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Nosferatu:
Phantom der Nacht
„Das,
was ich darstelle, ist auch
in
mir. Es ist ein Schrei nach Liebe,
der
Ausdruck der Verzweiflung oder
der
Hoffnung. Insofern bin ich
selbst
Nosferatu.”
(Klaus
Kinski)
F.W.
Murnaus „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens” aus dem Jahre 1922 gehört
zu den Meilensteinen des Horrorfilms. Für viele, und übrigens auch
für Werner Herzog, könnte dieser Film in einem Remake nicht übertroffen
werden. Und Herzogs Adaption des Stoffes ist auch eher eine Mischung aus eigener
Interpretation des Stoffs und Hommage an Murnaus Klassiker, in der er keinen
Anspruch darauf erhebt, dem Original „nahe zu kommen”. Herzog hätte diesen
Film, wie er sagte, ohne Klaus Kinski in der Hauptrolle nicht gedreht. Kinski
war für ihn der einzig in Frage kommende Graf Dracula. Und der Film beweist,
dass dies die einzig richtige Wahl war.
Für
„Nosferatu” konnte sich der Regisseur neben den Schauspielern vor allem auf
zwei Leute stützen, die den Film zu einem visuellen Genuss werden lassen:
auf Jörg Schmidt-Reitwein hinter der Kamera, dem Herzog zu Recht insbesondere
bezüglich des „Spiels” von Licht und Schatten besondere Qualitäten
bescheinigt, und Produktionsdesigner Henning von Gierke, der seine besonderen
Fähigkeiten, beeindruckende Schauplätze zu schaffen, hier voll ausschöpfte
(Inneneinrichtungen der Räume in Wismar, des Gasthauses in Transsylvanien
usw.). Hinzu kommt die gerade für diesen Film äußerst wichtige,
oft an geistliche Musik erinnernde Musik von Popol Vuh, einer in den 70er Jahren
sehr bekannten deutschen Gruppe, die die Atmosphäre der Geschichte, den
schleichenden Schrecken, das Leiden Draculas und das Leiden der Menschen exzellent
betont.
Gedreht
wurde u.a. in Delft (die Handlung spielt in Wismar), der östlichen Tschechoslowakei
(in Rumänien bekam Herzog keine Dreherlaubnis), der Partnach-Klamm in Bayern,
auf Schloss Pernstein (Schloss des Grafen Dracula) und in Telc (Tschechoslowakei).
Jonathan
Harker (Bruno Ganz) bekommt von dem Immobilienmakler Renfield (Roland Topor)
den Auftrag, nach Transsylvanien zu reisen, um dem dort lebenden Graf Dracula
(Klaus Kinski) ein Haus in Wismar zu verkaufen. Jonathans Frau Lucy (Isabelle
Adjani) hat ein ungutes Gefühl bezüglich dieser Reise. Sie hat Alpträume
und möchte am liebsten, dass ihr Mann nicht reist.
Nach
vier Wochen erreicht Jonathan zu Pferd sein Ziel. In einem Gasthaus wird er
vom Wirt und den dort sitzenden Zigeunern eindringlich gewarnt. Nie sei jemand
aus dem Gebiet hinter dem Borgo-Pass zurückgekehrt. Doch Jonathan, dem
man kein frisches Pferd leihen will, geht zu Fuß los, übersteigt
den Pass und sieht das von weitem verfallen aussehende Schloss des Grafen, der
ihn kurz darauf des nachts empfängt.
Dracula
unterschreibt den Kaufvertrag. Er kann sich kaum unter Kontrolle halten, als
Jonathan sich in den Finger schneidet (übrigens die einzige Szene, in der
Blut zu sehen ist), saugt – und wenig später beißt er ihn in den
Hals. Als Jonathan morgens erwacht, findet er die Gruft des Grafen, der dort
in einem Sarg liegt. Am Abend sieht er, wie der Graf sich in einen Holzsarg
legt, und mit anderen Särgen auf einem Wagen davon fährt. Jonathan
ahnt Schreckliches. Er glaubt Lucy in Gefahr, denn Dracula hatte das Bildnis
Lucys gesehen und war entzückt. Der Graf begibt sich auf ein Schiff, um
nach Wismar zu fahren. Vorher hat er sämtliche Türen seines Schlosses
versperrt, und Jonathan muss sich an einem aus Bettlaken geknoteten Seil aus
dem Fenster hangeln. Er macht sich, verzweifelt und von Fieber geplagt, auf
den Rückweg nach Wismar zu Pferd.
