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Papillon
Freiheit,
Anpassung,Rebellion
Ein
Mörder und ein Betrüger werden zu langen Haftstrafen in den 30er Jahren
des 20. Jahrhunderts in Frankreich verurteilt und nach Französisch-Guyana
deportiert. Der Mörder, Henri Charrière, den alle Papillon nennen,
also Schmetterling – und ein solcher ist ihm auch auf die Brust tätowiert
worden –, ist kein Mörder. Er war Safeknacker und wurde zu Unrecht des
Mordes an einem Zuhälter beschuldigt. Der Betrüger, ein Fälscher,
wurde zu Recht verurteilt, hofft aber, dass seine Frau und sein Anwalt ihn mit
seinem Geld nach wenigen Monaten wieder freikaufen werden.
So
beginnt die Geschichte zweier Männer, von denen der eine, Papillon (Steve
McQueen), wirklich in den 30er und 40er Jahren in Französisch-Guyana eingesperrt
war, während der andere, Louis Dega (Dustin Hoffman), wahrscheinlich eine
fiktive Person ist, die Charrière (1906-1973) nur in seinen autobiografischen
Roman eingeführt hatte. Wahr aber ist, dass Charrière die Flucht
von der Teufelsinsel vor Guyana gelungen war und er den Rest seines Lebens in
Freiheit verbringen konnte.
Franklin
J. Schaffner, der u.a. „Patton – Rebell in Uniform“ (1970) und „Planet
der Affen“
(1968) drehte, inszenierte mit „Papillon“ keinen gängigen Gefängnis-Film,
obwohl der Streifen alle Elemente dieses Sub-Genres enthält: Ankunft und
Eingewöhnung in der Strafkolonie, brutale Haftbedingungen, Einzelhaft und
ihre Folgen, Fluchtpläne, Flucht und so weiter. „Papillon“ weitet den Blick
für das, was man mit der abgedroschenen Phrase „unbändiger Drang nach
Freiheit“ nur allzu unzureichend ausdrücken kann und doch genau diesen
Drang meint, der in Papillon nicht unterzukriegen ist. Einerseits in der Gegenüberstellung
so unterschiedlicher Charaktere wie Papillon und Dega, andererseits in der Widersprüchlichkeit
von sonnenüberfluteter lateinamerikanischer Atmosphäre, Landschaft
und vor allem der scheinbaren räumlichen und zeitlichen Endlosigkeit des
Meeres hier, der erzwungenen Begrenztheit und der Dunkelheit und enervierenden
Abgeschiedenheit der Einzelhaft dort entfaltet sich ein Raum, der für den
Betrachter fast ebenso Unerträgliches enthält wie die Jahre in Haft
für Papillon, der die ganzen Jahre nur einen Gedanken hat: Flucht. Flucht
aber nicht nur als Entkommen von etwas, sondern vor allem als Weg zu etwas.
Das
Straflagersystem in Französisch-Guayana besteht vor allem aus drei Elementen.
Einem riesigen Gefängnissystem, einem Arbeitslager und einer kleinen Insel,
der Teufelsinsel, die nur Steilküsten kennt und von der ein Entkommen so
gut wie unmöglich erscheint. Dort leben die „privilegierten“ Gefangenen
unter freiem Himmel in kleinen Häuschen, bauen Gemüse an, halten sich
Schweine und Ziegen, leben also „begrenzt frei“ – ohne Möglichkeit dieser
Begrenztheit je zu entkommen.
Papillon
und Dega schließen einen Kompromiss: Dega finanziert die notwendigen Mittel
für Papillons Fluchtvorbereitungen, Papillon bietet dem eher schmächtigen
und kurzsichtigen Dega Schutz vor Übergriffen anderer Gefangener – eine
„Vernunftehe“. Am Ziel ihrer Reise angekommen, wird ihnen und den anderen neuen
Häftlingen von seiten des Gefängnisdirektors ohne Umschweife verdeutlicht,
was sie bei Disziplinverstößen erwartet: von zwei Jahren Einzelhaft
bis zur Guillotine, die drohend in der Mitte des fußballfeldgroßen
Gefängnishofes über alles hinauszuragen scheint, ist alles möglich.
Und Zwangsarbeit im Dschungel, in dem die Malaria haust. 40% der Gefangenen
sterben hier pro Jahr, vor allem an Malaria. Hier scheitert der erste Fluchtversuch
Papillons, der einen ins Lager gekommenen Schmetterlingshändler bestechen
wollte, ihm ein Boot zu besorgen, dann aber Dega vor dem brutalen Übergriff
eines Wärters schützen muss. Zwei Jahre Einzelhaft – in Zellen die
ringsherum abgeschlossen, aber nach oben offen und nur durch ein Gitter abgeschirmt
sind. Von dort oben beobachten Wärter die Gefangenen, deren Zellen gerade
mal fünf Schritt breit sind.
