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Pans Labyrinth

Menschenfresser und Franquisten

 

Virtuos verschachtelt Guillermo del Toro Kindheitsängste, Körperhorror und Antifaschismus zu einem Schauermärchen für Erwachsene namens „Pans Labyrinth“.

 

„Es war einmal ein Mädchen namens Ofélia, das hatte schon lange keinen Vater mehr. Ofelias Mutter heiratete einen Offizier, aber der hatte ein kaltes Herz. Als sie beide eines Tages zu ihm fuhren, sah das Mädchen im Wald ein steinernes Gesicht, dem ein Auge fehlte. Sie fand es am Boden, hob es auf und setzte es ein. Da flog aus dem Mund eine große Libelle…“

 

So könnte es in einer Sammlung spanischer Volksmärchen stehen, als Kondensat jahrhundertelangen Geschichtenfabulierens. Doch weil „Pans Labyrinth“ ein Film ist, und zwar einer des mexikanischen Schauerpoeten Guillermo del Toro („Hellboy“), ist der simple, naive Erzählton das Resultat schwelgerischster Kamerafahrten, sattester Farbwerte und liebevoll detaillierter Phantasiefiguren und Ekeleffekte. „Pans Labyrinth“ ist, mehr noch als jede von del Toros bisherigen Arbeiten, ein barocker Bilderbuchfilm. Und trotzdem wird man im boomenden Fantasykino der letzten Dekade keinen einzigen Film finden, der seine Handlung mit einer solchen schlichten, märchenhaften Folgerichtigkeit vorträgt.

 

In Ofélias Geschichte kommt alles, wie es kommen muss, und doch erzählen die vertrauten Märchenarchetypen und -symbole eine neue, andere Geschichte: Der böse Stiefvater (Sergi López in einer furiosen Karikatur) ist ein Capitán im Franco-Spanien anno 1944, der einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg gegen ein letztes Häuflein republikanischer Widerstandskämpfer führt. Die Libelle verwandelt sich vor Ofélias Augen in eine Fee und führt sie zu einem Faun, der in dem Mädchen eine verschollene Prinzessin erkennt. Aber was sich nach der Flucht einer vorstellungsbegabten 10-Jährigen in eine heile Phantasiewelt anhört, ist von Anfang an ähnlich düster, harsch und undurchschaubar wie der Alltag im Lager der Franquisten.

 

Drei Aufgaben muss Ofélia für den verschlagenen Faun erfüllen, um ihre königliche Abstammung zu beweisen, unter anderem eine Begegnung mit einem blinden, menschenfressenden Monster, neben dessen Speisetafel sich die leeren Kinderschuhe stapeln: Dieser Holocaust-Verweis ist nur ein besonders drastisches Beispiel dafür, wie sich in del Toros brillantem Originaldrehbuch historische und phantastische Horrormotive gegenseitig spiegeln. Die brutalsten Schockbilder des Films liefern dann aber weder Gruppenexekutionen noch eine schleimige Riesenechse, sondern die blutige Beinahe-Fehlgeburt von Ofélias hochschwangerer Mutter. Seit Roman Polanskis „Oliver Twist“, vielleicht sogar seit „The Night of the Hunter“ hat kein Film mehr so virtuos mit unser aller kindlichen Ängsten gespielt. Familienunterhaltung ist das trotzdem nicht.

 

„Pans Labyrinth“ ist nicht nur der bisher beste, reichste Film des 42-jährigen Märchenerzählers Guillermo del Toro: Er macht auch alle anderen Arbeiten in del Toros unsteter Karriere zwischen Arthouse-Horror („Cronos“) und Hollywood-Dienstleistung („Blade II“) reicher und vielschichtiger, indem er andernorts entwickelte Motive aufnimmt und ihnen neue Resonanz verleiht: Die Kreuzung von Phantastik und Antifaschismus, das Erzählen aus der Kinderperspektive, eine ausgesprochene Faszination für Insekten und Uhrwerke – diese Ingredienzien aus früheren Filmen gerinnen hier zu einem organischen Ganzen, das sich bei allen privaten Obsessionen eine klare politische Haltung bewahrt: Am Ende wird Ofélia sich in Phantasie und Wirklichkeit gegen das faschistische Gesetz der Väter stellen und ihrer Geschichte ein entschieden demokratisches Ende geben.

 

Joachim Schätz

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: Falter(Wien), www.falter.at  

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

 

Pans Labyrinth

Mexiko / Spanien / USA 2006 - Originaltitel: El Laberinto del Fauno - Regie: Guillermo del Toro - Darsteller: Ivana Baquero, Doug Jones, Sergi López, Ariadna Gil, Maribel Verdú, Álex Angulo, Roger Casamajor, Sebastián Haro - FSK: ab 16 - Länge: 114 min. - Start: 22.2.2007

 

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