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Nosferatu
– Eine Symphonie des Grauens
Vampyr 1922
F.W. Murnaus "Nosferatu" ist nicht nur
einer der einflussreichsten, sondern auch nach über achtzig Jahren noch
einer der besten Vampirfilme, die jemals gedreht wurden. Als Stummfilm aus dem
Jahre 1922 beeindruckt die maßgeblich an Bram Stokers >>gothic novel<<
"Dracula" orientierte Geschichte (der Regisseur erhielt keine Rechte
an der Verfilmung des Originals und griff so zu fadenscheiniger Verhüllung
der Namen unter Beibehaltung aller wesentlich grundlegenden Motive der Literaturvorlage)
durch einen fies konstruierten Spannungsbogen, finstere Vorausdeutungen, beeindruckende
Kulissen und vor allem genial in Szene gesetzte Licht- und Schattenspiele.
Der junge Angestellte Thomas Hutter reist, unter
Aussicht auf eine fette Provision selbst nachlässig geworden, im Auftrag
des geldgierigen Immobilienmaklers Knock nach Transsylvanien - ins Reich der
Schatten, Geister und Räuber, wie es in den Zwischentiteln heißt
- um dort den Grafen Orlok zu besuchen, welcher ein verlassenes Haus in der
Kleinstadt Wisborg anzumieten gedenkt. Seine Verlobte Ellen vertraut er der
Obhut von vermögenden Freunden an - ihre Sorge um ihn nicht weiter beachtend.
Je näher er dem Schloss des Grafen kommt, um so unheimlichere Zeichen offenbaren
sich ihm: Scheue Tiere, abergläubische Dorfbewohner, ein Buch über
den Nosferatu Vampyr - und Kutscher, die sich weigern, über eine imaginäre
Bannmeile rund um das Schloss - oder besser gesagt, die Ruine - des Grafen Orlok
hinaus zu fahren...
Das Grauen stammt hier noch eher aus dem Wissen des
Zuschauers, das noch etwas Schlimmes passieren wird - denn Vorausdeutungen gab
es schon zuvor (zum Beispiel als Hutter seine Verlobte mit einem Blumenstrauß
zu verführen sucht, und diese nur melancholisch fragt, warum er die Pflanzen
getötet habe; oder ihr außerordentlich furchtsames Verhalten und
die aus ihrem Gesicht deutlich abzulesenden, unterdrückten Ahnungen - welche
der angesichts seines vielversprechenden Auftrags vor Unternehmungslust verblendete
Thomas Hutter an ihr gar nicht mehr wahrgenommen hatte). Doch Hutter hat im
Geiste nur Spott für die Zurückhaltung der Landbewohner und ihre Omengläubigkeit
übrig, und begibt sich so zu Fuß gen Orloks gräfliches Domizil.
Dort wird er von diesem persönlich empfangen - und sonst ist im verfallenen
Schloss auch keine einzige Seele anzutreffen. Orlok gibt sich als gänzlich
verhaltener, durchweg verschrobener Typ, und stocksteif wie eine Leiche. Nur
als Hutter sich, vom Glockenschlag einer grotesken Uhr mit Sensenmann erschrocken,
in den Finger schneidet, fährt Leben in den Alten: "Ihr Blut. Ihr
kostbares Blut!", spricht er den verstörten Hutter an - und saugt
es ihm vom Finger. Auch bittet er ihn mit zwingender Gestik und Ausstrahlung,
Orlok die Nacht hindurch Gesellschaft zu leisten, da dieser tagsüber wie
ein Stein zu schlafen pflege. Auch Hutter kommt so erst gegen Morgengrauen zu
Schlaf, hat bedrückende Träume und wacht zerstochen von Moskitos auf,
schlimme Biester, die ihm auch tagsüber nicht vom Hals wollen - so schreibt
er seiner Ellen am nächsten Tag. Doch auch Ellen schläft unruhig,
beginnt zu schlafwandeln, und hat dunkle Träume. Zu spät bemerkt Hutter,
der selber bereits unter den Bann des telepathisch-hypnotischen Grafen geraten
ist, mit wem er es da zu tun hat.
Als Orlok auf einem Schiff, beladen mit Friedhofserde
- aus der er seine unheimliche Kraft zu ziehen scheint -, die Reise nach Wisborg
antritt, ahnt Hutter, worauf es der Graf abgesehen hat; denn dieser komplimentierte
ihm bereits am Vorabend auf verstörende Weise zum schönen Halse seiner
Verlobten...
