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Napoleon
Dynamite
Jared
Hess' Low-Budget-Hit über einen Nerd aus
In dem Teil Amerikas, wo sich das großspurige
Versprechen, dass jeder, der will, es auch zu etwas bringen kann, längst
in einer sich unendlich weit erstreckenden, immer gleich aussehenden Landschaft
aus massenkultivierten Agrarflächen, Getreidesilos und Fertighäusern
verloren hat, ist Napoleon Dynamite zu Hause. Napoleon Dynamite ist ein Teenager,
der - man muss das wirklich gesehen haben, um es zu glauben - aussieht, als
wäre er direkt aus einem Todd-Solondz-Film in Die
Rache der Eierköpfe hineingestolpert.
Mit offenem Mund, die Lider ständig auf Halbmast, blickt Napoleon in eine
Zukunft, von der er nichts zu erwarten hat. Sein Bruder Kip, ein 32-jähriger
Hänfling, mit dem er bei der Großmutter lebt, verbringt die meiste
Zeit des Tages in virtuellen Chatrooms, auf der Suche nach "babes".
Auch Napoleon ist ein Träumer, nur mit einer
weniger ausgeprägten passiven Aggressivität. Zum Dank kriegt er dafür
in der Schule jeden Tag eine Abreibung verpasst. Aber Napoleon hat sich in dieser
harschen Realität der täglichen Erniedrigung ein kleines Refugium
errichtet, in dem seine Würde unantastbar bleibt; wenn er abschalten will,
malt er mit Engelsgeduld Fabelwesen in sein Notizbuch: furzende Einhörner,
Wolverine und sein Lieblingstier, den Liger (eine Mischung aus Löwe und
Tiger). Im Gegensatz zu seinen Mitschülern - den jocks und bullies, den Cheerleader-Mädchen, den Prom-Queens,
den Strebern und religiös verbrämten Klemmis - hat er längst
begriffen, dass keiner von ihnen je aus diesem Kaff in Idaho herauskommen wird.
Regisseur und Autor Jared Hess hat mit Napoleon Dynamite
eine Kultfigur geschaffen, die ganz unvermittelt den Nerv der MTV-Generation
getroffen hat. Allein in den USA spielte Napoleon
Dynamite über 50 Millionen Dollar
ein. Hemmungslos peinlich, geistig unterbelichtet, sozial retardiert und versehen
mit diversen körperlichen Tics ist Napoleon die personifizierte Verweigerungshaltung
einer Jugend, die sich Zwängen der Leistungsgesellschaft und der überkommenen
Werteordnung ihrer Eltern schier überfordert fühlt. Napoleon offeriert
mit seinem sozial bedingten Stupor ein Rollenmodell, das vor ihm bereits Beavis
und Butthead erfolgreich bis an die Grenzen der Belastbarkeit ausgetestet haben.
Doch Napoleon ist keine Comicfigur, auch wenn Hess
ihm kaum Möglichkeiten zur Entfaltung gibt. Die meiste Zeit steht Jon Heder
als Napoleon mit seiner albernen Minipli-Frisur und seinen hässlichen Moonboots
ausdruckslos in der Gegend herum, bis er in der Landschaft zu verschwinden droht.
Es gibt jedoch seltene Momente in Napoleon
Dynamite, in denen in Napoleons ungelenken
Aktionen eine intuitive Schläue zum Vorschein kommt, und wenn es nur ein
Anflug von gutem Geschmack ist, der ihn von seinen ahnungslosen und emotional
brutalisierten Klassenkameraden unterscheidet. Der braune Anzug, den er sich
zum Schultanz im Second-Hand-Laden besorgt, ist so ein Beispiel. Und natürlich
das große Finale: Wenn er zur Wahlkampfunterstützung seines einzigen
Freundes Pedro eine sensationelle Tanz-Performance zu Jamiroquai aufs Parkett
legt, während seine blöden Mitschülerinnen zu den langweiligen
Backstreet Boys mit den Hüften wackeln, dann beginnt man zu ahnen, dass
da ein Rest von Glamour in diesem grotesken Körper schlummert, der noch
nicht von seiner giftig-bösen Umwelt abgetötet wurde.
So durchläuft auch das ereignislose Leben Napoleon
Dynamites minimale Veränderungen, auch wenn es am Ende nicht zum Bildungsroman
reicht. Die lähmende Weitläufigkeit des Mittelwestens und die abstrusen
regionalen Eigenarten, von Hess in überaus pointierten Beobachtungen festgehalten,
überdecken alles Menschliche in diesem amerikanischen Trauerspiel. Dem
ist nur als Farce beizukommen. Niemand findet Gnade vor Hess' Augen. Aber das
Verständnis, das der Regisseur auch noch für die unmöglichsten
Verhaltensstörungen und abwegigsten Handlungen seiner Figuren aufbringt,
wiegt die kleinen Bösartigkeiten auf, die er für sie bereithält.
Wir müssen auch nicht verstehen, warum diese Menschen dies oder das anstellen.
Manchmal ist es einfach nur beruhigend zu wissen, dass es noch Dinge gibt, die
jenseits unseres Bewusstseinshorizontes liegen.
Andreas Busche
Ein fantastisch-bizarrer
Low-Budget-Film, der es dank seines sozial wie geistig benachteiligten Helden
zu Kultstatus gebracht hat. Der Stupor Napoleon Dynamites ist völkerverständigend.
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film
Zu diesem Film gibt’s
im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Napoleon
Dynamite
USA 2004. R: Jared Hess. B: Jared und Jerusha Hess. P: Jeremy Coon, Sean C. Covel, Chris Wyatt.
K: Munn Powell. Sch: Jeremy Coon. M: John Swihart. T: Matt Davis. A: Cory Lorenzen,
Curt Jensen. Ko: Jerusha Hess. Pg: Fox/Access. V: UIP. L: 95 Min. FSK:
ohne Altersbeschränkung. Da: Jon Heder (Napoleon Dynamite), Jon Gries (Onkel
Rico), Aaron Ruell (Kip), Efren Ramirez (Pedro), Diedrich Bader (Rex), Tina
Majorino (Deb), Sandy Martin (Grandma), Haylie Duff (Summer).
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