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Nausicaä
aus dem Tal der Winde
Nur
Fliegen ist schöner
Es ist schwer zu sagen, was den Zauber
der Miyazaki-Filme ausmacht: Wie hat er es geschafft, den Fantasy-Animationsfilm
(der in Europa noch immer reine Kindersache ist und in Japan stets streng getrennt
zwischen erwachsenem und jugendlichem Publikum ablief) zu einem Genre für
alle Altersgruppen zu verändern?
Bei Ansicht seines (nach Das
Schloss des Cagliostro) zweiten
Abend füllenden Spielfilms Nausicaä fällt die Antwort ebenso simpel
wie überraschend aus: Der vermeintliche Kinderfilmemacher ist schlicht
einer der besten Actionregisseure seiner Zeit und kann rasante und elegante
Luftkämpfe ebenso atemberaubend filmen wie stille dramatische Momente.
Praktisch ohne Exposition stürzt sich der Flugzeugnarr Miyazaki in seine
Fabel von Flugschirmen, Windgleitern, gigantischen Luftschiffen, mittelalterlich
wirkenden Feuerwaffen und Panzergefährten. Dazu ist ein sehr früher
Score von Japans vielleicht eigenwilligstem Komponisten, Joe Hisaishi, zu hören,
für den er zwischen den für ihn typischen Holzbläsern noch mit
Synthesizer und Hammond-Orgel experimentiert – ein echtes Fundstück für
Liebhaber von Filmmusik.
Visuell überwältigt nicht so
sehr Miyazakis recht orthodoxer Zeichenstil, sondern vor allem sein Erfindungs-
und Detailreichtum: die antiken Gasmasken, die wie Hundeschnauzen wirken; der
Lenkdrachen, auf dem man stehen kann; und natürlich die Omu, hochhausgroße
Wesen mit zwei Dutzend Augen, meterlangen bewußtseinserweiternden Fühlern
und ringförmigen Schuppenpanzern, die sie nach ihrer Häutung als riesige,
leere Hüllen im Wald hinterlassen wie gläsernes Monument, die wunderbar
schwingen, wenn man sie anstößt. Es herrscht eine maßlose Fülle
an solch wunderbaren Einfällen, und man muss lange suchen, um Romanautoren,
Filmemacher oder Comiczeichner mit ähnlich ausufernden Phantasien zu finden
(Moebius, Tolkien oder Enki Bilal kommen in den Sinn).
Dabei ist, um mit diesem Mythos endlich
mal aufzuräumen, Miyazakis Drehbuch alles andere als einfach oder kindisch.
Manch ein deutscher Elternteil dürfte sogar zurückzucken, wenn hier
auch mal Blut fließt, ein fremdes Volk das Tal der Winde gewaltsam erobert
oder ein Flugzeugabsturz ein brennendes Inferno aus Tod und Zerstörung
hinterlässt – sogar ein Hauch nuklearer Holocaust weht durch den Film.
Zudem strotzt das Sujet politisch vor Komplexität: Usurpatorische Stammesoberhäupter,
ein Vereinigungskrieg und ein halbes Dutzend Parteien in wechselnden Bündnissen
halten den Zuschauer durchaus auf Trab. Hinzu kommen die beiden prägenden
Motive, die sich in beinahe jedem Miyazaki-Film finden lassen: Das leidenschaftliche
Plädoyer für Respekt gegenüber der Umwelt (hier symbolisiert
durch die Flora und Fauna eines psychedelischen Pilzwaldes und seiner vergifteten
Sporen) und die starken Frauenfiguren: In Nausicaä finden wir sie wie so oft in Form einer
unorthodoxen und grenzüberschreitenden Prinzessin, die sich gegen eine
ebenso willensstarke und kluge, aber verbitterte und versehrte Königin
des Nachbarreiches behaupten muss – eine ähnliche Situation wie in Kleists
»Käthchen von Heilbronn« übrigens.
Dabei geht es Miyazaki, und darin ist
er dann doch wieder zutiefst jugendgerecht, vorrangig um Besänftigung –
Besänftigung der vergifteten Erde und der geschundenen Seelen. So kann
auch das Ende nur ein Verstehen des Status Quo signalisieren und keine wirkliche
Verbesserung der Welt. Aber immerhin hört man auf, die Symptome zu bekämpfen
und damit die Ursachen zu befeuern. Der Filmemacher ist Realist, aber auch Romantiker.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Nausicaä aus dem Tal der Winde
Kaze no tani no Naushika (1984)
Regie:Hayao Miyazaki
Autor: Hayao Miyazaki (Comic-Vorlage), Hayao Miyazaki (Drehbuch)
Erstaufführung: Juni 1985 (
Produzent: Rick Dempsey
Musik: Joe Hisaishi
Kamera: Mark Henley (Englische Fassung), Hideshi Kyonen
Schnitt: Naoki Kaneko, Tomoko Kida, Shôji Sakai
Animation: Hideaki
Anno
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