In Wisborg selbst kündet neben Ellens nur halb
bewussten, schauerlichen Visionen auch das Verhalten des inzwischen wahnsinnig
gewordenen Hausverwalters Krock vom heraufdämmernden Grauen, und tatsächlich
trägt Graf Orlok bei seiner Landung nicht nur Särge voller Erde, sondern
auch Ratten, Krankheit und Tod in die Stadt. Mal baut er nur abwartend auf die
Panik ihrer Bewohner, und dann wieder scheint er ihnen einen Schritt voraus.
Als der verzweifelte Hutter endlich wieder nach Hause zurückkehrt, greift
bereits die Pest um sich, und die Furcht vor dem Vampyr geht um. Obwohl er Ellen
vor dem geheimnisvollen Buch über den "Nosferatu" warnt, beginnt
diese heimlich darin zu lesen...
Neben primitiven Farbtönungen, welche in einer
Art Grundierung über verschiedene Strecken des schwarzweißen Filmmaterials
gelegt für eine symbolische Vertiefung der jeweiligen Stimmung sorgen,
beeindrucken optisch auch diverse Spezialeffekte wie bewusst eingesetzte, subtil
angelegte Zeitrafferaufnahmen, transparente Überblendungen, groteske perspektivische
Verfremdungen im Kulissenaufbau - und nicht zuletzt auch die in Anwesenheit
von Nosferatu Orlok wie von Zauberhand geöffneten und geschlossenen Türen.
Zahlreiche symbolisch angelegte, und äußerst bedrohlich wirkende
Schattenspiele, die scherenschnittartig für zusätzlichen Grusel sorgen,
sowie das stocksteife Mienenspiel und die morbiden, langsamen Bewegungen Orloks
werden kongenial von der beeindruckenden Maske ergänzt, die dem Ungetüm
eine Aura des schlaflosen Todes verleihen, versetzt mit einem Hauch Insektenhaftigkeit
und müder Traurigkeit.
Zahlreiche Entsprechungen, die aber doch irgendwie
schief und unerklärlich bleiben, sorgen zusätzlich für Verrätselung
und halten so die nervliche Anspannung aufrecht, auch wenn die unmittelbar folgende
Entwicklung des Filmverlaufs absehbar zu sein scheint. Grandios ist auch das
Tempo des Films, welches zum einen von marternden Verzögerungen, zum anderen
aber auch von perfekten Schnitten bestimmt ist.
So wirkt die mittlerweile tausendmal ausgekochte
Story auch heute noch bedrohlich. Nicht zu empfehlen ist jedoch die nachträgliche
Vertonung mit elektronischer Musik. Da greife man, wenn es denn schon Begleitung
sein soll, doch besser zum eigenen Plattenschrank und suche sich ein passend
morbides Stimmungsgemälde heraus. Ich empfehle dazu "Black Earth"
von BOHREN UND DER CLUB OF GORE gefolgt von AUTUMNBLAZEs "Bleak";
wenn man den Ablauf zu Beginn und im Anschluss mit glücklicher Hand synchronisiert
bekommt, dann hat man damit sogar für einige nahezu perfekt untermalte
Szenen gesorgt - und muss überraschenderweise kaum atmosphärische
Störungen in Kauf nehmen: Kaum zu glauben!
Wie dem auch sei, so oder so ist "Nosferatu.
Eine Symphonie des Grauens" ein filmisches Meisterwerk, das ich hiermit
allen Film-, Vampir- und Grusel-Freaks aufs Nachdrücklichste empfohlen
zu haben gewusst haben möchte.
E. Schmitz
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: www.ciao.de
Nosferatu
- Eine Symphonie des Grauens
Deutschland
- 1921/22 - 84 min. - schwarzweiß, teils schwarzweiß
FSK:
ab 16; nicht feiertagsfrei - Prädikat: wertvoll - Verleih: offen - Erstaufführung:
4.3.1922/23.6.1969 ARD/4.4.1981 DFF 1/29.12.1988 ZDF (rekonstr. Fassung) - Produktionsfirma:
Prana - Produktion: Friedrich Wilhelm Murnau
Regie:
Friedrich Wilhelm Murnau
Buch:
Henrik Galeen
Vorlage:
nach dem Roman "Dracula" von Bram Stoker
Kamera:
Fritz Arno Wagner, Günther Krampf
Musik:
Peter Schirmann, Hans Posegga (Neuvertonung)
Darsteller:
Max
Schreck (Graf Orlok/Nosferatu)
Gustav
von Wangenheim (Hutter)
Greta
Schröder (Ellen Hutter)
Ruth
Landshoff (Lucy Westrenka)
Alexander
Granach (Knock, Makler)
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