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Neil
Young: Heart of Gold
Diese Seele wandert
noch
Ehrfurchtsvoll, konzentriert und direkt ist Jonathan
Demmes Konzertfilm "Neil Young: Heart of Gold"
Dass Neil Young überhaupt
noch auf der Bühne steht, grenzt allein schon an ein Wunder. Durch die
Hölle und zurück ist er mehr als einmal gegangen. Sein Krankenregister
ist mindestens so lang wie seine Missbrauchsliste. 40 Jahre Rock-'n'-Roll-Lifestyle
haben ihre Spuren hinterlassen: Youngs umfangreiches Gesamtwerk ist auf kaputten
Knochen, illegalen Substanzen und verblassten Erinnerungen errichtet. Dieses
Leben auf der Überholspur steht Young in Jonathan Demmes Konzertfilm "Neil
Young: Heart of Gold" ins Gesicht geschrieben: Er sieht älter aus
als 60 Jahre - älter wahrscheinlich, als er sich hat träumen lassen,
als er 1972 im zarten Alter von 26 "I'm getting old" sang. Man staunte
schon damals, woher dieses introvertierte Bürschchen die Weisheit nahm,
mit solch einer Traurigkeit von Verlust und Älterwerden zu erzählen.
33 Jahre später steht ein aufgedunsener Neil Young auf der Bühne des
Ryman Auditoriums in Nashville und gibt das Bild eines Mannes ab, der die Geschichten
seiner Jugend auch körperlich durch- und überlebt hat.
Vor zwei Jahren diagnostizierten
Ärzte bei Young, der sich gerade mitten in den Aufnahmen zu "Prairie
Wind" befand, ein gefährliches Gehirn-Aneurysma. Young ließ
sich zweimal operieren und kehrte umgehend ins Studio zurück, um die Arbeit
an seinem Album zu vollenden. Hier erreichte ihn kurz darauf die Nachricht vom
Tod seines Vaters. Unter dem Eindruck dieser Schicksalsschläge geriet "Prairie
Wind" zu einem persönlichen Schlüsselwerk in Youngs wechselhafter
Karriere.
"Neil Young: Heart of Gold",
ein Zusammenschnitt der zwei Premierenkonzerte in Nashville, dokumentiert diese
Zäsur mit einer Unumstößlichkeit, wie sie nur einem Künstler
zuteil werden kann, der im Olymp längst angekommen ist. Von dort oben blickt
er mit Unterstützung alter Wegbegleiter (unter anderem seiner Frau Pegi)
und Mitüberlebender (Ben Keith, Rick Rosas, die Nashville-Legende Spooner
Oldham) auf ein verlustreiches Leben zurück. Manchmal droht sich sogar
für einen Moment das dünne Stimmchen zu überschlagen, das sich
nie mit dem Sängerknaben-gleichen Falsetto eines David Crosby messen konnte,
dafür aber Geschichten zu erzählen hatte. Geschichten, die sich nicht
bloß aus der beschränkten Wahrnehmung kalifornischer Späthippies
oder bräsiger Americana speisten, sondern aus einem Erfahrungsschatz, den
hunderte von Meilen Seelenwanderung im Laufe der Jahre angehäuft hatten
- und für den ein Normalsterblicher wohl mindestens so alt werden müsste,
wie Young heute aussieht.
"Heart of Gold" schüttet
diese Weisheit aus vollen Kübeln aus. Demmes formal schnörkelloser
Konzertfilm verleiht dem "Old Man", der Young nun selbst ist, eine
autoritäre Aura von Zeitzeugenschaft. In seiner ehrfurchtsvollen Direktheit,
nicht unähnlich Rick Rubins kompakten, akustischen Produktionen für
den späten Johnny Cash, gelingt es Demme, der bereits mit dem Talking-Heads-Film
"Stop Making Sense" das Prinzip der Reduktion perfektionierte, Young
in ein Licht zu rücken, wie es bislang kein Regisseur, auch nicht Young
selbst, geschafft hat. Young, der Schmerzensmann, hat seinen inneren Frieden
gefunden.
Demme interessiert sich in "Heart
of Gold" ausschließlich für Young und seine Begleitmusiker,
die konzentrierte wie spontane Arbeit an der Musik, bei der jeder einzelne Handgriff
einem Ritual gleichkommt, während das Publikum im Ryman-Auditorium im Verborgenen
bleibt. So wird die Bühne nicht zuletzt durch die ständig wechselnden
szenischen Hintergründe zur frontporch, auf der sich ein Haufen alter Freunde treffen und ihre gemeinsamen
Jahre rekapitulieren. Ellen Kuras Licht- und Bildregie trägt wesentlich
zu dieser intimen Atmosphäre bei. Die schwarzen Abblenden zwischen den
Songs haben fast etwas Bedächtiges, wie das Umschlagen einer Buchseite.
Jeder Song wird so auch zu einem Kapitel in Youngs Leben. "Du hast noch
ein paar Jahre," ruft Pegi einmal aufmunternd ihrem Mann zu. Neil Young lächelt
und greift wieder in die Saiten.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Neil
Young: Heart of Gold
USA 2006 - Regie: Jonathan Demme - Darsteller: Neil Young, Emmylou Harris, Pegi Young, Ben Keith, Wayne Jackson, Clinton Gregory, Grant Boatwright, Tom McGinley, Gary W. Pigg - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 103 min. - Start: 17.8.2006
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