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Niklashauser
Fart
Insider-Blicke
Die Geschichte, an die Fassbinder in einem seiner
weniger bekannten Filme 1970 anknüpfte, hatte sich tatsächlich im
Jahr 1476 im fränkischen Niklashausen ereignet. Der Pauker Hans Böhm
verbrannte am 24. März dieses Jahres seine Pauke und verkündete den
Bauern, ihm sei Maria erschienen und habe ihn aufgefordert, zum Volk zu sprechen.
Schon bald werden aus den ursprünglich christlichen Ansprachen Böhms
sozialrevolutionäre Forderungen, d.h. er will die Abschaffung der reichen
Stände und ihrer Privilegien, er will gleichen Lohn für gleiche Arbeit
und die Schaffung von Gemeineigentum der Bauern. Doch zwischen der Mentalität
der Bauern und der Böhms klafften Welten. Denn die Bauern konnten sich
eine Veränderung ihrer Situation ausschließlich durch ein Wunder
vorstellen, nicht aber durch eigenes Handeln. In Böhm sahen sie keinen
Revolutionär, sondern eine Art Messias. Böhm konnte diese Kluft nicht
schließen. Und als er schließlich von der Obrigkeit festgenommen
und am 15.7.1476 in Würzburg öffentlich verbrannt wurde, standen die
Bauern untätig und apathisch beiseite.
Fassbinders Film allerdings erzählt
diese Geschichte nicht nach. Die Akteure im Film sind teilweise in mittelalterlichen
Kostümen zu sehen, teilweise aber auch in Lederkleidung und Jeans. Auch
ein VW fährt über die Straße. Fassbinder lässt das Zeitliche Zeitliches sein. Das hat seinen Grund darin, dass der Film in einer Phase
der sog. "Studentenbewegung" gedreht wurde, in der sich einerseits
die jungen Filmemacher dazu entschlossen hatten, keine explizit politischen
Filme zu drehen, andererseits innerhalb der linken Bewegung sich revolutionäre,
zur Gewalt entschlossene Gruppen herausbildeten, bis hin zu den ersten Vorläufern
der RAF, die, wenn auch auf teilweise unterschiedliche Weise, die bestehenden
Verhältnisse beseitigen wollten. Fassbinder greift - wie auch später
etwa in "Die
dritte Generation" oder "Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel"
- mit diesem Film in diese Debatte ein, allerdings aus einer ihm eigenen Distanz
zu allen Entwicklungen im Bereich der extremen Linken.
Der Film selbst spielt im dörflichen Bereich,
auf Wiesen, Feldern, einer Müllkippe, in einer Villa und auf einem Zeltplatz.
Die Situation, in der sich die Personen bewegen, scheint damit auf zweierlei
Weise verfremdet. Zum einen zeitlich, da die Dialoge aus allen möglichen
Jahrhunderten stammen. Doch auch räumlich ist der Film verfremdet, wenn
beispielsweise auf einem Zeltplatz die Revolutionäre aus dem 15. Jahrhundert
von Polizei und Militär aus der Gegenwart massakriert werden.
Der Film ist eher gehalten wie eine Mischung aus
Theaterstück, klassischer Tragödie und - intellektuellem Spaziergang.
In etlichen Szenen reden die Revolutionäre über ihre Absichten und
wie diese - die Enteignung der Reichen, die Schaffung von Gemeineigentum etc.
- verwirklicht werden können und wie vor allem das einfache Volk dafür
gewonnen werden kann. Dies geschieht zumeist auf Spaziergängen durch Wald
und Wiesen. In anderen Szenen proklamieren die Revolutionäre frontal zum
Publikum (und dem Volk) ihre Absichten, in Reimen, Liedern oder Reden. Auf einer
dritten Handlungsebene wird sozusagen zur Tat geschritten.
Der Film beginnt mit der "Erleuchtung"
des einem Hippie sehr ähnlich sehenden Böhms (Michael König)
durch Maria. Ihm zur Seite stehen seine Freundin Johanna (Hanna Schygulla),
der einem Friedrich Hecker im Aussehen nachempfundene Antonio (Michael Gordon)
und der schwarze Mönch (Fassbinder selbst in seiner bekannten Lederjacke).
Dieser schwarze Mönch ist die eigentlich treibende Kraft hinter Böhm;
er will die Dinge vorantreiben, während der örtliche Pastor (Walter
Sedlmayr) Böhm vor der Gewalt gegen die Obrigkeit warnt und meint, man
könne ein Übel nicht mit einem noch größeren Übel
austreiben. Das schaffe ein neues, viel schlimmeres Ungleichgewicht.
