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Napola
– Elite für den Führer
Es
ist wohl einer der kitschigsten Suizide, die der deutsche Film seit einer Weile
hervorgebracht hat: Der Selbstmörder schwimmt unter eine Eisscholle und
lässt sich absinken auf den Grund des Wassers. Davor legt er – von unten
– seine Hand an die Eisschicht, auf der anderen Seite trifft sie die Hand des
Freundes, der auf dem Eis kniet und dem Unglücklichen hinterherweint. Ein
beliebtes Kinomotiv, die beiden Hände am Glas, die sich berühren und
doch getrennt sind, so in etwa, wie der Zuschauer die Filmwelt berührt
und doch die Leinwand eine unsichtbare Grenze zieht. Mit der Übertragung
des Motivs auf die Eisschicht wird das ohnehin schon melodramatische Motiv der
trennenden Scheibe noch verstärkt, die Welten über und unter dem Eis,
sie könnten kaum unterschiedlicher sein. Gansel macht damit auch nach,
was schon viele vorgemacht haben: Die Grauen des Nationalsozialismus erzählt
er als Melodram, als individuelles Schicksal Einzelner.
Das
Buch von Napola –
vor der Realisierung ausgezeichnet mit dem Deutschen Filmpreis für das
beste unrealisierte Drehbuch 2003 – erinnert streckenweise verblüffend
stark an Mikael Hafströms Evil. Dort
war es ein Internat der 50er Jahre, in dem der Faschismus überlebt hatte,
hier ist es eine 'Napola' ('Nationalpolitische Erziehungsanstalt') des 'Dritten
Reichs', in der die Protagonisten ihre Jugend verbringen. Mit Napola –
Elite für den Führer zeichnet Gansel jedoch ein weit optimistischeres
Bild, als Hafström es in Evil skizzierte.
Es geht um Friedrich (Max Riemelt, vor kurzem ausgezeichnet als deutscher Shooting
Star 2004), den sein Boxtalent auf die Napola bringt
– gegen den Willen seines Vaters, dessen Unterschrift er fälscht, um den
begehrten Platz an der Eliteschule antreten zu können. In Evil waren
es die Schüler der Oberstufe, die ein faschistoides System aufrecht erhielten
– in Napola sind
es die Lehrer. Eine signifikante Verschiebung ist das, denn das Aufbegehren
gegen den Lehrer, gegen die fremde Generation, es scheint leichter, natürlicher.
Der Held in Evil, er
musste schließlich die wohl schlimmste Niederlage einstecken, indem er
seine pazifistische Position aufgab und nur noch mit Gewalt auf die Gewalt antworten
konnte. Einer der schlimmsten Siege ist das, die ein totalitäres System
feiern kann: Den friedlichen Gegner zum Krieg zu bringen.
In
Napola ist
es umgekehrt: Der Boxer Friedrich wird mit der Zeit zum Pazifisten, er erkennt
unter schwersten persönlichen Verlusten die Unmenschlichkeit des Systems.
Wenn er am Ende der Napola den
Rücken kehrt, ausgeschlossen, weil er sich weigerte, all das 'anerzogene
Mitleid' seinen Gegnern im Boxring gegenüber abzulegen, wie von ihm gefordert,
dann hat Gansel von jemandem erzählt, der den Faschismus besiegt hat. Gansels
Optimismus ist sicherlich schön anzusehen, aber auch ein wenig naiv. Eine
richtige Idee ist das, dass auch in einem faschistischen System sich – wie von
selbst – das Aufbegehren bilden muss, die Menschlichkeit siegen sollte in jedem
Einzelnen. Konsequenter hat Hafström es ausgesprochen in seinem Film, dass
und warum es so gut wie nie geschehen ist.
Napola garniert
seine Geschichte mit einer klischeebeladenen Jungenfreundschaft, mit unnötigem
Melodrama und mit zweidimensionalen Charakteren: Albrecht (Tom Schilling) ist
derjenige, der Friedrich zum Umdenken bringt. Als Sohn des lokalen Gauleiters
mit hohen Erwartungen bedacht, will er doch eigentlich nur Aufsätze schreiben
für die Schülerzeitung, sich der Literatur hingeben oder der Philosophie.
Statt dessen wird er gemeinsam mit anderen Jugendlichen zum Mörder gemacht,
wenn er in einer nächtlichen Aktion auf die Jagd nach flüchtigen russischen
Soldaten geschickt wird, kaum älter als er selbst. Zu einfach geht hier
alles vonstatten – zu einfach der Grenzverlauf zwischen Gut und Böse, zu
einfach die Trennung von angehendem Jungintelektuellem und derben, finsteren
Nationalsozialisten. Die dunklen Geheimnisse der Napolas und des ganzen terroristischen
Nazi-Regimes, sie verflachen bei Gansel zu einer Internatsgeschichte mit pädagogischem
Anspruch. Warum sich junge Menschen zu Tausenden in Tötungsmaschinen verwandeln
ließen, warum eine ganze Nation zu Mitläufern wurde, darauf hat auch
Napola nicht
einmal den Ansatz einer Antwort. Evil hat
es sich vielleicht auch leichter gemacht mit seiner Verschiebung des Geschehens
in die Nachkriegszeit, die entscheidenden Fragen konnte er damit umgehen. Vielleicht
ist auch einfach Napola ein
neuerliches Indiz dafür, dass man dem Thema des selbsternannten 'Dritten
Reichs' schlecht beikommen kann mit den Mitteln tradierter Formen des Erzählkinos,
ein neuerlicher Ruf nach einer experimentelleren Erzählweise, die es schafft,
die Abgründe und Fissuren des Themas auch in die Form des Films zu übertragen
und den vermeintlichen Realismus viel zu vieler Filme zu überwinden.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
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diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Napola
- Elite für den Führer
Deutschland
2004 - Regie: Dennis Gansel - Darsteller: Max Riemelt, Tom Schilling, Devid
Striesow, Joachim Bißmeier, Justus von Dohnányi, Michael Schenk,
Florian Stetter, Alexander Held - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
115 min. - Start: 13.1.2005
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