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Nashville
Da steht ein
kleiner Mann im weißen Paillettenanzug auf einer sehr großen, weiten
Bühne, schraubt sich das Mikrophon zurecht, schiebt es betreten noch ein
Stückchen tiefer und fährt dann fort, aus seinem furchtbar patriotisch
und ideologisch übersättigten Repertoire mittelmäßige Country-Songs
zum Besten zu geben. Zwischendrin, davor und später wird er immer wieder
das Publikum zu instrumentalisieren versuchen und sich in seiner kleinen, ausgetretenen
Glorie sonnen. Haven Hamilton, gespielt von Henry Gibson, ist nur eine der vielen
irgendwie rührenden, irgendwie aber auch ganz schön peinlichen Figuren
in Robert Altmans frühem Kinofilm Nashville (1975).
Und was da nicht
alles versammelt ist auf den Country-Gesangsbrei-Unterhaltungsbühnen im
schwülwarmen Süden: "unser alle Barbara Jean" (Ronee Blakeley),
ein ausgebranntes, verhungertes Mädchen, dessen weiße Kolonialstiltracht
das dünne Nervenkostüm nicht verhüllt; Conny White (Karen Black),
ihre glänzend-strahlend-goldgelockte Nemesis im roten Galakleid, die nur
so sprüht vor Publikumsbestätigung auf dem Höhepunkt ihrer Karriere;
der schwarze Cowboysänger Brown, der ein wenig wie ein Zugeständnis
wirkt in dieser durchweg weißen Welt von Yidihay und Haydiho. Dazu gesellen
sich in typisch Altmanscher Manier, das heißt mal hier, mal da hineingeschnitten,
zufällig gerade auch im Frame oder wie versehentlich mit drübergeschwenkt,
die bezaubernd ungelenke und sangesunbegabte Sueleen Gay (Gwen Welles); Albuquerque
(Barbara Harris), die vor ihrem Redneckfarmer-Ehemann entflieht und dringend
selber singen will; ein nymphomanes Mädchen (au weh, Shelley Duvall) mit
stilsicher entstellenden modischen Ideen und einem großen Koffer voll
Perücken; eine Nervensäge; ein lustiger Mann mit großer Brille
(gut getarnt, Jeff Goldblum), der überall mal auftaucht, die Mädels
durch die Gegend fährt, von dem man aber sonst nichts weiß. Was noch?
Ach ja, vielleicht der Ehemann und Onkel, neuerdings dann Witwer; der junge
Mann mit Geigenkasten auf der Flucht vor den Erwartungen der Mutter; der Vorzeigesohn,
der Anwalt werden musste; die schrille Schnalle mit dem kleinen Hund und so
weiter und so fort.
Damit befinden
wir uns, es überrascht nicht weiter, in der großen weiten Welt des
Robert Altman, wo es gerüchtehalber immer schon ein Drehbuch gibt und Dialoge,
wo aber dann tüchtig und ganz nach Belieben herumimprovisiert wird am Filmset,
auch gerne mal gefeiert, und wo am Schluss ein Film rauskommt – egal wie lang,
egal wie breit. In Nashville ist dabei die
Kamera sonderbar stabil, das fällt schnell auf. Nicht, dass da durchweg
die klassischen Einstellungen bedient würden, das beileibe nicht; aber
so richtig dokumentarisch handgehalten wirkt das Bild nun trotzdem nicht. Dabei
ist Nashville im Grunde genau
das: ein Portrait, eine Zufallsstudie über die Sangeskunst und Countryszene
in Nashville, Tennessee. Opal, die rasende Reporterin der BBC (ach, wie schmerzhaft
europäisch von Geraldine Chaplin persifliert), versucht den ganzen Film
hindurch eben dieses Portrait, eben diese Studie zu recherchieren, und bleibt
dann immer wieder an der bloßen Oberfläche hängen. Ihr Blick
hinter die Kulissen beschränkt sich auf das Hotelbett und die nackte Haut
von Frauenschwarm Tom Frank (Keith Carradine), den sie, hach, hihi, "im
biblischen Sinne erkennt" - und schwups ist Opal auch schon so tief drin
im Western-Country-Strudel, dass sie selber nichts mehr sieht.
Dabei geht es
da ganz schön ab: ein eben erst formiertes Trio zerbricht bereits an Ehestreitigkeiten,
während der Public Relations-Mann des durchgeknallten Präsidentschaftskandidaten
mal hier die Strippen zieht, mal da, diplomatisch und geschickt, sich diese
ganze bunte Schar auf seine politische Stimmenfang- und Werbebühne holt.
Streitereien, Zwistigkeiten, Korruption; moralische Erpressung, ausgebeutete
Unschuld, gefährliche Verführungen – alles da im fröhlich-glatten
Country-Business.
Im höchsten
Grade ist das unterhaltsam, und man zieht dann doch den Hut vorm großen,
alten Mann, denn da ist alles irgendwie schon einmal da: jeder Twist, jeder
Konflikt erklingt bereits in einem Lied, wird angedeutet links am Bildrand oder
rechts oder auch in der herrlich ironisch kommentierenden Montage.
Letzlich verbleibt
man dann etwas verwirrt. Nashville bereitet wie
kein anderer das Feld für die späteren Prêt-à-Porter und Kansas City – nur dass
die dann echte Stars, Berühmtheiten und Glamourjungs und –mädels durch
lange, erzählfreie Passagen hindurch auf der Leinwand zeigen. Hier hingegen:
fast ausschließlich unbekannte, frische Gesichter, keine echten Countrygrößen,
sondern einfach Jungs und Mädels, die alle ihre Lieder selber schreiben
mussten. Und dann singen.
Toll, dass so
was wirklich funktioniert.
Christina
Hein
Nashville
NASHVILLE
USA
- 1974 - 161 min. – Scope - Erstaufführung: 12.3.1976
Regie:
Robert Altman
Buch:
Joan Tewkesbury
Kamera:
Paul Lohmann
Musik:
Richard Baskin
Schnitt:
Sidney Levin, Dennis M. Hill
Darsteller:
David
Arkin (Norman)
Barbara
Baxley (Lady Pearl)
Ned
Beatty (Delbert Reese)
Geraldine
Chaplin (Opal)
Karen
Black (Connie White)
Ronee
Blakley (Barbara Jean)
Timothy
Brown (Tommy Brown)
Keith
Carradine (Tom Frank)
Shelley
Duvall (
Scott
Glenn (Glenn Kelley)
Jeff
Goldblum
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