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Der
Name der Rose
Finsternis
bedeckt die Erde ...
Adson:
„Meister, glaubst du, dass das
ein
Ort ist, an dem sich Gott wohl fühlt?“
William:
„Gibt es irgendeinen Ort
auf
der Welt, an dem sich Gott
wohl
fühlt?“
Friedlich
und mächtig liegen sie da. Veränderungen sind kaum spürbar. Der
Blick geht weit hinaus bis an den Horizont. Ein Meer von Bergen und Tälern,
überwölbt vom Himmel. Ein gewaltiger, mächtiger Anblick. Auf
der Erde dagegen ist das Grauen existent, ein heimliches und verstecktes Grauen,
ein verborgenes und mächtiges Grauen, das Grauen der Macht, das immer wieder
zuschlägt – aus dem Hinterhalt, schnell. Zwei Wanderer treffen nach einem
mühsamen, langen Weg in einer einsam in diesen Bergen gelegenen Abtei ein.
Wir schreiben das Jahr 1327. Diese Abtei in den italienischen Bergen ist der
Ort, an dem der Disput zwischen den Kaiserlichen und dem Papst über die
Macht stattfinden soll, an dem Franziskaner und Benediktiner um den „richtigen“
Glauben und die „richtige“ Kirche streiten, an dem der päpstliche Gesandte
und der Inquisitor diese Frage ein für allemal für sich entscheiden
wollen.
William
von Baskerville (Sean Connery) aus England und sein Novize, der junge Adson
von Melk (der 17jährige Christian Slater in seinem dritten Kinofilm) aus
Niederösterreich, treffen in der Abtei ein, weil William an dem Disput
teilnehmen will. Der Abt (Michael Lonsdale) allerdings bittet William auch darum,
ihm bei der Aufklärung des Todes des Mönches Adelmus behilflich zu
sein. Man fand Adelmus entstellte Leiche hinter der Abtei, dort, wohin man die
Abfälle aus der Abtei schüttet, in denen dann die verarmten Bauern
der Gegend noch etwas Essbares suchen.
Jean-Jacques
Annauds Adaption des Erfolgsromans Umberto Ecos gehört zu jenen überzeugenden
Literaturverfilmungen, denen selbst eingefleischte Eco-Fans Tribut zollen. Während
Eco damals immer wieder betonte, sein Roman sei sein Roman, und der Film sei
eben der Film und damit darauf hinwies, dass es nie eine irgendwie geartete
Kongruenz zwischen beiden Kunstformen geben könne, und sich im übrigen
nicht dazu bewegen ließ, in irgendeiner Weise an dem Film mitzuwirken,
legte Annaud sehr viel Gewicht auf ein möglichst authentisches Produktionsdesign
und die Herstellung einer Atmosphäre, die die widerstreitenden kirchlichen
und weltlichen Gegensätze ebenso berücksichtigte wie die Inszenierung
der Geschichte als Kriminalfall.
Dies
gelingt dem Film von Anfang an. Wir treffen auf einen für diese Zeit ungewöhnlichen,
geradezu aufgeklärten Franziskaner, William, der sich weder von apokalyptischen
Visionen, noch von Aberglauben leiten lässt, sondern im Gegenteil von sehr
irdischen Erklärungen für irdische Vorgänge überzeugt ist.
Ihm gegenüber stehen Mönche, u.a. auch sein Glaubensbruder Ubertino
(William Hickey), die den Teufel und biblische Prophezeiungen für die Ursache
der Vorkommnisse halten, und andere Mönche der Abtei, denen es um nichts
anderes geht als: Macht.
Nicht
nur der Buchillustrator Adelmus, auch ein mit ihm befreundeter Mönch, Venantius
(Urs Althaus), einer, der aus dem Griechischen übersetzte, u.a. Aristoteles,
kommt zu Tode. Man findet ihn in einem Bottich mit Tierblut, ertränkt.
Eine in jeder Hinsicht unheimliche Szenerie tut sich auf. Während sich
Adelmus offensichtlich wirklich selbst getötet hatte, wurde Venantius ermordet.
William und Adson – und wir – treffen
– auf
den glatzköpfigen Berenger (Michael Habeck), der etwas zu wissen scheint,
was William weiter helfen könnte.
– auf
den ein merkwürdiges Kauderwelsch brabbelnden, fast zahnlosen und buckligen
Salvatore (Ron Perlman in einer Glanzrolle), der genau beobachtet, von den anderen
Mönchen eher gemieden wird, weil er einmal zu einem Orden gehörte,
der Reiche bestahl und tötete, ein „Ketzer“, der sich bekehren ließ,
oder besser: der so schlau war, sich als Bekehrten darstellen zu können,
um dem Scheiterhaufen der Inquisition zu entgehen.
