zur startseite
zum archiv
Nanny
Diaries
Diorama
Queen
Wer ab und zu ins Naturkundemuseum geht,
der kennt die Faszination, die ein Diorama auf den Menschen ausübt – ein
Stück Realität, akribisch nachgebaut und hinter Glas zur Ewigkeit
erstarrt. Man möchte durch das Glas hindurchsteigen und die imaginäre
Welt auf der anderen Seite betreten, weil sie so lebendig aussieht und gleichzeitig
in ihrer Erstarrung so nostalgisch wirkt. Man kann stundenlang vor solchen Schaukästen
stehen, und man spürt dabei die gleiche Art von traumverlorener Sehnsucht,
wegen der man auch ins Kino geht – das Interesse am Leben bei gleichzeitiger
Abwendung vom selbigen.
Es ist schon fünf Jahre her, dass
das Buch »The Nanny Diaries« in Amerika Furore machte. Zwei Studentinnen,
die jeweils vier Jahre als Kindermädchen bei stinkreichen Upper-East-Side-Familien
gedient hatten, kondensierten ihre Erfahrungen zu einem bösen Roman. Die
Kombination aus Günther-Wallraff-Recherche und dem Blick in eine interessante
Welt sorgte für einen Hit und öffnete die Tür für eine Reihe
ähnlich gelagerter Bücher, zu denen auch »The
Devil Wears Prada«
gehörte. Klar, dass da auch ein Film nachkommen musste, der erst jetzt
in Deutschland startet, nachdem er in Amerika im vorigen Jahr kein besonderer
Erfolg war.
Dabei fängt er vielversprechend an,
nämlich mit Scarlett Johansson, zur Abwechslung brünett statt blond.
Sie hat im Nebenfach Anthropologie studiert, spaziert mit uns durchs Naturkundemuseum
und erklärt uns, dass alle menschlichen Gesellschaften nach bestimmten
Regeln funktionieren, die Pygmäen ebenso wie die New Yorker. Diese Szenen,
in denen die Welt sich plötzlich in einen Schaukasten verwandelt, sind
die besten des Films, denn aus ihnen spricht die Lust am genauen Hinsehen und
Zergliedern, die Geschichten wie diese erst interessant macht. Annie oder Nanny,
wie sie bald nur noch heißt, kommt frisch von der Uni, verhaut ein Vorstellungsgespräch
bei einer Finanzfirma, kollidiert im Central Park mit einem Fünfjährigen
und wird Knall auf Fall zum Kindermädchen befördert. Ihr Schützling
ist ein verwöhntes kleines Monster, doch Annie kommt bald mit ihm klar.
Deutlich schlimmer ist die Mutter, die überkandidelte, psychotische, frustrierte
Ms. X, wundervoll gespielt von Laura Linney, die Annies ganzes Leben mit Beschlag
belegt. Es gibt einen Regelkatalog, gesunde Ernährung mit viel Tofu, Französischunterricht,
nicht zuletzt auch ein allwöchentliches Nanny-Seminar, in dem die gestressten
Society-Mütter die Probleme mit ihren Nannys aufarbeiten. Paul Giamatti
legt einige wilde Auftritte hin als fieser Workaholic-Vater, der im Leben seiner
Familie kaum auftaucht und daher auch im Film meist außerhalb des Bildes
agiert. Und schließlich, das darf in einem Scarlett-Johansson-Film nicht
fehlen, gibt es noch einen netten Nachbarn, der unter »Harvard-Hottie«
firmiert und auch so aussieht, nämlich wie ein smarter Vollidiot.
Und da wäre das Problem des Films
einigermaßen eingekreist. Er will zu viel. Die Szenen, in denen die reiche
New Yorker Oberschicht mit Verve in die Pfanne gehauen wird, und das ist immerhin der Hauptstrang, sind großartig. Die
Phantasiereisen, die der Film sich erlaubt, sind sehr schön. Die Szenen
mit dem Kind sind schon etwas zu zuckrig, die Nebenhandlung mit Annies sorgenvoller,
alleinerziehender Middle-Class-Mom, die im entscheidenden Moment rettend eingreift,
ist so lala, und bei der Romanze mit Harvard-Hottie ist endgültig der Ofen
aus, da rutscht der Film ab und verwandelt sich in eine belanglose Teenie-Schnulze
aus der Zeit, als Teenies noch naiv waren. Die Dioramen im Naturkundemuseum,
mit denen der Film so vielversprechend anfängt, tauchen leider später
kaum mehr auf, stattdessen passiert viel Romanzen-Routine. Die Schärfe,
die das Buch schon deshalb hatte, weil man davon ausgehen mußte, dass
es sich um echte Personen handelte, geht bei der Übertragung ins Medium
Film verloren – nicht nur, weil es jetzt halt eindeutig Fiktion ist, sondern
auch weil die Filmemacher insgesamt zu allen Figuren zu nett sind.
Nanny Diaries
wurde in gewissen Kreisen mit Spannung erwartet, weil Shari Springer Berman
und Robert Pulcini, das Buch/Regie-Duo, zuvor mit American
Splendor ein Independent-Meisterwerk
hingelegt hatte. Bei ihrem neuen Film waren sie vermutlich in der gleichen Situation
wie ihre Hauptfigur: Sie durften bei reichen Leuten auf das Baby aufpassen,
aber natürlich durften sie mit ihm nicht machen, was sie wollten. Dafür
haben sie sich durchaus gut aus der Affäre gezogen. Man hat ausreichend
Spaß. Aber man hat trotzdem in letzter Zeit ähnlich gelagerte Zielgruppenfilme
aus der Mitte des Mainstreams gesehen, die entschlossener zur Sache gingen,
obwohl kein Regisseur mit Arthouse-Hintergrund am Werk war.
Dietrich Brüggemann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im schnitt Nr. 51
Nanny
Diaries
The
Nanny Dairies.
USA 2006. R,B,S: Robert Pulcini. R,B:
106
Min. Central ab 14.8.08
zur startseite
zum archiv