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Nobody's
Fool
Liebenswerter
Misanthrop
Misanthropen sind seltene, aber
erstaunlich beliebte Charaktere. Das liegt nicht allein an Beredtsamkeit und
Esprit, mit denen sie ihre Spitzen gegen die Menschheit versehen. Wichtiger
ist die menschliche, die allzumenschliche Schwäche, der auch die Misanthropen
in ihrer (selbst-)gerechten Anklage zum Opfer fallen: Von Menandros (Dyskolos)
über Shakespeare (Timon
of Athens) und
Molière (Le
Misanthrope)
bis hin zu Lars von Trier (Dogville) sind die Radikalmoralisten
am Ende mindestens ebenso besudelt wie das Objekt ihrer Verachtung.
Sully Sullivan (Paul Newman)
hat allein schon durch seinen Vornamen (“besudeln”) das Zeug zum Misanthropen.
Der 60-jährige wohnt in der Kleinstadt
North Bath, die in ihrer depressiven Schneeöde eine Nachbarstadt Fargos
sein könnte. Hier schlägt sich der familienflüchtige Gelegenheitsarbeiter
mit einer Mischung aus Zynismus und – selten – Herz am rechten Fleck durch das
Leben und verteilt Schläge gegen wenig Freund und viel Feind. Als plötzlich
sein von Scheidung und Arbeitslosigkeit geschlagener Sohn auftaucht und ihn
an vergangenes Versagen erinnert, beginnt das alte Raubein über sein Leben
nachzudenken.
Nobody's Fool lebt in erster Linie von seinen
mal bemitleidenswerten, mal verachtenswerten Charakteren und passgenauen Wortfgefechten.
Besonders Newman, so grimmig wie in Hudsucker
Proxy aus dem
gleichen Jahr, geht vollkommen in seiner Rolle auf und findet selbst noch in
Nebenfiguren wie seinem schmierigen Arbeitgeber Carl (Bruce Willis) kongeniale
Gegenspieler. Die durchweg glückliche Besetzung erklärt, warum der
verbale Schlagabtausch selbst da komisch ist, wo er mit Klischees unterster
Güte funktioniert. So antwortet Sully auf das Bekenntnis seines restlos
inkompetenten Anwalts, dieser sei Jude: “You are a jew? How comes you ain't
smart?” Gleichzeitig laufen selbst potenziell kitschige Szenen, die autopädagogischen
Momente innerer Erleuchtung, niemals Gefahr auch so zu wirken, wird Sully sie
doch stets mit einem markigen Spruch quittieren.
Jedoch machen überzeugende
Charaktere und Dialoge allein noch kein gutes Drehbuch aus. Und so leidet Nobody's Fool dramaturgisch unter fragmentarischen
Szenen, die scheinbar wichtige Nebenfiguren andeuten, um sie kurz darauf fallen
zu lassen. An dieser Stelle hat Regisseur und Drehbuchautor Robert Benton einen
klassischen Adaptionsfehler begangen und die Romanvorlage von Richard Russo
nicht hinreichend reduziert, also auf die zentrale Rolle Paul Newmans zusammengestrichen.
Auch hätte der Score, der den Witz manch eines Dialoges
unnötig beschwert, ruhig etwas unpathetischer ausfallen können.
Nobody's Fool ist dennoch ein amüsanter
Ausschnitt aus dem Leben eines liebenswerten Misanthropen. Liebenswert, denn
wie seine Vorgänger zeichnet sich Sully durch eine mindestens ebenso menschliche
Schwäche wie jedermann sonst in seiner Umgebung aus. Und
bekanntlich liebt Elend Gesellschaft.
Thomas Hajduk
Nobody's
Fool - Auf Dauer unwiderstehlich
NOBODY'S
FOOL
Nobody's
Fool - Ein charmanter Dickkopf
USA
- 1994 - 110 min.
Erstaufführung:
23.11.1995/17.5.1996
Video
Regie:
Robert Benton
Buch:
Robert Benton
Vorlage:
nach einem Roman von Richard Russo
Kamera:
John Bailey
Musik:
Schnitt:
John Bloom
Darsteller:
Paul
Newman (Sully)
Jessica
Tandy (Miss Beryl)
Melanie
Griffith (Toby Roebuck)
Bruce
Willis (Carl Roebuck)
Dylan
Walsh (Peter)
Gene
Saks (Wirf)
Josef
Sommer (Clive Peoples jr.)
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