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Opening
Night – Die erste Vorstellung
Eine nie gesehene Würde
Ein leidenschaftliches
Manifest für das unabhängige Filmemachen: "Opening Night",
ein zentraler Film im Werk John Cassavetes, kommt wieder ins Kino. Zugleich
ist "Cassavetes über Cassavetes" erschienen: ein lesenswertes
Buch, das in die Arbeitsweise des US-amerikanischen Regisseurs einführt
Fast
15 Jahre nach dem Tod von John Cassavetes ist schwer zu sagen, was mehr überrascht:
dass seine Filme bis heute um keinen Tag gealtert zu sein scheinen, vielleicht
sogar aktueller sind als je zuvor; oder warum eine sorgfältige Rezeption
seines Schaffens immer noch von grundlegenden Missverständnissen behindert
wird. Bei europäischen Kritikern hatte Cassavetes seit seinem Regiedebüt
"Shadows" (1960) einen Stein im Brett, die amerikanischen Kritiker
dagegen wurden erst in den 90ern warm mit ihm, als klar wurde, wie visionär
seine Art des Filmemachens war.
Zu einem
der größten Missverständnisse gehörte der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit.
Der streitsüchtige Cassavetes hat ihn nie ganz ausgeräumt, obwohl
er so gar nicht zu dem Bild des unermüdlichen Independentfilmers passen
wollte, der zusammen mit seiner Frau Gena Rowlands einige der besten Filme über
amerikanische Mittelklasse-Ehen und die Rolle der Frauen darin gedreht hat.
Vor allem "Eine Frau unter Einfluss" (1975) war der Grund, warum amerikanische
Kritiker wie die nie zu besänftigende Pauline Kael sich mit diesem Vorwurf
so vehement auseinander setzten. Man hätte sich damals einige klare Stellungnahmen
zur Krise des amerikanischen Mittelstandes gewünscht. Doch Cassavetes hat
eine solche Positionierung, die sich für das Publikum aus seiner Rolle
als Regisseur zu rechtfertigen schien, kategorisch abgelehnt. In Interviews
wurde er nicht müde zu betonen, dass er eine analytische Methode beim Filmemachen
grundsätzlich ablehne, weil es nicht seine Aufgabe sei, dem Publikum das
Denken abzunehmen. Wem es auf Unterhaltung und Problemlösungen ankomme,
der sei bei ihm an der falschen Adresse.
Wenn
Cassavetes einmal in Fahrt geriet, war er nicht zu bremsen. Und er kam gerne
und oft in Fahrt, wenn er erst anfing, vom "Pseudo-Intellektualismus"
seiner Kollegen, den Arbeitsbedingungen in Hollywood, von engstirnigen Studiobossen
und dummen amerikanischen Filmkritikern zu erzählen. - Was war nun dran
am Vorwurf der Frauenfeindlichkeit Cassavetes? War Gena Rowlands Mabel in "Eine
Frau unter Einfluss" tatsächlich das Opfer männlichen Chauvinismus,
oder hatte sie "under the influence" bereits andere Wege gefunden,
sich in ihrer repressiven Umwelt selbst zu verwirklichen? (Im amerikanischen
Englisch ist "under the influence" eine Umschreibung dafür, dass
sie einen Schuss hat, während die wörtliche deutsche Übersetzung
interpretatorische Freiräume öffnet: Ist dieser "Einfluss"
nicht sogar als etwas Emanzipatorisches aufzufassen?) Verkörperte Peter
Falk als Mabels Ehemann Nick das Paradebeispiel eines italoamerikanischen Machos,
oder war er nur ein von den gesellschaftlichen Verhältnissen verunsichertes
Muttersöhnchen? Zwar hatte Cassavetes eine sehr klare - wenn auch niemals
konventionelle oder gar konservative - Vorstellung von den Geschlechterverhältnissen.
Doch ging es ihm in seinen Filmen nie um Mann und Frau als Repräsentanten
bestimmter Lebensmodelle, sondern immer nur um ganz normale Menschen in präzis
festgehaltenen Lebenssituationen. Demütigungen und Selbstzweifel gehörten
genauso dazu wie Momente von Geborgenheit und Glück. Cassavetes hätte
den Teufel getan, beides gegeneinander auszuspielen.
