert Gist),
einen erbitterten Gegner Crofts, der keine Gelegenheit auslässt, um Croft
zu zeigen, was er von ihm hält, auf Wilson (L. Q. Jones), den Clown der
Truppe, der sich in die Tänzerin Lily (Lili St. Cyr) verliebt hat, auf
Brown (William Campbell), der Sehnsucht nach seiner schwangeren Frau hat und
von Rhidges (James Best) erfahren muss, dass seine Frau bei der Geburt des Kindes
gestorben ist.
Als Cummings Druck gemacht wird,
befiehlt er Crofts Truppe, die Insel zu erkunden, um die japanischen Stellungen
auszukundschaften. Und weil er Hearns Mut, ihm seine Meinung zu sagen, einerseits
zwar schätzt, andererseits Hearn ihn aber provoziert, befiehlt er Hearn,
den Spähtrupp zu leiten. Eine Art Strafversetzung.
Hearn, Croft und dessen Leute
begeben sich mit einem Boot auf die andere Seite der Insel und stoßen
ins Landesinnere vor. Dabei bleiben Konflikte – zwischen Croft und Hearn, weil
Croft nicht dulden will, dass man ihm einen Leutnant vor die Nase gesetzt hat
– nicht aus. Die einen Soldaten stehen auf Crofts, einige andere auf Hearns
Seite. Eine schwierige Aufgabe steht bevor ...
„Ich
versuchte, Ihnen immer
schon
klar zu machen, Robert,
dass
die Moral der Zukunft nur
noch
die Moral der Macht ist,
und
dass der Mann, der sich
damit
nicht abfinden will, verloren
ist.
Etwas aber ist dieser Macht
eigen.
Sie wird immer nur von
oben
nach unten wirken. Und
wenn
sie an irgendeiner Stelle
auf
dem Weg von oben nach
unten
auf Widerstand stößt,
wird
sie den Druck nur noch
verstärken,
um den Widerstand
zu
brechen.”
(Cummings
zu Hearn)
„The Naked and the Dead” ist eine
schonungslose Abrechnung mit dem Krieg, den „Gepflogenheiten” des Krieges und
dem Verhalten derjenigen, die den Krieg für sich selbst zu eigen machen.
Dabei verzichtet Walsh allerdings gottlob auf jegliche plakative Momente. Nein,
er zeigt uns drei Hauptakteure, die in ganz unterschiedlicher Weise in den Krieg
und mit dem Krieg verwickelt sind.
Croft, der es nicht verwinden
konnte, dass seine Freundin ihn betrogen hatte (der Film zeigt dies und anderes
in kurzen Rückblenden), macht sich den Krieg zu seinem eigenen „Heim”.
Er lebt nur für den Krieg und die Armee und die Ziele des Krieges – welche
sie auch seien. In der Figur des Sergeant Croft erhält die Perversität
des Krieges ihre „perfekte” Personifizierung”. Er ist kaltblütig, rücksichtslos
und zugleich einer der besten Vollstrecker der Befehle von oben. Croft kennt
keine Angst, nicht einmal vor seiner eigenen Handlungsweise. Der Tod seiner
Kameraden ist für ihn eine Art Schicksal, eine kalte Notwendigkeit, die
ihn nicht weiter berührt. Es gibt keine Opfer für Craft, nur Kanonenfutter
in den eigenen Reihen. Sein Ziel ist nicht einfach der Sieg über den Feind.
Sein Ziel ist dessen vollständige Zerstörung.
General Cummings denkt aus anderen
Gründen ganz ähnlich. Aber Cummings denkt weiter. Ausgerechnet angesichts
der Bedrohung der Welt durch Hitler und seine Verbündeten reproduziert
Cummings exakt die Vorstellungen des Faschismus, die Hitler dazu bewegten, allen
anderen Mächten den Krieg zu erklären und die Vernichtung anzudrohen.
Für Cummings gibt es nur eine Moral: die der Macht. Wenn aber ausschließlich
die Macht moralisch sein soll, dann sind auch alle Regeln und Merkmale der Macht
ethisch gerechtfertigt. Wenn er betont, dass Macht nur von oben nach unten wirkt,
wird aus dieser Moral die Moral der Diktatur – einer Diktatur, die nicht nach
Zustimmung fragt, die nicht nach Gut und Böse fragt, die überhaupt
nicht fragt. Cummings reproduziert – ohne auf den Rassismus, Antisemitismus,
die dem Faschismus von Hitler eigen sind – den Dezisionismus etwa eines Staatsrechtlers
wie Carl Schmitt („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet”).