Aber der schwarze Mönch hat mehr Einfluss auf
Böhm. Während er den Prediger zunächst noch vor den Bauern mit
Johanna als Maria (mit langer blonder Perücke) auftreten lässt, bringt
er ihn schon bald dazu, gegen den Wucher, die Kapitalflucht, die Irreführung
des Volks durch die Medien usw. zu agitieren. Man hört die Gruppe das italienische
"Bandiera Rossa" auf Deutsch singen. Man spekuliert über die
Marxsche Mehrwerttheorie usw.
Böhm bewirkt sogar, dass die reiche Margarethe
(Margit Carstensen), die ihn liebt und ihn und die anderen in ihrem Haus aufnimmt,
ihren schwer kranken Mann ersticht. Und es ist Johanna, die den schwarzen Mönch
dazu bringt, von der Religion wegzukommen:
"Du wolltest,
dass sie frei sind, alle frei.
Der Zweck heiligt
die Mittel. Wir haben
uns verrechnet.
Alle werden sich
verrennen.
Statt klarem Kopf Religion.
Du wolltest,
sie sollen denken. [...]
Dabei ist alles
so einfach. Darum
arbeitet einer,
dass ein anderer
die Lust haben
kann. So einfach
ist das. Warum
siehst du es nicht?"
Der schwarze Mönch sieht es. Der Aufstand steht
bevor. In einer Szene auf einer Müllkippe kündet Penthesilea, umrandet
von zwei Frauen, von Blut überströmt, vom Donner, der aus den Wolken
herabkommt. Die Internationale wird gespielt.
In diesem Moment greift die Obrigkeit zum Faschismus.
Auf einem Zeltplatz nehmen sie Böhm fest und massakrieren fast alle anderen
- bis auf den schwarzen Mönch und den Bauernführer (Günther Kaufmann).
Danach heißt die Parole der verbliebenen Revolutionäre: "Macht
kaputt, was euch kaputt macht." Auf den starken Staat reagieren sie mit
Terrorismus, nachdem der Bischof (Kurt Raab) als Repräsentant der Macht
auf einem Schrottplatz Böhm hat am Kreuz verbrennen lassen.
Natürlich ist dieser Film auf eine besondere
Weise plakativ, vielleicht sogar in der Herleitung politischer Geschehnisse
manchmal etwas grob vereinfachend. Entscheidend jedoch ist eher, dass Fassbinder
beabsichtigte zu zeigen, "wie und warum eine Revolution scheitert".
"Da kommt
einer und möchte gerne,
dass die Leute
ihre miesen Verhältnisse
ändern.
Dazu will er die Leute aufrufen.
Aber zunächst
einmal muss er sie
dazu bringen,
ihm überhaupt zuzuhören
und ihm zu
glauben. Er ist also
gezwungen,
mit Mitteln zu arbeiten,
die den Leuten
vertraut sind.
Schließlich
hat er sie auf seine
Seite gebracht,
aber mit den Mitteln
von gestern.
Und mit dem, was er
ihnen jetzt
über die schöne Zukunft
von morgen
sagt, können sie nichts
anfangen. Es
ist Teil ihrer miesen
Lage, dass
sie sich eine andere gar
nicht mehr
vorstellen können.
Hans Böhm
scheitert daran, dass er
die Aufklärung
herzustellen versucht
mit Techniken
der Gegenaufklärung.
Aber wie hätte
er seine Arbeit sonst
tun sollen.?"
Man sieht, es handelt sich um eine Art Insiderfilm,
wobei Fassbinder selbst davon überzeugt gewesen sein muss - warum sonst
dieser Film? -, dass es sich um keinen solchen handeln würde. Die Textpassage
zeigt in deutlicher Weise das Grundübel der damaligen Linken, sich selbst
als so etwas wie eine "Avantgarde" zu verstehen, d.h. sich selbst
für aufgeklärt, das "einfache Volk" für nicht aufgeklärt
zu halten - ein letztlich elitäres Denken. Die Selbstzweifel über
den eigenen Film kamen schon bald. Man sei sich schon bald nicht mehr über
alles an dem Film sicher gewesen, und man denke darüber nach, warum man
den Film gemacht habe: "... weil es ein Film über unsere eigene Situation
ist." Hier kommt die Insidersicht des Films deutlich zum Ausdruck: Eine
Linke Ende der 60er Jahre, die vor allem mit einem beschäftigt ist: mit
sich selbst.
