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Nekromantik
Dieses
Debut des Berliner Regisseurs Jörg Buttgereit dürfte wohl so ziemlich jedem
desillusionierten und sozial verwirrten Teenager zumindest vom Hörensagen
bekannt sein, kaum ein angehender Splatterfan, der diesen Film nicht "unbedingt
mal sehen will". Meistens werden diese jedoch nach dem Ansehen eher
enttäuscht - zu filmkünstlerisch der Ansatz des Filmes, zu wenig Gore-Szenen
für den Gore-Hound. Wie der Titel schon durchscheinen lässt und wie die Tagline
"Ein Film über die Liebe zum Menschen und was von ihm übrigbleibt"
explizit andeutet, handelt dieser 1987 gedrehte Film explizit über Nekrophilie,
Sex mit Leichen, besser gesagt. Dieses kontroverse bis heikle Thema rief
natürlich auch kurzerhand selbsternannte Moralapostel wie z.B. die
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, die katholische Kirche sowie
diverse bayerische Staatsanwälte auf den Plan, die den Film kurz nach
Erscheinen wegen angeblicher Gewaltverherrlichung beschlagnahmen (also nicht
nur indizieren, sondern quasi komplett verbieten) liessen, was den Film
natürlich ganz besonders interessant werden liess! Der Hartnäckigkeit des
Regisseurs sowie der tatsächlich eher künstlerischen Darstellung des Themas ist
es zu verdanken, daß nach einem langwierigem Prozess Nekromantik von der
Beschlagnahmungsliste entfernt wurde, da er nunmehr offiziell als Kunst
anerkannt als solche auch nicht beschlagnahmbar ist - dies würde gegen
geltendes Recht verstoßen, da eine Zensur von Kunst nicht erlaubt ist. Somit
ist der freie Zugang zu diesem Werk also seit einigen Jahren wieder
gewährleistet.
Der
Film handelt von Robert, der bei einer Firma arbeitet, welche nach Unfällen
aller Art für die Entsorgung der Leichen sorgt. Ob Rob's morbides Interesse für
den Tod und die Vergänglichkeit durch seinen Beruf entstand oder ob es sich
durch den Beruf bedingt entwickelte wird nicht näher erläutert - Fakt ist, daß
Robert immer wieder Stücke von Leichen mit nach Hause nimmt, die er entweder in
Alkohol einlegt oder mit seiner Freundin Beatrice zum Liebesspiel benutzt.
Eines Tages hat er die Möglichkeit, einen kompletten Leichnam mit nach Hause zu
nehmenm, was zu einem ekstatischen Geschlechtsakt zu Dritt mündet, in dem sich
beide kompett erfüllt wähnen - in der Tat meiner Meinung nach atmosphärisch,
technisch wie musikalisch eine der schönsten Liebesdarstellungen der
Filmgeschichte, sieht man mal davon ab, daß einer der Drei halt nicht mehr ganz
lebendig ist! Dennoch tut sich kurz darauf eine Krise zwischen den beiden auf,
da Rob seinen Job verliert und dementsprechend für den "Nachschub"
nicht mehr gesorgt ist - Beatrice verlässt Rob kurzerhand, lässt es sich aber
nicht nehmen, den gemeinsamen Gespielen mitzunehmen. Rob stürzt in eine tiefe
Identitätskrise - nicht nur seines Fetisches sondern auch seiner
Geistesgenossin beraubt, sieht sich Rob nicht mehr in der Lage, eine erfüllte
Sexualität zu erlangen. Verschiedene Ausflüchte und Ersatzbefriedigungen sind
zum Scheitern verurteilt. Rob sieht nur noch eine Möglichkeit, noch ein
einziges Mal im Leben sexuelle Extase zu spüren...
Prinzipiell
natürlich erstmal eine makabre Angelegenheit, gerade für einen Menschen, dessen
Filmgeschmack sich eher im Mainstream-Bereich bewegt und für den Hannibal
schon die Spitze des Erträglichen darstellt. Dennoch werden gerade Gore-Hounds
und Splatter-Freaks von Nekromantik eher enttäuscht sein, da der Film
gerade aufgrund seines zeitweiligen Verbotes einen nahezu grotesken Kultruf
erlangte, aber rein objektiv sein Augenmerk im wesentlichen auf andere Aspekte
legt: Wie verhalten sich sozial isolierte Menschen? Wie entfremdet sind
Menschen und welche psychischen Auswüchse sind die Konsquenz einer nicht
erfüllten Sexualität? Und welche Rolle spielt im Leben ein erfülltes
Sexualleben? Natürlich klingt das jetzt erstmal nach einem
akademisch-philosophischen Meisterwerk, was Buttgereit sicherlich auch nicht
gerecht werden würde - man merkt ihm schon an, dass er eine gewisse kindliche
Freude "etwas Verbotenes" beim Dreh zu machen hatte und natürlich
bestechen viele Szenen auch durch ihren klaren Exploitation-Charakter (also das
genüßliche Ausweiden eines Szenario mit einer gesunden Portion
Sensationsgeilheit). Trotzdem hält der Film gut die Waage zwischen
Sensationsgeilheit und künstlerischem Anspruch - eine Mischung, die ich
persönlich immer am interessantesten finde und die Buttgereit mit seinem ersten
von bislang (und bis auf weiteres) vier Filmen nahezu perfekt gelungen ist.
Viele
dürfte jedoch prinzipiell natürlich das Thema, darüberhinaus aber auch die
technische Seite des Filmes abschrecken. Gedreht mit Laiendarstellern auf
grobkörnigem Filmmaterial, ohne näher erwähnenswertes Budget (was sich
natürlich auf die SFX niederschlägt, die dennoch angesichts des
low-level-Budgets mehr als erstaunlich sind!) stellt der Film keine leichte Kost
für Leute dar, die Special Effekte im Sinne von Star Wars Episode 1 oder M-I2
gewohnt sind - wer jedoch prinzipiell keine Berührungsängste vor
"anderen" Filmen hat, sich von einem Film gerne fordern lässt und
Filme eher als Kommunikations- denn als Berieselungsmedium versteht und
darüberhinaus einfach ein Faible für filmkünstlerischen Underground hat, sollte
sich definitiv diese DVD zulegen, da diese im Gegensatz zur Videoversion über
ein wesentlich helleres Bild verfügt (!! absolut Gold wert, da das Tape
wirklich sehr dunkel ist !!) oder sich zumindest mal diesen Film ansehen!
Meiner Meinung nach eine Perle des filmischen Underground, welcher gerade hier
in Deutschland mehr als unterrepräsentiert ist, und einer der besten Filme
Buttgereits! Give it a try !
Thomas
Groh
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: ciao.de
Nekromantik
BRD
1987
Regie:
Jörg Buttgereit
Darsteller:
Daktari Lorenz, Beatrice Manowski, Harald Lundt, Susa Kohlstedt, Jörg
Buttgereit, Manfred O. Jelinski, Franz Rodenkirchen
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