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News From Home
(Berlinale-Kritik)
Filme sind auch Erfahrungen, die man macht, wenn
man sie sieht. Manche Filme bleiben fad von Anfang bis Ende. Manche packen dich
und lassen dich nicht mehr los. Andere bauen ab oder hängen durch. Amos
Gitais „News From House / News From Home“ fand ich erst so langweilig, dass
ich nach zehn Minuten raus wollte, um vielleicht doch lieber George Clooney
in „Syriana“ zu sehen. Ich blieb. Der Film wurde halbwegs interessant. Dann
verblüffend. Dann umwerfend. Dann war ich den Tränen nah.
„News From House / News From Home“ ist ein Dokumentarfilm.
Der sehr renommierte israelische Regisseur Amos Gitai, ein gelernter Architekt,
besucht einen eigenen Film, zwei Filme sogar, genauer gesagt. Der erste entstand
im Jahr 1979, der zweite vor neun Jahren. Stets ging es um ein Haus in Jerusalem,
das bis 1948 einer palästinensischen Familie gehörte. Seither leben
Israelis darin. Vor 27 Jahren wurde daran gebaut, heute wird weitergebaut. Vor
neun Jahren besuchte Gitai die Familie Dajani, die seit 700 Jahren in Jerusalem
lebt, der einst das Haus gehörte. Für seinen neuen Film besucht er
sie ein weiteres Mal, viel hat sich nicht verändert. Ratlos saßen
sie auf der Couch, ratlos öffnen sie ihm heute die Türen. Später
wird Gitai Dr. Dajani begleiten auf die Straße vor dem Haus, das ihm lange
nicht mehr gehört.
Dann sucht Gitai eine Verwandte der Dajanis auf,
sie lebt in Amman, Jordanien, ist nach 1948 nur zweimal nach Jerusalem zurückgekehrt.
Sie ist eine formidable alte Dame von achtzig Jahren, hat sich ihr riesiges
Haus zum orientalischen Salon staffiert, mit Teppichen an den Wänden, Blumen
überall, Schmuck und Ornament, Plüsch und Fotos der Herrscherfamilie
von Jordanien. Sie erzählt aus ihrem Leben, ist geistig präsent. Sie
zeigt Fotos, wie fast alle, sie zeigen Amos Gitai Fotos, zu denen sie Geschichten
erzählen, von Toten meist.
Noch eindrucksvoller der Besuch bei der heutigen
Bewohnerin des Hauses, das hier als zentrale Metapher fungiert, als Metapher
des Verhältnisses von Palästinensern und Israelis. Sie ist in der
Türkei geboren, erzählt von der Toleranz, die dort den Juden entgegengebracht
wurde, vom friedlichen Zusammenleben von Moslems und Juden und Christen. Ihr
Vater war ein Uhrmacher aus Deutschland, der die Uhren in den türkischen
Moscheen reparierte. Sie findet es nicht gerecht, dass sie nun dies Haus besitzt,
das einem anderen gehörte. „Es ist die Geschichte“, sagt sie. Ich habe
sie nicht gemacht, ich kann sie nicht rückgängig machen.
Beim Besuch bei einem der Nachbarn, Herrn Kichka,
er wohnt gleich gegenüber, stockt einem der Atem. Ein Israeli, der von
einem bronzenen Schlüssel erzählt, den ein Enkel des früheren
Bewohners des Hauses bei einem Besuch sehen wollte. Der Schlüssel, erklärt
Herr Kichka, ist das Symbol des Rückgabeanspruchs, bei den Palästinensern.
„Damit erhalten sie erhalten den Anspruch auf ihr einstiges Eigentum aufrecht.“
Er erzählt von einer extremistischen palästinensischen Karikaturistin,
deren Signatur einen Schlüssel beinhaltet. "Er ist im Computer, er
ist immer schon im Bild." Es seien furchtbare Karikaturen, erzählt
er, Sharon, der im Blut der Palästinenser badet. „Karikaturen“, insistiert
er, „sind wichtig. Sie sagen uns, was die Leute denken.“ Dann zeigt er Fotos,
auch er, schwarz-weiß, seine Großeltern, Großtante, alle von
den Nazis ermordet.
Amos Gitai rechtet nicht. Er lässt beide Seiten
zu Wort kommen. Niemand eifert hier, alle wissen um das Ausmaß des Unglücks.
Die meisten Szenen sind mit der Steadycam gefilmt – und das kommt einem bald
vor wie eine subtile ästhetische Metapher. Keine Handkamera, keine Reißschwenks,
kein Gefuchtel. Gitai will die Ruhe bewahren im Auge des Sturms.
Er macht außerdem Sachen, die man bedenklich
finden könnte. Seine Stimme meditiert im Voiceover aufdringlich über
das Haus als Metapher, es klingt, als hätte man aus Versehen den verzichtbaren
Audiokommentar einer DVD eingeschaltet. Irgendwann denkt man aber, es ist seine
Stimme, die wichtig ist, sein Englisch mit dem recht starken Akzent, nicht das,
was er sagt. Unter vielen Bildern liegt Musik, Klaviergeklimper. Auch das ist
manchmal zuviel des Guten, aber andererseits ziemlich egal am Ende.
Sublim ist der Schluss. Man sieht das Gesicht von
Natalie Portman auf der Fahrt durch das Tal des Jordan. Mit ihr hat Gitai seinen
letzten Spielfilm gedreht, „Free Zone“. Sie sagt nichts, sie hält nur die
Augen offen, zeigt einmal hinaus in die vorbeifliegende Landschaft. Man weiß
nicht, was sie da gesehen hat.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Jump Cut
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from Home
Israel
/ Belgien / Frankreich 2006 - Regie: Amos Gitai - Darsteller: Dokumentarfilm
- Fassung: O.m.d.U. - Länge: 97 min. - Start: 7.9.2006
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