Der
Graf kommt vor Jonathan in Wismar an. Jonathan, völlig erschöpft,
erkennt seine Frau nicht wieder. Blass sitzt er in seinem Zimmer. Und kurze
Zeit später sterben immer mehr Einwohner von Wismar an der Pest. Ratten
bevölkern die Stadt.
Nur
Lucy erkennt, dass Dracula, der ihr nachts im Zimmer aufgelauert hat, die Ursache
für Tod und Verderben ist. Sie entschließt sich, den Grafen zu vernichten
...
„Ich
liebe die Dunkelheit und die
Schatten,
wo ich mit meinen
Gedanken
allein sein kann.”
(Graf
Dracula)
Herzogs
Inszenierung der Dracula-Geschichte auf Basis des Romans von Bram Stoker ist
in jeder Hinsicht ein visueller und erzählerischer Genuss. Kinski überzeugt
in seiner Darstellung als unter Unsterblichkeit leidender, vereinsamter Dracula,
der sich nach Liebe sehnt. Als er das Bild von Lucy im Medaillon Jonathans sieht,
ist es um ihn geschehen. Er will sich mit Lucy vereinen. Kinski spielt diesen
Dracula als verzweifelten, ja deprimierten Unsterblichen, und zugleich als Schreckensgestalt,
die kein Erbarmen kennt. Verstärkt wird diese schauspielerische Leistung
vor allem durch die von der japanischen Maskenbildnerin Reiko Kruk hergestellte
Maske. Kinski, glatzköpfig, mit weißem Gesicht, rot umrandeten Augen,
großen Ohren und überlangen, spitz zulaufenden Fingernägeln,
ist zwar nicht einmal in einem Drittel des Films zu sehen. Doch seine Präsenz
ist durch die Art der Inszenierung von Anfang an zu spüren – sei es durch
die (übrigens einem Tierfilm entnommene) mehrfach im Flug gezeigte Fledermaus
(einen „Fliegenden Hund”), sei es durch die düsteren Vorahnungen Lucys,
sei es durch die Schrecksekunden, die Jonathan dem Wirt und den Zigeunern in
dem Gasthaus bereitet, als er nach dem Weg zu Dracula fragt, vor allem aber
durch die langen Sequenzen ab dem Zeitpunkt, als Jonathan sich zu Fuß
aufmacht, um das Schloss des Grafen zu finden.
Jonathan
geht durch eine Klamm, über riesige Felsbrocken, unter einem Himmel, der
sich verfinstert bzw. vernebelt. Unterstützt durch die Musik Popul Vuhs
und einen Ausschnitt aus Wagners „Rheingold” entsteht eine zunehmend bedrohliche
Atmosphäre, bevor Dracula ins Bild rückt.
Die
Landschaftsbilder, die Einrichtung des Gasthauses, aber auch der Spaziergang
Jonathans mit Lucy am Strand zu Anfang des Films erinnern stark an die Romantik.
Henning von Gierke legte beim Szenenbild sehr viel Wert auf Details und deren
Anordnung, was dann insgesamt dem Film zu einer beeindruckenden Szenerie verhalf.
Innenwelten
sind Herzogs Thema in allen seinen Spielfilmen. Im Audiokommentar der DVD distanziert
sich Herzog zwar von einer theoretischen Erörterung des Films; er gehe
an seine Filme nicht theoretisch heran, und zur Romantik habe er eigentlich
gar keine Beziehung. Trotzdem spricht der Film in dieser Hinsicht „Bände”.
In Wismar z.B. wollen die aufgeklärten Bürger, insbesondere der Arzt
Dr. van Helsing (Walter Ladengast), Lucy nicht glauben, die von Nosferatu, Vampiren
und Untoten erzählt; alles, was passiere, könne man, auch wenn es
länger dauere, mit wissenschaftlichen Methoden erklären, meint van
Helsing. Als die Pest sich weiter ausbreitet, dinieren die überlebenden
Einwohner in ihrer Hilflosigkeit an großen Tischen auf den Straßen,
tanzen und machen Musik, bis auch sie der Tod ereilt. Dieser Konflikt zwischen
aufgeklärtem Bürgertum, das sich in seiner Welt absolut sicher fühlt,
und dem Hereinbrechen von etwas Unerklärlichem, das Verzweiflung und den
Tod bringt, durchzieht den ganzen Film.
