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Number
23
Vielleicht nicht erst seit, aber
spätestens mit dem Kulterfolg von Robert Anton Wilsons „Illuminatus!“-Trilogie
ist die eigenwillige Paarung von Numerologie und Verschwörungstheorien
auch hierzulande ein fester Bestandteil der Popkultur geworden. Seither ist
es ein beliebtes Spiel, die Daten bestimmter Ereignisse (Shakespeares Geburts-
und Sterbedatum; das Geburtsdatum von Charles Manson; das Datum des Untergangs
der „Titanic“; 9/11/2001; David Beckhams Trikotnummer) so lange anzugucken,
dabei Quersummen oder Zahlendreher zu bilden, bis unterm Strich eine „23“ stehen
bleibt. Ob es sich dabei nun um ein Indiz für eine umfassende Verschwörung
der Freimaurer, der Weisen von Zion oder des internationalen Finanzkapitals
handelt, ist letztlich unwichtig, Hauptsache, es scheint ein zunächst verborgener
Zusammenhang auf. Dass das so erstaunlich „geheimnisvolle“ Zahlenphänomen
der „23“ noch geheimnisvoller ausfällt, je mehr Informationen man daraufhin
abgleichen kann, davon erzählte bereits Hans-Christian Schmid in seinem
gelungenen 1980er-Jahre Hacker-Thriller „23“
(fd 33 482).
Joel Schumacher schaltet medientechnisch
erst einmal wieder einen Gang zurück, denn in „Number 23“ dreht sich das
Geschehen zunächst um ein mysteriöses rotes Buch mit dem Titel „Die
Nummer 23“, das in einem Antiquariat so auffällig drapiert ist, dass Agatha
Sparrow es geradezu erwerben muss. Es handelt sich um ein Typoskript, das offenbar
vom Autor Tobsy Cret im Selbstverlag publiziert wurde. Ein ideales Geburtstagsgeschenk
für ihren Mann, den scheinbar ganz gutmütigen Tierfänger Walter,
denkt sich Agatha – und liegt damit weit richtiger, als sie es ahnen konnte.
Walter fesselt die Lektüre des Buches, das die Geschichte des Detektivs
Fingerling erzählt, der nicht nur der geheimnisvollen und verführerischen
Fabrizia verfällt, sondern auch der titelgebenden „Nummer 23“. Fingerling
glaubt sich als Zielscheibe eines Komplotts, das ihn zwingt, einen Mord zu begehen.
Je länger Walter liest, desto häufiger stolpert er über Parallelen
zu seiner eigenen Biografie. Kann das Zufall sein? Oder soll ihm die Geschichte einen Weg weisen? Was
weiß Tobsy Cret von Walter Sparrow? Neugierig geworden, begibt sich Walter
auf eine unheimliche Recherche. Realität und Fiktion fließen im Laufe
des Films, der (auch) eine Reise in den Wahnsinn beschreibt, immer mehr zu einer
Einheit, letztlich zu einer Abfolge von Déjà-Vus ineinander.
Joel Schumacher setzt auf die
künstlerischen Möglichkeiten eines kreativen, doppelbödigen Drehbuchs,
wie es seit „Being John Malkovich“ (fd 34 219) oder aktuell „Schräger als Fiktion“ (fd 38 011) immer häufiger an den Rändern des Hollywood-Mainstreams
möglich scheint. Jim Carrey hat vergleichbares, jedoch ungleich radikaleres
Terrain bereits in „Vergiss mein nicht!“ (fd 36 491) beschritten. So funktioniert auch diese Studie in
Paranoia mit allerlei Verdoppelungen, Spiegelungen und Re-Visionen über
weite Strecken ganz annehmbar, bis sich das allerdings früh absehbare Geheimnis
hinter dem seltsamen Buch offenbart. Genau in diesem Moment – Höhepunkt
des Films ist ein Wahnsinnsschub des Protagonisten, der in Mabuse-Manier ein
Hotelzimmer mit geschriebenen Botschaften verziert – geht der Film nun den öden
Weg der Umwertung und Neudeutung aller bislang gelieferten Informationen, was
ihm strukturell das Genick bricht.
Denn so mysteriös Handlungsverlauf
und Bilderwelten bis dato etabliert worden waren, so pedantisch wird jetzt jedes
einzelne Puzzleteilchen in seinen richtigen und eindeutigen Zusammenhang gebracht,
bis eine umfassende Ordnung wiederhergestellt ist und der Film fast jedes Geheimnis
verloren hat. So ist „The Number 23“ „much ado about almost nothing“, dies aber
visuell und darstellerisch durchaus ambitioniert. Nur welche Rolle nun eigentlich
die „23“ innerhalb dieses sich kompliziert gebenden Aufarbeitungsszenarios gespielt
haben mag, dieses Geheimnis gibt der Film letztlich nicht preis. Ob das etwas
zu bedeuten hat?
Ulrich Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-dienst
Number
23
USA 2007 - Originaltitel: The Number 23 - Regie: Joel Schumacher - Darsteller: Jim Carrey, Virginia Madsen, Logan Lerman, Danny Huston, Rhona Mitra, Lynn Collins, Michelle Arthur, Paul Butcher - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 98 min. - Start: 22.3.2007
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