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Night
Train
Treibgut schlägt
auf
Hoppla, hier kommt er, und hinter ihm gleich ein
Schwall Scheiße: In Les Bernsteins dreckig grauem Debütfilm "Night
Train" hat das ambitionierte B-Movie einen hoffnungsvollen Vertreter gefunden
Joe Butcher steckt in einem Körper, der all
die schlechten Seiten seines schwachen Geistes nicht verbergen kann. Dieser
Mitleid erregende Leib trägt die meiste Zeit ein T-Shirt, dessen Aufdruck
geradezu wie ein Hilfeschrei wirken muss: "I love to cuddle". Er will
kuscheln, er will Liebe, kriecht aber permanent im Straßenstaub.
Joe Butcher ist ein versoffenes Wrack, ein Fast-Food-Amerikaner,
Trailerpark-Kandidat und Dauerschwitzer und auch sonst niemand, mit dem man
sich länger als fünf Minuten im selben Raum aufhalten möchte.
Insgesamt also: kein Gewinnertyp. Die ganze Geschichte seines Versagens ist
seiner Physiognomie eingeschrieben, vom Bierbauch bis zur Hackfresse. Und der
Name trifft's wie ein Passfoto: Hoppla, hier kommt er, der grobschlächtige
Metzger, und gleich hinter ihm ein Schwall Scheiße.
Wie zur Bestätigung spiegelt sich Joes Leben
dann in einer sehr einfühlsamen Sequenz im Spülwasser einer Kloschüssel
wider, die er zuvor reichlich bedient hat. Das könnte jetzt seitenlang
so weiter gehen. John Voldstad ist einfach unfassbar als Joe Butcher, dem Mann,
der jegliche Kontrolle über seine Körpergeräusche verloren hat.
Er schnaubt, rülpst, ächzt, schnarcht, kotzt, rotzt, krächzt,
hustet, und diese erschütternde Geräuschkulisse ist die adäquate
Begleitmusik für eine Geschichte von Tod, Krankheit und Versuchung, Verachtung,
dreckigem Sex und einer Serie brutaler Snuff-Film-Morde. Die Todessymbole verketten
sich im Grenzland Mexikos zu einer Moritat der Verderbnis. Leben und Sterben
in Tijuana.
Die Grundstimmung in Les Bernsteins Debütfilm
"Night Train" entspricht in etwa der Farbgebung seiner Bilder: zwischen
dreckig grau und schwarz wird jede Tonierung erreicht, die der Film Noir seit
den frühen 50er-Jahren vorgegeben hat. Kurzzeitig verschwinden die Charaktere
in tiefer Schwärze - was meistens auch besser ist. Joe Butcher schlägt
in Tijuana auf wie ein Stück menschliches Treibgut. Und davon hat die mexikanische
Grenzstadt, dieses Zerrbild der USA, wahrlich schon genug. Die Straßen
sind voll davon, und Joe fügt sich auf der Suche nach dem Mörder seines
Bruders bruchlos in den Strom der Verdammten ein; fast könnte er ihr Anführer
sein. Eine Armee von Untoten.
"Wie soll bitte auf dieser Straße jemand
von einem Auto angefahren werden", fragt Joe nach seiner Ankunft in Tijuana
seinen Schatten Sam, "wenn sich hier keiner schneller bewegt als eine Landschildkröte?"
Mit Lakonie kommen die Charaktere in "Night Train" meistens weiter
- zumindest rettet es sie bis zum nächsten Tag. Und wenn gar nichts mehr
hilft, legen sie sich gleich selbst in die Kiste. "There is a hell - and
it's right here."
Bei so viel Dräunen und Todesschwadronieren
sollte man aber keinesfalls die witzigen Seiten von "Night Train"
übersehen. Der spritzige Humor erstreckt sich aber allenfalls bis auf Toilettendeckelhöhe.
Weil Joe den Schlüssel seines Bruders zur Sicherheit in seinem Magen verwahrt
hat, kostet es ihn einige Mühe, das wertvolle Stück wieder in Besitz
zu bringen. Da aber alles Hängen und Würgen ohne Erfolg bleibt, bleibt
ihm schließlich nur der beherzte Griff ins Klo. Nach einem reibungslosen
Stuhlgang.
Das ambitionierte B-Movie der Neunziger Jahre hat
in "Night Train" einen seiner hoffnungsvollsten Vertreter gefunden.
Bernstein arbeitet bereits seit Mitte der Achtziger Jahre als so genannter "visual
effect cinematographer" an Hollywood-Großproduktionen wie "Ghostbusters", "Fight
Club" und "Dante's Peak".
Man kann sich das Gefühl der Befreiung vorstellen, das ihn bei der Arbeit
an "Night Train" beflügelt hat. Er lässt alles raus. Für
Joes Zustand der physischen und mentalen Zersetzung findet er die schönsten
halluzinogenen Bilder, die wie ein großer Mindfuck nachwirken. "What
the fuck was that?", entfährt es da nicht nur Joe Butcher. Diese Zwischenzustände
pflegt Bernstein mit großer Sorgfalt, bis es Joe beim Anblick seines ersten
Snuff-Films dann wirklich die Tränen in die Augen treibt. Mit einer Moral
sollte man deswegen natürlich noch lange nicht rechnen.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Night
Train
USA
1999
Regie:
Les Bernstien
Buch:
Les Bernstien, Gary Walkow
Kamera:
Patrick Melly
Schnitt:
George Lockwood
Musik: Marco
Aldaco, Calavera, El Mosco
Besetzung: John
Voldstad, Barry Cutler, Nikoletta Skarlatos, Pedro Aldana, Don Alameda, Donna
Pieroni, Dan Shor, Chuck Skull, Tony Cruz, Martin
Hugo Valdiva Montes, Richard Head
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