– auf
Remigio (Helmut Qualtinger), der große Angst zu haben scheint vor dem
Unheimlichen, das in der Abtei geschieht, William aber dennoch in den Turm führt,
der zur verschlossenen Bibliothek führt.
– auf
Malachias (Volker Prechtel), den Vorsteher des Scriptoriums, in dem einige Mönche
arbeiten und in dem sich nur sehr wenige Bücher aus der Bibliothek finden,
einen verschlossenen, William sehr distanziert gegenüber tretenden Mönch,
der ihm den Zugang zur Bibliothek verweigert.
– und
auf den alten Jorge de Burgos (Feodor Chaliapin Jr.), einen Mönch, der
das Lachen verurteilt, der William davor warnt, Lachen sei eines Mönches
unwürdig. Es verzerre das menschliche Gesicht zum Antlitz eines Affen.
Nachdem
William, von Remigio heimlich in den Turm gelassen, einen Zettel entdeckt, auf
dem mit Zitronensaft geschriebene Zeichen stehen, findet man kurze Zeit später
auch Berenger in einer Badewanne tot auf. Ein Geheimgang führt William
und Adson in die verwinkelte, von etlichen Gängen durchzogene, wie ein
Labyrinth angelegte Bibliothek. Unterdessen trifft der Inquisitor Bernardo Gui
(F. Murray Abraham) mit Gefolge in der Abtei ein und versucht, William, seinem
alten Gegner, einen Strich durch die Rechnung zu machen: Er will Remigio und
Salvatore für den Mord an einem weiteren Mönch, dem Kräuterexperten
Severinus (Elya Baskin), der etwas Wichtiges zur Aufklärung der Morde entdeckt
hatte, auf den Scheiterhaufen bringen und zudem den anstehenden Disput ein für
allemal für den Papst und die heilige Inquisition entscheiden ...
„Lachen
tötet die Furcht.
Und
ohne Furcht kann es
keinen
Glauben geben.“
(Jorge
de Burgos)
Umberto
Ecos Roman, aber auch Annauds Film sind mehr als eine mittelalterliche Kriminalgeschichte.
Eco rechnet offensichtlich mit dem „finsteren“ Mittelalter ab. Im Film wird
dies einerseits durch den fanatischen Jorge de Burgos, andererseits durch den
Inquisitor repräsentiert. Ihr Gegenspieler William vertritt – obwohl man
ihm insbesondere von seinen franziskanischen Ordensbrüdern Arroganz und
Besserwisserei vorwirft – einen Standpunkt, der sich schon fast der Jahrhunderte
später erst eintretenden Aufklärung genähert hat. In einer Mischung
aus Sherlock Holmes und sich auf Aristoteles berufendem, die Inquisition und
den Aberglauben ablehnendem Mönch, der sich von seinem Weg nicht abbringen
lässt, versucht er, seinem Novizen Adson in eine Welt einzuführen,
die von Hass und Macht geprägt ist, damit sich Adson in dieser Welt zurecht
finden kann. Dabei ist Williams Erziehung keine, die Adson „auf den rechten
Weg“ führen soll. William zeigt Adson „nur“, welche Möglichkeiten
in dieser finsteren Welt für ihn bestehen. Die Entscheidung, welchen Weg
er geht, muss Adson selbst treffen.
Als
Adson auf der Suche nach Berenger ein junges Mädchen trifft, das ihn verführt,
verurteilt ihn William deswegen nicht. Auch dies, die Verbindung mit einer Frau,
stellt er Adson als einen möglichen Weg dar, auch wenn er deutlich werden
lässt, dass er selbst von diesem Weg nicht viel hält.
Zugleich
– auch dies zeigt der Film – hätte William trotz seiner fortschrittlichen
Überzeugungen im ihm umgebenden Meer von kirchlicher Verfolgung und Unterdrückung
keine Chance gegen Jorge und Bernardo Gui, wenn nicht die armen Bauern ihrerseits
wegen der von Gui geplanten Verbrennung auch des jungen Mädchens auf die
Barrikaden gegen die Inquisition gehen würden.