Nach Schmitt gibt es nur eine Entscheidung für das Volk zu treffen: die
Entscheidung für das Politische, und diese Entscheidung ist die für
die unumschränkte Macht. Ist diese Entscheidung getroffen, hat das Volk
künftig nichts anderes zu tun, als zu akklamieren. Cummings ist derselben
Meinung. Die Macht legitimiert sich nicht demokratisch, sondern aus ihrem „So-Sein”,
aus ihrer reinen, fast natürlichen Existenz, die man nicht hinterfragen
könne. Letztlich ist es nur der Wille des mit Macht Ausgestatteten, auf
den es ankommt. Wer entscheidet, ist souverän. Was er entscheidet, ist
letztlich gleichgültig. In der Praxis jedoch ist diese (zum Teil auf Thomas
Hobbes zurückgehende) Theorie antidemokratisch und antiparlamentarisch
(Hobbes: „Die Autorität, nicht die Wahrheit, schafft das Gesetz.”). Cummings
reproduziert sie, nicht aus irgendeiner Theorie her, sondern aus seinen Erfahrungen,
die er nicht hinterfragt, hinterfragen will oder hinterfragen kann.
Ganz anders Lieutenant Hearn,
der sich Cummings Reden und Akklamationen geduldig, kritisch und mit einer sanften,
aber deutlichen Portion Sarkasmus anhört. Als er dahinter kommt, warum
Cummings so denkt und dieser dies merkt, wird er von Cummings zum Leiter des
Himmelfahrtskommandos befohlen. Hearn verabscheut den Krieg. Aber er weiß
auch, dass er und die anderen ihm nicht mehr entweichen können. Daher will
er, dass zwischen ihm als Vorgesetztem und seinen Leuten Vertrauen besteht,
Vertrauen und jene Art von Zuneigung, in der sich zeigt, dass auch Soldaten
Menschen geblieben sind. Das, dieses Empfinden ist es, was Cummings nicht ertragen
kann.
Walsh siedelt die Handlung genau
in diesem personellen Dreieck an. Das Kampfgeschehen steht nicht im Mittelpunkt
des Films. Walsh verzichtet auf die trügerische Hoffnung, man könne
durch eine vehemente Bebilderung eines Films mit den Grausamkeiten des Krieges
wirklich dem Zuschauer die Realität des Krieges nahe bringen. Er weiß,
dass dies nicht funktioniert. Umso drastischer ist es hören zu müssen,
in welcher Weise Menschen wie Croft und Cummings handeln, denken, fühlen.
Sie und ihr Empfinden sind der Ausgangspunkt jedes Krieges – nicht Diktatoren,
nicht Waffen, nicht Ideologien, die alle nur wirksam werden, wenn es Menschen
wie Croft und Cummings gibt.
Nein, die Bilder dieses Films
zeigen vor allem, welche Folgen das Verhalten von Leuten wie Croft und Cummings
hat. Die schauspielerischen Leistungen von Ray, Robertson und Massey sind in
dieser Hinsicht mehr als zufriedenstellend, und auch die Nebenrollen sind entsprechend
gut besetzt.
„The Naked and the Dead” gehört
zu jenen Kriegsfilmen, die es verdient haben, immer mal wieder gesehen zu werden.
Sie sind aktueller denn je – selbst in einer Zeit der scheinbar nur noch durch
modernste Techniken geführten Kriege. Walsh zeigt, was Krieg aus Menschen
macht und wie Menschen Krieg machen – auf eine unprätentiöse, „simple”,
aber eben nicht simplifizierende Art. Der Film ist frei von jeglicher Landserromantik,
jeglichen falschen Ehrbegriffen. Er ist schonungslos.
Übrigens komponierte Bernard
Herrmann, der auch regelmäßig für Hitchcock arbeitete, die Musik
für den Film. Besonders das Leitmotiv ist beeindruckend und fügt sich
in Handlung und Geschichte hervorragend ein.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Die
Nackten und die Toten
(The Naked
and the Dead)
USA
1958, 131 Minuten
Regie:
Raoul Walsh
Drehbuch:
Denis Sanders, Terry Sanders, nach dem Roman von Norman Mailer
Musik: Bernard
Herrmann
Kamera:
Joseph La Shelle
Schnitt:
Arthur P. Schmidt
Ausstattung:
Ted Haworth, William L. Kuehl
Darsteller:
Aldo Ray (Sergeant Sam Croft), Cliff Robertson (Lieutenant Robert Hearn), Raymond
Massey (General Cummings), William Campbell (Brown), Richard Jaeckel (Gallagher),
James Best (Rhidges), Joey Bishop (Roth), Jerry Paris (Goldstein), Robert Gist
(Red), L. Q. Jones (Wilson), Max Showalter (Dalleson), John Berardino (Mantelli),
Edward McNally (Cohn), Greg Roman (Minetta), Henry Amargo (Martinez)
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