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On the Marriage Broker Joke
as cited by Sigmund Freud in Wit and its Relation to the Unconscious or Can the
Avantgarde Artist be Wholed?
Sitzen
zwei Pandabären in ihrem Wohnzimmer. Fragt
der eine: "What is a 'structural film'?" Sagt der andere:
"That’s easy, everybody knows what a structural film is. It’s when
engineers design an aeroplane, or a bridge, and they build a model to find out
if it will fall apart too soon. The film shows where all the stresses are."
Gesetzt
den Fall, dass man überhaupt die Möglichkeit dazu hat: Wo und wie soll man
experimentelle Filme sehen? Im Kino (in eigentlich unzumutbaren, weil
unverdaubaren einstündigen Blöcken) oder auf Video/DVD (in einem eigentlich
unzumutbaren, unkinematographischen Fernseh-Dispositiv)? Und: Soll man einfach
Augen und Ohren aufreißen und sich überspülen lassen, oder sich den Kopf über
mögliche ästhetische Konzepte, tiefere Bedeutungsschichten und kulturelle
Querverweise zermartern?
Verzwickte,
wichtigtuerische Fragen, aus pragmatischer Perspektive aber recht entbehrliche:
Natürlich ist Kino besser als Fernsehen, sofern die Möglichkeit halt besteht.
Und: Wie man die Filme sieht, was man mitbekommt und was nicht, das hat mehr
mit der Lenkung/dem Angebot der Filme und der augenblicklichen Verfassung zu
tun als mit einer freien Vorentscheidung zwischen Distanz und Einfühlung.
Wichtig ist, dass experimentelle Filme gesehen werden.
Komplexe
Überlegungen ins Leere und rettende durchschlagende Einfälle. Damit sind wir
auch schon beim Thema: George Landow (a.k.a. Owen Land), Avantgardefilmemacher
(avant zu was, weiß er eigenem Bekunden nach selber nicht). Landows Werk
ist ein guter Ausgangspunkt, um experimentellen Film kennen zu lernen, und On
the Marriage Broker Joke… ist ein guter Ausgangspunkt, um Landows Werks
kennen zu lernen. Der Grund in beiden Fällen: Landows Humor, der immer klar
stellt, dass experimentelle Filme im Allgemeinen eigentlich nicht als
Denksportaufgaben zum fachgemäßen Filetieren durch akademische Eliten
hergestellt werden, sondern zum Genuss durch ein waches und abenteuerlustiges
Publikum.
"The
process of making this film is very much like cooking", heißt es in Wide
Angle Saxon, einem anderen Hauptwerk Landows einmal, und das gilt für seinen
raffinierten wie unverkrampften Umgang mit dem Laufbild überhaupt:
Experimenteller Film bedeutet zuerst einmal eine Befreiung aus dem Zwang der
Narration, als ein hakenschlagendes Auslegen von Bild- und Tonfährten, das eben
nicht nur angestrengte Grübelei bedeutet, sondern auch: heilsame
Gedankensprünge am Rand zur Anarchie und - ganz im Sinne des Kochens - ein
sinnliches, durchaus auch intuitives Mischen verschiedenster Zutaten. Ein
Gedicht über die sprocket holes des Filmstreifens liegt hier ebenso nahe
wie ein unsanfter filmischer Ellbogenrempler gegen den Fernsehpianisten Lee
Liberace (hier verkörpert vom experimentellen Filmemacher Paul Sharits).
Aus diesem radikal persönlichen Filmschaffen heraus lässt sich auch Landows heftige Abwehr gegen das von vielen anderen experimentellen Filmkünstlern seiner Generation in Anspruch genommene starrhalsige Etikett eines "strukturellen Films" verstehen, von der die eingangs erwähnte Szene zeugt. Solche Verweigerung gegen allzu große Rigidität bedeutet allerdings keineswegs gedankenfeindliche "Bodenhaftung". Im Gegenteil: Die Assoziationsnetze, die Landow konstruiert, sind kühn und idiosynkratisch, und gerade in der beiläufigen Staffelung von Ebenen scharf selbstreflexiv: Ein Mann erläutert anhand einer Schautafel in sachlich-wissenschaftlichem Duktus mögliche Interpretationen des Gesehenen, dann sehen wir eine Familie, die dessen Vortrag im Fernsehen verfolgt, aber gleich durch Sitcom-Lacher auf eine Pointe wiederum als Binnenteil der vorgenommenen Medienanalyse ausgewiesen wird.
Demnach
lässt sich auch dem imposanten Titel von On the Marriage Broker Joke as
cited by Sigmund Freud in Wit and its Relation to the Unconscious or Can the
Avantgarde Artist be Wholed? nicht so sehr die "Handlung"
entnehmen, als vielmehr der zur Schau getragene Gestus des offensichtlichen
Irrwitzes assoziativer Systeme. Sigmund Freuds Abhandlung über das
Funktionieren des Witzes wird dabei zur Grundlage eines wahrhaft modernen
Exemplars der screwball comedy, des Genres der flinken humoristischen
Verwechslungen und Vernetzungen der einzelnen Handlungsträger. Derartige
Fehlleistungen nach dem Maßstab rationalen Erzählens nannte Freud
folgerichtiger auch als Grundlage des Witzes, und dementsprechend finden sich
unter den Akteuren nicht nur das Personal des Heiratsvermittlerwitzes, die
Marketingabteilung einer Firma für gesalzene japanische Pflaumen, der
Rock’n’Roller Little Richard und der puritanische Dichter John Milton, sondern
auch drei sprechende Pandas (einen gibt Landow persönlich), die eigentlich nur
akustisch falsch verstandene panders (also "Kuppler") sind.
Alles
klar? Nein? Dann anschauen!
Dieser
Text ist auch erschienen in:
On the Marriage Broker Joke
as cited by Sigmund Freud in Wit and its Relation to the Unconscious or Can the
Avantgarde Artist be Wholed?
1977-79, Farbe, 18
Minuten
16mm, gefilmt in San
Francisco und Berkeley, California; Chicago, Illinois; und London, GB.
Set- und Kostümdesign,
Drehbuch und Regie: Owen Land (=George Landow); Musik: Johannes Ockeghem;
optische Spezialeffekte: Owen Land, Daina Krumins, Pat O'Neill.
Darsteller: Keith
Anderson (John Milton), Morgan Fisher (Dichter und Vortragender), Paul Sharits
(Liveraccio) u.a.
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