Annauds
Film lebt zudem – neben der exzellenten Besetzung bis in die Nebenrollen – von
der Entfaltung einer geheimnisvollen, dunklen, angsterfüllten Atmosphäre,
in die nur William Licht eindringen lässt. Zu den Höhepunkten des
Films zählen (nicht nur im visuellen Sinn) der Disput zwischen Franziskanern
und der päpstlichen Seite, der Prozess, die Szenen, in denen William und
Adson durch die Bibliothek gehen, um das verschwundene, wohl einzige Exemplar
des zweiten Buches der Poetik des Aristoteles über die Komödie zu
finden, aber auch viele Einzelszenen, wie der Fund des im Bottich ertränkten
Mönchs oder die Scheiterhaufen-Szene. Ausstattung und Kostüme ergänzen
dieses insgesamt homogene Bild.
DVD
Sprachen:
Deutsch (Dolby Digital 5.1) Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel
und Untertitel für Hörgeschädigte: Deutsch, Englisch;
Bildformat:
16:9, 1.85:1
Dolby,
Special Edition, Surround Sound, PAL
DVD
Erscheinungstermin: 6. August 2004
Die
von Warner-Bros. 2004 herausgebrachte Special Edition mit zwei DVDs gehört
wohl mit zu den besten DVD-Editionen. Sie präsentiert nicht nur den (von
Bernd Eichinger produzierten) Film in einer zumeist (neben wenigen altersbedingten
Schwächen) exzellenten Bild- und Tonqualität, ergänzt durch zwei
Original-Kommentare des Regisseurs, allerdings „nur“ in englischer und französischer
Sprache ohne Untertitel. Der englische Kommentar ist (trotz französischem
Akzents Annauds) gut verstehbar und bietet aufschlussreiche Detailinformationen
zum Film, zur Produktion usw. Zum französischen Kommentar kann ich nichts
sagen, da ich der Sprache nicht mächtig bin.
In
einer Art Making Of unter dem Titel „Die Abtei des Verbrechens“ aus dem Jahr
1986 (44 Minuten) werden erste Hintergrundinformationen zum Film geliefert.
Dieses in seiner Machart aus heutiger Sicht manchmal etwas „verstaubt“ wirkende
Making Of informiert u.a. über die Drehorte: das Weingut Eberbach, ein
ehemaliges Zisterzienserkloster, in dem die Innenaufnahmen gemacht wurden, über
die Außenaufnahmen in Italien und Dante Ferrettis wundervoll gestaltete
Klosteranlage und ebenso glänzend „gezimmerte“ Bibliothek. Der französische
Historiker überprüfte übrigens Ausstattung und Dialoge auf historische
Stimmigkeit.
Eine
16 Minuten lange „Photo-Video-Journey“ mit Annaud schließt die erste Disc
ab. Sie besteht aus weiteren Detailinformationen, die durch kurze Filmaufnahmen
und Bilder ergänzt wird.
Die
zweite Disc enthält eine umfangreiche, 2004 entstandene, aus zwei Teilen
bestehende Dokumentation unter den Titeln „Die Genesis“ (55 Minuten) und „Die
Schlüssel zum Labyrinth“ (60 Minuten), in der Annaud – ergänzt durch
Zwischentexte, Filmmaterial und Dokumente – sozusagen bis in alle Einzelheiten
über die Entstehung des Films, Schauspieler usw. erzählt. Trotz einiger
Wiederholungen gehört diese Dokumentation zum besten, was ich bislang als
Bonusmaterial zu einem Film gesehen habe.
Derzeit
bekommt man diese Special Edition für € 9,97 (amazon) bzw. € 9,99 (bei
jpc) (Stand: 15.5.2005).
Wertung
Film: 10 von 10 Punkten.
Wertung
DVD: 10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Der
Name der Rose
(Le
nom de la rose)
Frankreich,
Italien, Deutschland 1986, 130 Minuten
Regie:
Jean-Jaques Annaud
Drehbuch:
Andrew Birkin, Gérard Brach, Howard Franklin, Alain Godard
Musik:
James Horner
Kamera:
Tonino Delli Colli
Montage:
Jane Seitz
Produktionsdesign:
Dante Ferretti
Darsteller:
Sean Connery (William von Baskerville), Christian Slater (Adson von Melk), Helmut
Qualtinger (Remigio da Varagine), Elya Baskin (Severinus), Michael Lonsdale
(Abt), Volker Prechtel (Malachias), Feodor Chaliapin Jr. (Jorge de Burgos),
F. Murray Abraham (Bernardo Gui), William Hickey (Ubertino da Casale), Michael
Habeck (Berenger), Urs Althaus (Venantius), Valentina Vargas (Mädchen),
Ron Perlman (Salvatore), Leopoldo Trieste (Michele de Cesena), Andrew Birkin
(Cuthbert von Winchester), Lucien Bodard (Kardinal Bertrand)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0091605
©
Ulrich Behrens 2005
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