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Offside
Im Abseits
sind Frauen im Iran. Ins Stadion zu gehen, ist ihnen verboten. Wie also kommen
die jungen Teheranerinnen, Fußballfans, trotzdem in die Arena? Juni 2005.
Iran gegen Bahrein. Wer siegt, hat sich qualifiziert, zur WM nach Deutschland
zu fahren. Viel steht auf dem Spiel. Die Mädchen verkleiden sich als Jungs.
Geht das gut?
Regisseur
Jafar Panahi dreht vor Ort zur realen Zeit mit begnadeten Laiendarstellern.
Die jungen Frauen sind vital und präsent, egal, ob sie von den Soldaten
eingesammelt und vor dem Stadion bewacht werden. Was verklemmt und überholt
wirkt, das sind die Verbote und die, die sie durchzusetzen versuchen. Die "Traditionalisten"
werden von den Mädchen schlagfertig vorgeführt. Panahi hat sein Fußballverbot
mit den Widersprüchen und Unbegreiflichkeiten seines Landes angereichert,
aber wir bleiben beim Konkreten. Es wird nicht verallgemeinert, moralisiert
oder analysiert. Aber mit beträchtlichem Witz wird das Absurde und Paradoxe
herausgekitzelt, Irans Alltag. "Offside" ist auch eine Dialogkomödie.
Die Mädchen treten nicht als Betroffene auf. Sie händeln die Situation.
Die Männer haben das Nachsehen. Fazit: der Film macht Mut, so trist die
Realität ist. Im italienischen Neorealismus der Nachkriegszeit gab es ähnliche
Bilder.
"Iran,
Land der Quellen", tönt es patriotisch zu Beginn des Films. - "Unser
Land ist am Vertrocknen. Ich sollte auf dem Land sein. Meine Mutter schafft
die Arbeit nicht", beklagt sich der junge Wehrpflichtige, der die Fans
bewacht. - Wie von ungefähr thematisiert der Film, daß es im Iran
keinen Zivildienst gibt. Damit können die Frauen Bundesgenossen unter den
Soldaten finden, die lieber ganz woanders wären. Genüsslich werden
Hardliner vorgeführt. Ich muß dringend auf die Toilette. - Es gibt
keine Frauen-WCs. - Ich hab Jungszeug an. - Nein. - Und wenn Männer Fummel
tragen? - Äh. - Ein Langhaariger kommt von hinten ins Bild. Der Soldat:
"Bist du Mann oder Frau?" - "Komm ins Klo: Ich zeigs dir".
- Also nochmal: die Frauen in "Offside" zeigen es den Männern.
Ein Soldat kriegt sogar das Handy eines der Mädchen, damit er noch schnell
seine Beziehung regeln kann. Währenddessen führt hinter der Stadionmauer
das Spiel zum Sieg für den Iran. "Wir fahren nach Deutschland".
Die Euphorie verbindet Bewachte und Bewacher. Fußball hebelt die Werte-Gesetze
aus. "Zieh den Schador aus".
Das exemplarische
Spiel ist so einfach wie möglich, "dokumentarisch". Wir bekommen
die Realität Irans zu Gesicht, den Alltag und seine Latenzen. Wir können
auf die Kraft der Frauen vertrauen. - Ein aufregendes Ergebnis, wenn uns bis
dahin die Medien nur mit alten Eifernden und aggressiven Politikern versorgt
haben. Die
Emanzipationskomödie läuft hier bei uns. Im iranischen Kino waren
Panahis Filme nie erlaubt worden. "Offside" drehte er, dem Militär
zu Trotz (Stopp der Dreharbeiten! Muster vorlegen!), fern der Metropole zu Ende.
Von außen
gesehen ist es ein merkwürdiges Gewähren lassen. Panahi verarscht
liebevoll die Traditionalisten. Die Behörden verhindern nicht, dass seine
Filme seit 1995 zustande - und auf die großen Festivals kommen, wo sie
regelmäßig Preise einfahren und Irans Ruhm mehren: das Debut "The
White Balloon" in Cannes, "The Mirror" in Locarno, "The
Circle"
in Venedig, "Crimson
Gold"
wieder in Cannes und "Offside" 2006 in Berlin (Silberner Bär).
- Während dieser elf Jahre ist Dramatisches passiert: die Düsternis
der ersten Frauenbildnisse wich frecher Unbekümmertheit. Jedenfalls bei
den Teheranerinnen, die Fans des internationalen Fußballsports sind.
Dietrich
Kuhlbrodt
Dieser Text erscheint
auch in der taz
Offside
Iran
2006 - Regie: Jafar Panahi - Darsteller: Sima Mobarak Shahi, Safar Samandar,
Shayesteh Irani, M. Kheyrabadi, Ida Sadeghi, Golnaz Farmani, Mahnaz Zabihi,
Nazanin Sedighzadeh, Mohsen Tanabandeh, Reza Farhadi - Länge: 88 min. -
Start: 29.6.2006
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