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NoBody’s
Perfect
Bäuerinnen tun es, Sportlerinnen
und Feuerwehrleute auch. Warum, so dachte sich der körperbehinderte Filmemacher
Niko von Glasow, sollten nicht auch zwölf erwachsen gewordene „Contergankinder“
für einen Pin-Up-Kalender posieren? Die Blicke der anderen einmal nicht
aushalten oder parieren, sondern die Lust
an der Inszenierung des eigenen Körpers in der Öffentlichkeit genießen?
„Als Behinderter wirst Du ja immer angestarrt. Ich gehe jetzt in die Offensive,
ich mache Bilder von vorn und sage: Hier! Guckt! Guckt mich an!“, heißt
es einmal in „NoBody’s Perfect“. Das sagt sich allerdings leichter, als es in
die Wirklichkeit überführt wird. Denn, so bezeichnet es der zwölfjährige
Sohn des Regisseurs zu Beginn des Films ganz intuitiv, es geht ja darum, sich
zu „offenbaren“.
Von Glasow hat sich auf die Suche nach
elf Mitstreitern und -streiterinnen gemacht. Von dieser Suche, von vorbereitenden
Gesprächen, Lebensgeschichten, Reflexionen, bis zu den Aktaufnahmen selbst
handelt „NoBody’s Perfect“. Der Filmemacher ist Mitwirkender und Moderator,
agiert schwungvoll und ohne Rücksicht auf „political correctness“. In den
87 Filmminuten lernt man zwölf höchst unterschiedliche, streitbare,
humorvolle, nachdenkliche, starke, engagierte, eigenständige und eigensinnige
Persönlichkeiten kennen. Etwa den eloquenten britischen Schauspieler Mat,
der seine hellsichtigen Positionen luzide und sarkastisch vorträgt; oder
den stillen Gärtner Theo, die erfolgreiche Dressurreiterin Bianca, die
kiebige Doris, den Contergan-Aktivisten Andreas, die kämpferische Kim oder
den Astrophysiker Stefan, der offenbar mit sich im Reinen ist.
Dem Film gelingen starke Szenen, wenn
die Menschen mit Behinderung untereinander über ihre Gefühle, Verletzungen,
Vorstellungen und Perspektiven sprechen. Biografische Anamnese, Familiengeschichten.
Welche Gefühle hegt man gegenüber der Mutter, den Eltern, die seinerzeit
das Schlafmittel Contergan konsumiert haben? Kam der Gedanke an Selbstmord auf?
Wie begegnet man den verschämt-schamlosen Blicken der Öffentlichkeit?
Wie steht es mit der Sexualität, mit der eigenen Familie? Dabei darf gerne
auch einmal vor der Kamera herumgealbert werden. Von Glasow inszeniert seine
Protagonisten betont als Helden, die sich auf unterschiedliche Weise in einer
feindseligen Welt behaupten.
„NoBody’s Perfect“ ist ein in jeder Hinsicht
reicher Film, der sich auch vor unangenehmen Wahrheiten und Einsichten nicht
drückt. Die Contergan-Opfer sind mittlerweile Ende 40 und müssen sich
mit den Fragen des Alterns und der Altersversorgung herumschlagen. Am Ende werden
dann die Kalender-Pin-ups auf der Kölner Domplatte ausgestellt, und man
kann an den unterschiedlichen Reaktionen von Ablehnung bis Begeisterung noch
einmal sehen, wie wichtig dieses Projekt nicht nur für die unmittelbar
Beteiligten ist. Nur allzu gern hätte Niko von Glasow Vertreter der für
Contergan verantwortlichen Firma Grünenthal an diesem Projekt teilhaben
lassen, schließlich ist diese Firma irgendwie auch „Contergan-geschädigt“,
wie von Glasow verschmitzt anmerkt und für einige erstaunliche und entlarvende
Szenen den Michael Moore gibt. Doch die Firmenleitung scheut Popularität
wie Verantwortung und bietet stattdessen nach der spektakulären Ausstrahlung
von Adolf Winkelmanns Fernsehspiel eine Summe, die jedem Contergan-Geschädigten
täglich immerhin lebenslänglich einen Betrag von 1,50 Euro beschert.
„Davon kann ich mir dann ein Eis kaufen“,
merkt der Filmemacher im Presseheft an. Diese Anmerkung passt zum Tonfall des
Films, der viele dissonante Zwischentöne zu einer kräftigen und lebenbejahenden
Melodie verbindet. Wie sagt Pat einmal so treffend, als es darum geht, den Erlös
des Kalenders für einen guten Zweck zu spenden? „Warum muss so was immer
gleich zu einer Mitgefühlsorgie werden?“ Pat weiß, wo das Geld am
meisten Sinn macht: nämlich in seiner eigenen Geldbörse.
Ulrich
Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
NoBody's
Perfect
Deutschland 2008 - Regie: Niko von Glasow - Darsteller: (Mitwirkende) Stefan Fricke, Sofia Plich, Bianca Vogel, Sigrid Kwella, Doris Pakendorf, Theo Zavelberg, Petra Uttenweiler, Andreas Meyer, Kim Morton - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 87 min. - Start: 11.9.2008
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