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Otesánek
Adaption des gleichnamigen, über
die tschechischen Landesgrenzen hinaus wohl kaum bekannten, Märchens mit
Witz: verlegt in unsere Neuzeit entblättert sich nicht nur die Erzählung
des Märchens, nein, ein den Verlauf des Geschehens beobachtendes Mädchen
wird sich dessen gewahr - es kennt das Märchen aus dem Buch! - und versucht
das Ende zu verhindern. Dass das nicht klappt, ist schon allein Svankmajers
Vorliebe für die Verquickung des Organischen mit dem Mechanischen geschuldet:
das Organische wird gleichsam mechanisch, das Fleischliche ist stets im fremdbestimmten
Fluss, ein Vorgang, gleich welcher Art, ist nur als automatisiert verstehbar.
Ein kinderloses Paar wünscht
sich nichts mehr als Nachwuchs, durchlebt, aufgrund des Ausbleibens desselben,
eine neurotisch durchtränkte Alltagshöllenwelt und fetischisiert schlussendlich
ein Stück Wurzelholz - es erinnert entfernt an einen Säugling, sehr
offensichtlich aber an die Skulpturen David Lynchs. Nach 9 Monaten schließlich
kommt das Kind auch noch zur Welt: Das Holz, es schreit, entwickelt Leben, vor
allem aber: Hunger. Der Vater hätt's ja niemals geglaubt, die Mutter hingegen
war von der Niederkunft extra
utero felsenfest
überzeugt. Wie nun aber das nimmersatte Wurzelstück vor den neugierigen
Blicken der Nachbarn - den kann man ja schließlich keinem Menschen zeigen
- schützen, wie den Hunger des Vielfraßs - gestatten, Otik sein Name
- stillen, wie aberdutzende Fleischzentner durch's hellhörige Treppenhaus
schleusen, ohne aufzufallen. Da schief geht, was schief gehen muss, wird das
"Kind" obendrein auch noch zum Menschenfresser, lässt schon mal
Postboten, allzu neugierige Jugendamtbeauftragte, Hunde und auch Nachbarn im
Schlund verschwinden. Das kleine Nachbarsmädchen, das die Augen vor allem
in Aufklärungsbücher steckt, sich selbst als "possesiv"
umschreibt und auch sonst nicht müde wird, die Verfehlungen seiner Mitmenschen
psychologisch zu analysieren, riecht den Braten schon bald, sieht endlich -
endlich! - die Chance auf einen, zumindest halbwegs, gleichaltrigen Spielgefährten
im Haus. Und setzt dementsprechend alle Hebel in Bewegung, den kleinen Gierschlund
vor dem mittlerweile panischen Zugriff der Elten zu schützen, ihn zu bemuttern.
Dafür wird dann auch schon mal - der Otesánek will schließlich
auch in der Diaspora des Kartoffelkellers weiterhin gefüttert werden -
der senile Lustgreis von nebenan verfüttert.
Svankmajer bleibt seiner surrealen
Welt, zumindest auf der reinen Handlungsebene, treu, wenngleich eine stete Loslösung
von der totalen Absurdität seiner frühen Kurzfilme, die nicht mal
den Verdacht aufkeimen ließen, eine authentische Abbildung unserer Welt
darzustellen, festzustellen ist. Geradezu auffällig normal ist der Blick
auf's Prag der Jetztzeit über weite Strecken, die gewohnten Animationsphantastereien,
die Svankmajerschen Reisen ins Surreale, die Illustrationen unterbewusster Vorgänge
werden nur pointiert und dezent eingesetzt, wohingegen die altbekannte Lust
an der Textur des Organischen nach wie vor herzhaft ausgelebt wird: Spiegeleier,
Rühreier, Kartoffelsuppe, abgenagte Hundeskelette, Gemüsebrei, Sabber
am Mundwinkel und was sonst nicht noch alles wird im Detail vorgeführt,
die Konzentration unseres Blicks darauf immer wieder durch die gnadenlose Montage
erzwungen. Das mag für einige gewöhnungsbedürftig sein, grenzt,
in der Radikalität dieser Darstellung - trotz des Allerweltscharakters
des Gezeigten, ein Spiegelei sehen wohl die meisten täglich -, nicht selten
ans Ekelerregende. Es entsteht eine Welt des Organischen, eine Klaviatur des
Ertastbaren, Schaubuch der Ursuppe, aus der alles, auch der Mensch - wenngleich
unsere Vorstellung von diesem in der Regel kaum dem Svankmajer-Brei entspricht
-, entsteht. Dem steht das zeugungsunfähige, sehr unorganisch gezeichnete
Paar gegenüber, deren Flüssigkeiten in der Vermengung, nun ja, rein
gar nichts ergeben.
Gegen Ende wird's dann ein wenig
lang, das kann der Film kaum verbergen, zu sehr wurde da die eigene Note zu
unterstreichen versucht, zu wenig ließ man sich auf's bloße Genre-Dasein
- vom Märchen über's Drama hin zur schwarzen Gesellschaftssatire und
dem Splatter reicht das Spektrum - ein. Da ertappt man sich dann schon dabei,
dass man den Film gerne überholen, ihn doch endlich zum Abschluss bringen
möchte. Das soll aber mitnichten darüber hinweg täuschen, dass
dem
beinahe 90 Minuten gewitzten, phantasievollen Kinos vorangegangen waren.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
Otesánek
Großbritannien/Tschechische
Republik/Italien 2000
Regie: Jan Svankmajer
Darsteller:
Veronika Zilková, Jaroslava Kretschmerová, Jan Hartl, Pavel Novy
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