"Opening
Night", der heute, 25 Jahre nach seiner Berlinale-Premiere, wieder in Berliner
und im Anschluss daran in weiteren deutschen Kinos anläuft, ist vielleicht
derjenige von Cassavetes Filmen, der dessen Begriff von "Wahrhaftigkeit"
am nächsten kommt. Zudem ist er eine interessante Ergänzung zu "Eine
Frau unter Einfluss", nicht zuletzt wegen des Respekts gegenüber den
weiblichen Figuren. 15 Jahre später bekräftigte Pedro Almodóvar
diesen Respekt, indem er seinen an "Opening Night" angelehnten Film
"Alles über meine Mutter" "allen Frauen und schauspielenden
Frauen" widmete. "Opening Night" sollte zu einer harten privaten
Bewährungsprobe zwischen Cassavetes und Rowlands werden. Keiner von Cassavetes
Filmen ist je ein Spaziergang gewesen, aber dieses Mal führte er sich,
seine Familie und sein Drehteam, das wie immer umsonst arbeiten musste, tatsächlich
an körperliche und finanzielle Grenzen. Wen verwundert es da, dass sich
"Opening Night" schließlich auch noch als größter
Flop seiner Karriere entpuppte? Nach den katastrophalen Premieren von Los Angeles
und New York brach Cassavetes endgültig mit Amerika, und sein jahrelanges
Mosern steigerte sich zu wütenden Hasstiraden.
Diese
Tiraden machen einen nicht unwesentlichen Teil von Ray Carneys Buch "Cassavetes
über Cassavetes" aus, einem Hybriden zwischen Autobiografie, Biografie,
Werkgespräch und kritischer Würdigung. Carney war lange Jahre eng
mit Cassavetes befreundet, was ihm eine Einsicht in dessen Denkweise gewährt,
von der die Autoren früherer Standardbiografien nur träumen konnten.
Er macht dabei nie den Fehler, der Plaudertasche Cassavetes auf den Leim zu
gehen. Wo es geht und sein muss, greift er als allwissender Erzähler in
den Wortschwall ein, kommentiert und ergänzt wilde Ausführungen über
das Filmemachen und die Schauspielerführung und macht die Leser auf die
eine oder andere Notlüge aufmerksam. Cassavetes ist für Carney keine
sakrosankte Figur. Deswegen kann er es sich leisten, die "Arschloch"-Qualitäten
in aller Ausführlichkeit bloßzustellen.
Wahrlich
Großes leistet "Cassavetes über Cassavetes" für das
Verständnis von Cassavetes' Philosophie, seiner Arbeitsweise und seiner
Selbstwahrnehmung als Künstler. Auf über 650 Seiten liefert das Buch
eine so profunde und erschöpfende Auseinandersetzung mit darstellerischen
und ästhetischen Fragen, der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft
und der Bedeutung des Mediums Film an sich, dass am Ende ein leidenschaftliches
Manifest des unabhängigen Filmemachens herausgekommen ist.
"Opening
Night" liefert perfektes Anschauungsmaterial für einige grundsätzliche
Ausführungen Cassavetes über sein Kino. Denn letztlich erzählt
der Film von einer typischen Cassavetes-Arbeitssituation: Ein Schauspieler-Ensemble
ist eingepfercht auf engstem Raum, die Egos und Komplexe sind exponiert, die
Nerven liegen blank. Ein großer Teil des Films schildert die Proben für
eine Theaterpremiere. Cassavetes spielt Maurice, einen Westentaschen-Playboy
und mäßig erfolgreichen Schauspieler, Rowlands die Theaterdiva Myrtle,
Ben Gazzara den Regisseur Manny und Joan Blondell die Autorin Sarah. Die Schauspieler
waren so gut miteinander vertraut, dass Cassavetes intensiv mit den Figuren
arbeiten konnte.
