zur
startseite
zum
archiv
Nichts
bereuen
Die
Filmmusik spielt weiter, aber plötzlich hören wir die Darsteller nicht
mehr sprechen. Nur ihre Lippen bewegen sich noch, der von ihnen gesprochene
Dialog ist untertitelt. Nur für die Dauer einer kurzen Sequenz, das erste
Zusammentreffen zweier der Protagonisten. Eine so schöne Metapher hat es
lange nicht gegeben im deutschen Film für das Gefühl des Verliebtseins,
für die leichte, so schwer zu erklärende Verschiebung der Wahrnehmungsebenen,
die Irritation des In-der-Welt-Seins, die im Augenblick der ersten Begegnung
geschieht. Ein wenig schade, daß Nichts
bereuen,
der Debutfilm von Benjamin Quabeck, die Erwartungen nicht ganz einhalten kann,
die diese eine Szene alleine zu wecken vermag. Der Protagonist des Films, Daniel
(Daniel Brühl) wird erwachsen. Das ist es, wovon Nichts
bereuen
erzählen will, nicht viel mehr. Daniel ist unglücklich verliebt in
Luca (Jessica Schwarz), schon seit seinem 15. Lebensjahr. Weil Luca ihn entweder
ignoriert oder Daniel, wenn sich denn Gelegenheiten bieten würden, ihre
bis dato relativ platonische Beziehung zu vertiefen, zu schüchtern ist,
dies auch zu tun, verabschiedet sich Luca irgendwann nach Amerika und Daniel
bleibt alleine zurück. Alleine mit seiner neuen Zivildienststelle, nachdem
er seine alte in der Kirche verloren hatte, da er sich, um Luca zu beeindrucken,
dort selbst gekreuzigt hatte, ein Spruchband neben sich: "Luca, ich liebe
dich!" Seine Vorgesetzte in der neuen Stelle ist es, mit der die eingangs
erwähnte Szene sich abspielt, Anna (Marie-Lou Sellem) eine selbstbewußte
junge Krankenschwester. Nichts
bereuen
baut zu Beginn einen meist sympathischen, ewig suchenden Protagonisten auf,
dem sich das Erwachsenwerden als Abfolge unzähliger Hürden in den
Weg wirft. Wenn der Film anfangs wunderbar unterhält und leicht erzählt,
so liegt das an dem scharfen Auge, mit dem vor allem die Nebenfiguren gezeichnet
werden, der überforderte alleinerziehende Vater, dessen einziger Zugang
zu seinem Sohn seine Videokamera bietet, könnte einem frühen Film
von Atom Egoyan wie Speaking
Parts
entstammen, auch der von der Welt enttäuschte Pfarrer ("Da kommen
die Leute in die Kirche, um gemeinsam zu singen, und wenn nicht jeder ein eigenes
Gesangsbuch hat, schlagen sie sich gegenseitig die Köpfe ein") ist
eine beißende Karikatur bundesrepublikanischer Wirklichkeit. Dieses scharfe
Auge jedoch verschwindet mit der Zeit und macht Platz für das Klischee.
So ist es natürlich der beste Freund des Protagonisten, der seine Angebetete
letztendlich verführt; ebenso natürlich scheint der erste Sex das
einzige zu sein, das im Leben des Protagonisten von Bedeutung ist. Nichts
bereuen
heißt der Film, und dieses Motto wird vom Protagonisten selbst auch gen
Ende postuliert. Nachdem er sich um all seine scheinbaren Ziele zu erreichen,
zum Tankstellenräuber gewandelt und fahrlässig den Tod eines über
die Zivildienststelle versorgten alten Mannes zu verschulden hat, wird er vom
Richter nach Reue gefragt. Nichts bereut er, sagt Daniel. Carpe diem, neu interpretiert
ganz im Sinne eines falsch verstandenen Michael Endes. Tu, was du willst. Er
habe es tun wollen, solange er es noch wollte, sagt er dem Richter. Wo nun die
wirkliche Motivation Daniels gelegen haben mag, für sein Handeln, darüber
lässt der Film leider genauso im Dunkeln wie die Motive der anderen Personen.
Was beispielsweise Anna an Daniel so überaus anziehend findet, dass selbst,
nachdem er mit ihr geschlafen hat, nur um sofort danach zur inzwischen aus Amerika
wiedergekehrten Luca mit den Worten "er könne es jetzt auch"
zurückzukehren, sie ihm - zumindest deutet der Film dies an - noch eine
Chance gibt, bleibt gänzlich unerklärt. Lediglich ein kleiner Hinweis
wird gegeben. Was Daniel den ganzen Film über sucht, ist Liebe in all ihren
Formen, auch der elterlichen. Emotional gänzlich abgespalten vom Elternhaus
sucht er in Anna eine Art Ersatzmutter, wenn diese ihn über seine Probleme
mit Luca hinwegtröstet, in dem alten Mann, für dessen Tod er sich
letztendlich verantwortlich zeigen wird, sucht er einen Ersatzvater, wenn er
die ganze Nacht mit ihm trinkt, raucht, und über "die Frauen"
spricht. Ist Nichts
bereuen
somit vielleicht eine Art ödipales Drama, letztendlich schläft der
Protagonist mit der "Mutter" und tötet den "Vater"?
Oder wird möglicherweise einfach ein im Grunde strikt konservatives Weltbild
gezeichnet, das den Verlust der elterlichen Liebe als Kern zu einer sozial weniger
anerkannten Entwicklung darstellt? Ein Film jedenfalls, so viel scheint klar,
der trotz seiner manchmal oberflächlichen und klischeehaften Darstellung
der Charaktere vielschichtig genug ist, um verschiedene Deutungsansätze
zuzulassen, und der auch und vor allem auf Seiten der filmischen Mittel ein
großes Können beweist, das auf weitere Werke gespannt sein läßt.
Benjamin
Happel
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Nichts
bereuen
BRD
2001. R: Benjamin Quabeck. B: Hendrik Hölzemann. P: Stephanie Wagner. K:
David Schultz. Sch: Tobias Haas. M:
Lee Buddah. A:
Miriam Möller, Markus Wollersheim. Ko:
Sandra Schulte. Pg:
Arri/WDR. V: Ott Film, Clausewitzstr. 6,
10629 Berlin. L: 98 Min. Da: Daniel Brühl (Daniel), Jessica Schwarz (Luca),
Denis Moschitto (Dennis), Josef Heynert (Axel), Sonja Rogusch (Maria), Marie-Lou
Sellem (Schwester Anna). Start: 15.11.2001 (D).
zur
startseite
zum
archiv