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The
New World
Die Unschuld der
Gräser
First Contact
in
Terrence Malick ist ein Enigma im Öffentlichkeits-fixierten
Hollywoodgeschäft. Ein Eremit, dem Autor Thomas Pynchon ähnlich. Die
Nichtverbreitung von Pressefotos lässt er vertraglich regeln. In unregelmäßigen
Abständen dreht er unwirklich-schöne Filme, die in ihrer Verrätseltheit
einigermaßen verloren in der Filmgeschichte herumstehen. Malicks übersichtliches
Werk ragt wie ein Solitär aus dem Kanon an Filmklassikern heraus, nicht
nur durch seine ästhetische Geschlossenheit. Von den stilistischen Mitteln,
die Malick in seinem neuen, nunmehr vierten Film, "The New World",
verwendet, finden sich schon Spuren in seinem Debüt "Badlands" (1973): die Verfremdungseffekte klassischer
Musik (hier Orff, da Wagner), die Kontemplation in und an der Landschaft, das
Ausklinken aus einer zeitlichen Erfahrung. Was Malicks Filme in erster Linie
verbindet, und dies tritt in "The New World" besonders deutlich hervor,
ist bei allem Stilwillen nicht so sehr die Fixierung eines künstlerischen
Oeuvres, sondern der phänomenologische Entwurf eines Stimmungsbildes, einer
gefühligen "Weltwahrnehmung", die das Rationale sukzessive ausklammert.
Schlüssel zu diesem Gefühlszustand ist
bei Malick immer wieder die Natur, mit der seine Figuren interagieren. War die
Landschaft in "In der Glut des Südens", die endlosen texanischen
Weizenfelder, noch geprägt von der Arbeit der Erntehelfer, betraten zwanzig
Jahre später die amerikanischen GIs in "Der
schmale Grat" die Pazifikinsel
Guadalcanal bloß noch als Eindringlinge; Tod und Verderben schleppten
sie in die unberührte Welt. An dieses Thema knüpft "The New World"
unmittelbar an. Der Film erzählt die Geschichte der ersten englischen Siedler,
die im Jahr 1607 an der marschigen Küste des späteren Virginia landeten.
Es ist frappierend zu beobachten, wie sehr sich die Bilder von "The New
World" und Malicks letztem Film, "Der schmale Grat", ähneln:
Sonnenlicht, das sich in Baumkronen bricht, im Wind schwingende Grashalme, Tieraufnahmen,
irritierende Schwenks mitten im Schlachtengetümmel (mal gen Himmel, mal
auf einen sterbenden Vogel). Malicks Versuch, den Pazifikkrieg und die Besiedlung
des amerikanischen Kontinents mit ähnlichen ästhetischen Mitteln zu
erzählen, könnte natürlich interessante politische Rückschlüsse
nach sich ziehen. Doch von den weltlichen Belangen der Politik und des Kolonialismus
wendet der Film sich rigoros ab. Stattdessen verfällt "The New World"
früh in einem Zustand vorrationaler Vergeistigung.
Malick interessiert sich in erster Linie für
das historisch nicht gesicherte Liebesverhältnis zwischen Pocahontas, der
Tochter des Algonkin-Häuptlings Powhatan, und dem britischen Soldaten John
Smith. Der Pocahontas-Mythos gehört zu den großen Gründungslegenden
Amerikas; jedes amerikanische Schulkind kennt die Geschichte des Algonkin-Mädchens
und seiner Rettung des gefangenen Captains Smith. Die Legende ist bis heute
konstitutiv für das amerikanische Selbstverständnis als melting pot;
Pocahontas fungiert in diesem Verständnis als Botschafterin einer friedlich
koexistierenden Multikulti-Gesellschaft. Im ersten strengen Winter ist sie es,
die den Bewohnern der amerikanischen Gründungssiedlung Jamestown Nahrung
und Kleidung bringt und sie somit vor dem Hunger- und Erfrierungstod bewahrt.
Relativ neu hingegen ist das popkulturelle Hirngespinst einer Liebesaffäre
zwischen Pocahontas und dem fünfzehn Jahre älteren Smith. Dieses Gerücht
geht vermutlich auf Peggy Lees Song "Fever" zurück. Klaus Theweleit
hat darin einmal die Trope des "Juvenile Delinquent"-Genres ausgemacht:
Die rebellische Tochter probt den emotionalen Aufstand. Den Unschuldsverlusts
der amerikanischen Rock-'n'-Roll-Generation hat Malick in "The New World"
allerdings kurzerhand in sein Gegenteil verkehrt.
Dass die Algonkin, die den europäischen Siedlern
von Beginn an reserviert gegenüberstanden, hier lediglich "Naturals"
heißen, verrät bereits viel über Malicks Weltbild. Die Newcomerin
Q'Orianka Kilcher spielt Pocahontas als naives Naturkind, das sich ganz im Einklang
mit den Bäumen, Halmen und dem Himmel befindet. Malicks Bilder beschwören
eine Verzauberung der Natur, aber je tiefer und überwältigter wir
in den Dschungel blicken, desto eindringlicher schwillt das ätherische
Rauschen an, das diese Sinnsuche produziert. Interessant ist hier, wie einerseits
die dominante Tonspur (Insekten, Blätterrascheln, Wasserplätschern)
und andererseits die in diesem Zusammenhang fremdartige Musik (außer Wagner
die tiefen schwingenden Drones des Komponisten James Horners) gegenteilige Effekte
hervorrufen: Der Kontrast aus Hypernaturalismus und ästhetischer Überhöhung
treibt den Wäldern jede Natürlichkeit aus. Was "The New World"
vollkommen fehlt, ist das einfache Staunen und die spielerische Lakonie, wie
der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul sie in "Blissfully Yours" und "Tropical
Malady" so bewundernswert vorgeführt
hat.
Im selben Maße, wie Malick mit "Der schmale
Grat" das Kriegsfilm-Genre entkernt (das Todespathos, den Gefechtsirrsinn,
das Männerbündlerische), höhlt er mit "The New World"
den Pocahontas-Mythos aus. Die reservierte Aufnahme des Films in den USA spiegelt
wider, wie indifferent sich Malick der Legende der birth of a nation annähert.
Weder hat es dazu gereicht, die konservativen Kräfte zu mobilisieren, noch
die linksliberale Kritik aus der Reserve zu locken. Für einen Regisseur,
der seine Filmprojekte derart handverliest, ist ein mythopoetischer Schmarrn
wie "The New World" maßlos enttäuschend. Schlimmer noch:
Die Light-Version des "Pocahontas-Komplexes" legt eine gründliche
Revision von Malicks Gesamtwerk nahe.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
The
New World
USA
2005 - Regie: Terrence Malick - Darsteller: Colin Farrell, Q'Orianka Kilcher,
Christopher Plummer, Christian Bale, August Schellenberg, Wes Studi, David Thewlis,
Yorick Van Wageningen - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 135
min. - Start: 2.3.2006
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