Vergleicht
man Rowlands Figuren Mabel und Myrtle, lässt sich das Verhältnis von
Cassavetes zu seinen weiblichen Figuren sehr schön verdeutlichen, und auch
der Vorwurf der Misogynie wird entkräftet. Weder die ein noch die andere
funktioniert einer konventionellen Filmpsychologie gemäß. Ihre Neurosen
entziehen sich jeder eindeutigen Analyse, und ihre Handlungen werden nicht nachvollziehbar,
was ihnen eine selten zu sehende Würde verleiht. Und beide Frauen leiden
- wenn auch nicht so selbstzerstörerisch, wie es die Frauen in den Filmen
Lars von Triers tun: Mabel unter dem Dilemma, den Druck der gesellschaftlichen
Zwänge mit ihrer Rolle als Mutter zu vereinbaren, Myrtle unter ihrem Alter.
Die von ihr im Theaterstück verkörperte Figur sieht sich mit dem gleichen
Problem konfrontiert, was nur unterstreicht, wie Cassavetes die Erzählebenen
verschachtelt.
Cassavetes
hat sich immer mehr als Schauspieler denn als Regisseur begriffen, was verständlich
wird, wenn man weiß, wie intensiv er als Regisseur mit seinen Schauspielern
gearbeitet hat. Grundlegend war für ihn, den Technikapparat auf ein Minimum
zu reduzieren, um den Schauspielern den Film zurückzugeben. In "Cassavetes
über Cassavetes" gibt es einige umwerfende Passagen, die zeigen, wie
sehr ihm seine Figuren am Herzen lagen und wie hart er dafür kämpfte,
sie nicht zu Klischees erstarren zu lassen.
Am Set
redete er oft stundenlang mit den Darstellern über Facetten ihrer Figuren
oder über Motive für deren Handlungen. Er gab ihnen nur eine Idee,
oft nur einen Dialogsatz, mit dem sie sich auseinander zu setzen hatten. Die
Schauspieler mussten lernen, sich mit ihren Figuren wohl zu fühlen - auch
wenn sie dafür durch die Hölle gingen. "Was Schauspieler machen,
ist okay", schreibt Cassavetes in "Cassavetes über Cassavetes",
"weil es von Menschen kommt." Rowlands war mit dieser Methode oft
nicht einverstanden, hat sie aber in "Eine Frau unter Einfluss" und
"Opening Night" mit Leben gefüllt. Carney sagte sie, sie habe
oft nicht gewusst, was sie eigentlich machte und warum. Aber genau diese Unsicherheit
und Unberechenbarkeit wollte Cassavetes zurück ins Kino bringen. Weil sie
nicht gespielt waren. "Schauspieler", zitiert Carney ihn, "müssen
bereit sein, ein Risiko einzugehen." Also gab er den Schauspielern nicht
nur ihren Film zurück, sondern auch ihre Figuren. In "Opening Night"
sagt Myrtle, dass sie das Stück komplett auf den Kopf stellen möchte,
um zu sehen, ob etwas Menschliches drinsteckt. Es ist Cassavetes, der aus ihr
spricht.
Für
Cassavetes war genau das der springende Punkt: mit echten Menschen zu arbeiten.
Figuren wie Mable, Myrtle, Nick oder Maurice sind deswegen so immun gegen Kritik,
weil Menschen vor der Kamera in einer bestimmten Sekunde ihres Lebens eine Entscheidung
getroffen haben. Diese Form von Realismus ist immer die zentrale Forderung in
Cassavetes fast konservativem Bekenntnis zu "Wahrhaftigkeit" gewesen.
Sie verschafft seinem Kino bis heute Gültigkeit.
Andreas Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem Film gibts im archiv mehrere Texte
Opening
Night
USA
1977 - Regie: John Cassavetes - Darsteller: Gena Rowlands, John Cassavetes,
Ben Gazzara, Joan Blondell, Paul Stewart, Zohra Lampert, Laura Johnson, John
Tuell, Ray Powers - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 144 min. –
Wiederaufführung: Start: 27.11.2003
John
Cassavetes: "Cassavetes über Cassavetes".
Hrsg. Ray Carney. Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 2003, 660 Seiten m.
Abb., 28 €
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