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No
Country For Old Men
Tötet die
Alten, foltert ihre Jungen
Die Welt taumelt abwärts. Ed Tom Bell, ein faltiger,
melancholisch gewordener Sheriff, erzählt seinem etwas tapsigen Assistenten
Wendell die Geschichte eines Ehepaares, das alte Menschen einlud, gefangen nahm,
zu Tode folterte und dann die Sozialhilfeschecks für sie abholte. Warum
sie ihre Opfer noch folterten, das sei nicht ganz klar gewesen, wundert sich
der Sheriff, »wahrscheinlich kam einfach nichts Gutes im Fernsehen«.
Die Sache wäre erst aufgeflogen, als eines ihrer Opfer schreiend aus dem
Haus rannte, bekleidet nur mit einem Hundehalsband. Die frischen Gräber
im Garten wären nie jemandem aufgefallen und die Schreie auch nicht, es
brauchte schon einen nackten Mann mit Hundehalsband. Angesichts der absurden
Situation kichert Wendell, beherrscht sich aber sofort und schaut schuldbewusst
den Sheriff an. Dieser erwidert ohne jede Gesichtsregung: »Ist schon okay.
Ich lache auch manchmal.«
Der neue Coen-Film, der die Wucht und die Herrlichkeit
eines echten Meisterwerkes mitbringt, spielt so erbarmungslos mit der Lächerlichkeit
des Bösen wie zuletzt nur ihr staubtrockenes Regiedebüt Blood Simple. Genau wie Wendell ertappt man sich in den grässlichsten
Momenten beim Kichern und weiß später nicht mehr genau, warum. Vielleicht,
weil es so lachhaft kleine Momente sind, die zwischen Leben und Tod entscheiden;
vielleicht, weil man manchmal einfach lachen muß, um nicht den Verstand
zu verlieren. In diesem Sinne ist No
Country for Old Men ein gnadenloser
Film geworden, in seiner Schonungslosigkeit gegen die Zuschauererwartungen von
ungeahnter Brutalität. Hier werden Erzählstränge abrupt gewechselt,
manche Protagonisten bleiben früh und völlig unerwartet auf der Strecke,
andere finden bis zum Schluss nicht in die eigentliche Handlung hinein.
Ähnlich wie in A
History of Violence ist es also
weniger die Darstellung der Gewalt, die die eindrückliche und lange anhaltende
Wirkung des Films ausmacht, sondern die Attitüde, die dahintersteht. Die
Coens greifen Krimi-Klischees auf und verdrehen sie bis zum Bruch jeglicher
Erwartung. Diese archetypischen Handlungsfäden (der eiskalte Killer, der
aufrechte Familienmensch, der lebenskluge Sheriff) sind so eingebrannt ins Genre,
dass ihre konsequente Nichtbeachtung durch die Coens selbst erfahrene Filmfreunde
immer wieder auf dem falschen Fuß erwischt – genau wie damals bei Cronenberg.
Wie sein Protagonist arbeitet auch der Film quasi
mit Schalldämpfer: Zwar wird in den Credits der brillante Carter Burwell
(der seit Jahrzehnten auf die verdiente Anerkennung wartet) als Komponist genannt
– allerdings hört man von ihm dieses Mal keine einzige Note. Nur besonders
aufmerksame Zuschauer werden in gerade mal einer Handvoll Szenen einen leise
untermalenden Klangteppich bemerken, nicht mehr als Klimpern und Zischen, kaum
wahrnehmbar über dem Windpfeifen, Grillenzirpen und Windradquietschen der
texanischen Wüste, das an die ähnlich desillusionierten Westerngeräusche
Leones und Morricones erinnert. Der Rest des Films spielt sich in grausiger
Stille ab. Der unbestechliche Roger Deakins komponiert dazu aus dem offenen
Gelände agoraphobische Bilder der Hoffnungslosigkeit – es gibt keine Deckung,
keinen Fluchtpunkt, nur Leere.
Natürlich geht immer etwas schief, von der chaotischen
Überforderung ihrer Figuren lebt der Charme der Coen-Filme – aber selten
ging so viel so grauenhaft schief wie hier. Cormac McCarthys zugrundeliegender
Roman folgt einer dürrenmattesken Konsequenz, der sich keine der Figuren
entziehen kann. Das Grauen kommt vor allem in Gestalt des Auftragskillers Anton
Chigurh (schockierend kalt gespielt von Javier Bardem), dessen absurde Heintje-Frisur
so gar nicht zu seiner glupschäugigen Mordlust passen mag. Dass er eine
Druckluftpistole verwendet, wie sie beim Töten von Rindern eingesetzt wird,
darf durchaus symbolisch gesehen werden – dieser Mann ist ein Schlächter
in jedem Wortsinn, und seine Indifferenz gegenüber menschlichem Leben ist
gespenstisch. Ihm gegenüber stehen ein erstaunlich patenter Jäger,
ein prahlerischer Arbeitskollege und besagter Altsheriff – und doch ist sehr
früh klar, dass in dieser Welt keine Erlösung mehr zu finden ist –
für niemanden.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
No Country
for Old Men
USA 2007
- Regie: Joel Coen, Ethan Coen - Darsteller: Tommy Lee Jones, Javier Bardem,
Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly MacDonald, Garret Dillahunt, Tess Harper,
Barry Corbin - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge:
122 min. - Start: 28.2.2008
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