Herzogs
Filme werden jedoch noch von anderen Gegensätzen durchzogen. Verdrängte
Ängste manifestieren sich in einer außergewöhnlichen Gestalt,
die Außergewöhnliches tun will oder tut, hier Dracula. Innenwelten
visualisieren sich in Schreckensgestalten, in denen das Leiden über die
leidenden Personen hinaus sichtbar wird. Dabei erhalten diese Schreckensgestalten
eine eigene Personalität. Dracula ist bei Herzog im Grunde die am meisten
leidende Gestalt, ein Untoter, ein Nicht-Sterblicher, einer, der sich nach Liebe
sehnt, sie aber nicht erreichen kann, nur in der verzweifelten Hoffnung „lebt”,
in einem anderen Menschen, hier Lucy, diese Zuneigung zu finden.
Schon
in den Eingangssequenzen des Films wird dieses Leiden als Grundthema des Films
sichtbar. Herzog zeigte mumifizierte Leichen, mit verzweifelten, angsterfüllten
Gesichtsausdrücken. Manchmal wirken sie wie Figuren, die man hier und da
an einem Dom oder Münster in Stein gemeißelt sehen kann.
Doch
„Nosferatu” hat noch eine andere Dimension: die von Liebe und Tod. Lucy opfert
sich gegen Schluss des Films, um Dracula zu zerstören. In ihrer Liebe zu
Jonathan und zu den Menschen ihrer Umgebung ist der Tod für sie die einzige
Möglichkeit, um die anderen zu retten. Und in diesem tragischen Schicksal
erweist sich zugleich ihr tragischer Irrtum. Denn obwohl Dracula im Tageslicht
sterben muss, steht der Nachfolger schon bereit.
Ein
Moment, was in Herzogs Filmen auch immer wieder auftaucht, ist die sozusagen
aus Naturverbundenheit resultierende Weisheit der sog. nicht zivilisierten Völker.
In „Nosferatu” sind es die Zigeuner, die um die Gefahr wissen, Jonathan aber
nicht zurückhalten können. Sie stehen sowohl der äußeren
Natur, als auch der menschlichen Natur und ihren Abgründe näher, sind
sich dieser Dinge bewusster als die „Zivilisierten”, die Eroberer, die Kolonialisten,
die Aufgeklärten.
Was
bleibt, ist zu erwähnen, dass Herzog mit Bruno Ganz und Isabelle Adjani
in den beiden anderen Hauptrollen des Films, aber auch mit Roland Topor, der
in seiner Rolle als Renfield nach jedem Satz auf eine eigentümliche Weise
kichert und auf diese Weise dem Gehilfen Draculas das passende „Outfit” verpasst,
und mit Walter Ladengast als Dr. van Helsing eine hervorragende Besetzung gelang.
DVD
Ton:
Deutsch 5.1 Dolby Digital, Dolby Sorround
Bild:
1,85:1 (16:9 anamorph), DVD 9, Regionalcode 2
Die
von Arthaus herausgegebene DVD, Teil der aus sechs DVDs bestehenden „Klaus Kinski
Werner Herzog Exklusiv Edition” (sie enthält neben „Nosferatu” noch: „Aguirre,
der Zorn Gottes”,
„Woyzeck”,
„Fitzcarraldo”, „Cobra Verde” und „Mein
liebster Feind”),
präsentiert den Film in mehr als akzeptaber Bild- und Tonqualität.
Insbesondere der Audio-Kommentar von Regisseur Herzog (im Gespräch mit
Produzent Laurens Straub), teilweise auch das englischsprachige Making Of ergänzen
die DVD durch Interessantes, was Herzog über die Entstehung des Films und
die Beteiligten zu erzählen weiß.
Wertung
Film: 10 von 10 Punkten.
Prädikat:
Besonders wertvoll.
Wertung
DVD: 9 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist auch erschienen in:
Nosferatu:
Phantom der Nacht
(USA:
Nosferatu the Vampyre)
Deutschland
1979, 107 Minuten
Regie:
Werner Herzog
Drehbuch:
Werner Herzog, nach dem Roman „Dracula” von Bram Stoker
Musik:
Popol Vuh
Director
of Photography: Jörg Schmidt-Reitwein
Montage:
Beate Mainka-Jellinghaus
Produktionsdesign:
Henning von Gierke
Darsteller:
Klaus Kinski (Graf Dracula), Isabelle Adjani (Lucy Harker), Bruno Ganz (Jonathan
Harker), Roland Topor (Renfield), Walter Ladengast (Dr. van Helsing), Dan van
Husen (Gefängnisleiter), Jan Groth (Hafenmeister), Carsten Bodinus (Schrader),
Martje Grohmann (Mina)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0079641
©
Ulrich Behrens 2005
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