Als
Dega Papillon heimlich eine halbe Kokosnuss zukommen lässt, dies aber entdeckt
wird, schickt man Papillon bei halber Essensration in eine abgedunkelte Zelle,
weil er Dega nicht verrät, was man von ihm verlangt. Schaben werden seine
zusätzliche Mahlzeit. Kein normaler Mensch könnte diese Bedingungen
überleben. Der Gefängnisdirektor (William Smithers) sagt ihm dies
auf den Kopf zu. Papillon magert ab, wird fast verrückt, aber er überlebt.
Warum hat er Dega nicht verraten, schließlich hatte er ihn nicht um die
Kokosnuss gebeten? Er braucht Dega. Dega ist seine einzige Chance für eine
spätere Flucht.
In
der Krankenabteilung, in die man Papillon nach der Entlassung aus der Einzelhaft
schickt, lernt er den jungen Maturette (Robert Deman) kennen. Mit ihm, Dega
und Clusiot (Woodrow Parfrey) gelingt eines Tages der Ausbruch aus dem Gefängnis
und die Flucht mit einem Boot Richtung Honduras.
Doch
dies ist nicht das Ende der Geschichte. Es folgen weitere Jahre in Französisch-Guayana
und neue Fluchtpläne.
Im
Zentrum des Films steht die jahrelange Beziehung zwischen Papillon und Dega
und ihre langsame Annäherung bis hin zu einer unausgesprochenen, aber tiefen
Freundschaft unter außergewöhnlichen Bedingungen. Dega ist ein Mann
von hoher Intelligenz, doch die Nachricht, dass seine Frau seinen Anwalt geheiratet
hat, bricht Dega letztendlich den Willen, an Flucht überhaupt noch zu denken.
Dega richtet sich ein. Papillon hat nichts zu verlieren. Konvention und Rebellion
stehen sich gegenüber, aber bis zum Schluss halten die beiden – trotz jahrelangen
Getrenntseins – wie Pech und Schwefel zusammen. Sie verstehen sich gegenseitig
auf eine unübliche Art und Weise, ohne viel Worte, und in dem Bewusstsein,
dass sich ihre Wege irgendwann endgültig trennen (müssen).
Steve
McQueen und Dustin Hoffman sind in Glanzrollen zu sehen. Hoffman spielt einen
äußerlich zurückhaltenden, fast scheu wirkenden Dega, dessen
Einfälle allerdings von anderem als Zurückhaltung zeugen, der gleichzeitig
jedoch aus körperlicher Unterlegenheit auf den Schutz durch Papillon angewiesen
scheint. Erst später merkt er, dass er diesen Schutz nicht braucht. Auch
McQueen spielt Charrière eher zurückhaltend, fast minimalistisch,
aber so ist eigentlich der ganze Film angelegt und unterscheidet ihn aus diesem
Grund von gängigen Gefängnisrevolte-Filmen.
Obwohl
wir wenig, eigentlich nichts über Dega und Papillon erfahren, über
ihr früheres Leben, ihre sozialen Beziehungen usw., werden beide in gewisser
Hinsicht zu Helden. Denn obwohl Charrière die Flucht letztendlich gelingt,
während Dega auf der Teufelsinsel bleibt, repräsentieren doch beide
jeweils ihre Art von Freiheitsdrang und Leben in Freiheit. Dies mag paradox
klingen. Aber Papillons Flucht und sein Leben in Freiheit bis zu seinem Tod
1973 – just in dem Jahr, in dem dieser Film entstand –, ist nur eine mögliche
Art, frei zu sein. Dega hat einen inneren Weg gefunden, auf der Insel in seinem
Häuschen frei zu leben, trotz der äußerlich widrigen und erzwungenen
Umstände. Diese sich aus der Geschichte ergebenden konkreten Perspektiven
haben wohl auch – so vermute ich einmal – Charrière dazu veranlasst,
die Person Degas in seinen autobiographischen Roman aufzunehmen. Und diese Gegenüberstellung,
nicht Konfrontation zweier Perspektiven macht auch den Film zu einem wahren
Erlebnis.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen, unter dem Namen POSDOLE, bei: www.ciao.de
Papillon
(Papillon)
USA,
Frankreich 1973, 150 Minuten
Regie:
Franklin J. Schaffner
Drehbuch:
Dalton Trumbo, Lorenzo Semple Jr. nach dem autobiografischen Roman von Henri
Charrière
Musik:
Jerry Goldsmith
Director
of Photography: Fred. J. Koenekamp
Schnitt:
Robert Swink
Produktionsdesign:
Anthony Masters
Darsteller:
Steve McQueen (Henri Charrière, gen. Papillon), Dustin Hoffman (Louis
Dega), Victor Jory (Indianer-Häuptling), Don Gordon (Julot), Anthony Zerbe
(Toussaint, Führer der Lepra-Kolonie), Robert Deman (Maturette), Woodrow
Parfrey (Clusiot), Bill Mumy (Lariot), George Coulouris (Dr. Chatal), Ratna
Assan (Zoraima) William Smithers (Gefängnisdirektor)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0070511
©
Ulrich Behrens 2004
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