So sind denn auch die Schauspieler im Film kaum mehr
als Statisten, Repräsentanten von Überzeugungen, aber kaum wirklich
fühlende Menschen. Sie stehen für etwas, kaum für sich selbst
- außer Fassbinder selbst als schwarzer Mönch. Man könnte fast
sagen: "Niklashauser Fart" ist eine komplizierte Selbstdarstellung
des Regisseurs und seiner Probleme innerhalb der Linken der damaligen Zeit.
Anders einige Jahre später, als Fassbinder - sicher gerade wegen der Weiterentwicklung
der Linken Anfang bis Mitte der 70er Jahre - in "Die dritte Generation"
und in "Mutter Küsters’ Fahrt zum Himmel" in deutliche Distanz
zur Parteilinken und zur RAF trat und dafür herbe Proteste linker Gruppen
erntete.
Nur am Schluss dieses - in seinen Stilmitteln sicher
ungewöhnlichen, für manchen wohl auch schwer verständlichen -
Films spürt man die Unsicherheit, das Vage der eigenen Situation. Die Hoffnung
und der Wunsch ersetzen den Realitätsbezug, als der schwarze Mönch
nur noch berichten kann:
"Einer
wollte mit anderen die
Gewaltherrschaft
direkt angreifen.
Beim Sturm
auf die Polizeikaserne
in der Hauptstadt
kamen viele um.
Er wusste noch
nicht, dass man
auf manche
Art kämpfen kann.
Als er nach
drei Jahren mit über
80 anderen
auf einem Boot
wiederkam,
fielen bei der Landung
fast alle.
Aber er und seine
Genossen hatten
aus ihren Fehlern
gelernt. Sie
gingen in die Berge.
Zwei Jahre
später siegte die
Revolution."
Hier spürt man deutlich das Selbstmisstrauen,
die Kehrseite der Hoffnung, den Zweifel an den eigenen Zielen und Methoden des
Kampfes. Und aus welchen Fehlern hatte man was eigentlich gelernt?
Heute ist "Niklashauser Fart" "nur"
noch eine Art Zeitdokument, ein Teil der Selbstdarstellung eines Teils der damaligen
Linken, die sich in wenigen Jahren zersplitterte, verschwand, in Terrorismus
ergoss oder den Marsch durch die Institutionen wagte, aus dem am Ende u.a. "Die
Grünen" hervorgingen. Auf das Werk Fassbinders bezogen allerdings
steht der Film in einem homogenen Kontinuum und ist daher zu Unrecht mehr oder
weniger in Vergessenheit geraten.
Übrigens tritt in dem Film die seinerzeit populäre
Gruppe Amon Düül II auf, die in einer Szene einen ihrer Songs präsentiert.
DVD
Sprache: Deutsch
(Dolby Digital 1.0)
Bildformat:
4:3
Dolby,
HiFi Sound, PAL
DVD Erscheinungstermin:
6. Dezember 2005
Die von Arthaus
editierte DVD enthält den Film in guter Bild- und Tonqualität, allerdings
- bis auf Texttafeln zur Biografie des Regisseurs, einer Fotogalerie und dem
Trailer - kein Bonusmaterial. Das ist bei diesem Film bedauerlich, denn er hätte
schon ein paar erklärender Worte bedurft, insbesondere was den zeitgeschichtlichen
Hintergrund des Films betrifft.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Niklashauser
Fart
Deutschland
1970, 90 Minuten (DVD: 86 Minuten)
Regie:
Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch:
Rainer Werner Fassbinder, Michael Fengler
Musik:
Peer Raben, Amon Düül II
Kamera:
Dietrich Lohmann
Schnitt:
Thea Eymèsz, Rainer Werner Fassbinder
Produktionsdesign:
Kurt Raab
Darsteller:
Michael König (Hans Böhm), Hanna Schygulla (Johanna), Margit Carstensen
(Margarethe), Michael Gordon (Antonio), Rainer Werner Fassbinder (Schwarzer
Mönch), Günther Kaufmann (Bauernführer), Kurt Raab (Bischof),
Franz Maron (Margaretes Mann), Walter Sedlmayr (Pastor), Karl Scheydt (Niklashauser
Bürger), Magdalena Montezuma (Penthesilia), Chris Karrer, Peter Leopold,
Falk Rogner, John Weinzierl (Amon Düül II)
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