zur startseite
zum archiv
Paranoid
Park
Kunstvoll
unscharf
Überaus kunstvoll bleibt das Leben
des Teenagers Alex in Gus van Sants neuem Film "Paranoid Park" im
Unschärfebereich.
Auf den ersten Blick ist "Paranoid
Park" ein Bilder- und Töne-Gemischtwarenladen: Super-8-Aufnahmen von
skatenden Kids, die die Kamera, keineswegs aus auf spektakulären Nachvollzug
ihrer Fahrten und Flüge, einfängt - dazu Elektrogebizzel auf der Tonspur;
Großaufnahmen von Alex (Gabe Nevins) allein zu Haus; Alex und die Skater
auf Fluren der High School auf dem Weg zum Rapport; Alex im Auto, Alex unter
der Dusche; Totalen, Handkamera, Hinterherschleichen im Gras, Verlangsamungen
und einmal die zentimeterweise vorrückende Fahrt heran auf Alex' Gesicht
im Gespräch mit Detective Lu. Die Kamera sucht Nähe, aber Alex hält
sie ausdruckslos auf Distanz, zieht sich zurück in sich selbst - wohin
ihm, in der Bebilderung seiner Erinnerungen und Fantasien, die Kamera auch noch
folgt. Indem aber das Geschehene als Erinnert-Eingebildetes wie ichlos zum Bild
wird, stellt sich eine andere Form von Distanz sofort wieder ein.
Die bunte Mischung der Töne und Bild
verdichtet sich zu einem sehr bestimmten Eindruck: "Paranoid Park"
ist ein ganz kunstvoll unscharfer Film. Dabei steht ein, sehr buchstäblich,
scharfer Schnitt im Zentrum, eine Tat aus Versehen, als Bild, das nicht verschwindet,
als Tat- und Bild-Trauma, das Alex verfolgt. Wir sehen es etwa in der Mitte
des chronologisch sehr gezielt durcheinander gebrachten Films, der, nimmt man
den Plot beim Wort, nichts anderes als ein Krimi ist: Alex springt eines Nachts
auf einen Zug, den Rausch der Geschwindigkeit und des Illegalen zu genießen,
wird dabei von einem Wachmann gestört. Er stößt ihn zurück,
der fällt auf die Gleise, wird von einem anderen Zug überfahren und
zweigeteilt. Man sieht den Oberkörper, der sich, vom Unterleib getrennt,
noch eine Weile kriechend weiterbewegt - und man kann nicht wissen, ob dies
ein reales Bild ist oder nur Alex' Horrorfantasie. Unscharf ist "Paranoid
Park" eben genau darin, dass er solche Unterscheidungen, die zwischen subjektiven
Bildern und objektiven, den zwischen Geschehenem und Eingebildetem für
uninteressant hält.
Diese künstliche Unschärfe ist
Mimikry von jugendlicher Desartikulation. Alex weiß wenig von dem, was
geschieht in der Welt. Er sucht Klarheit, indem er, was ihm widerfahren ist,
niederschreibt. So spricht er zu uns, sehr direkt, während sein Gesicht,
die Haare in der Stirn, ausdruckslos bleibt. So wird "Paranoid Park"
nicht zuletzt eine Meditation darüber, wie nahe einem wie Alex, der selbst
erst herausfinden muss, wer er ist, mit Bildern und Tönen zu kommen ist.
Wie in den meisten Filmen von Gus van Sant geht es darum, eine Form zu finden
für die Darstellung eines Zustands, den man konventionellerweise Jugend
nennt; einen Zustand von Verlorenheit, für den der Begriff Weltschmerz
viel zu alteuropäisch klingt; einen Zustand, der eben nicht auf den Begriff,
sondern auf eine Stimmung, genauer noch: eine fließende Folge von abrupt
wechselnden Stimmungen gebracht werden soll. (Wie das Fließende und das
Abrupte hier zusammenkommen, ist vielleicht das Erstaunlichste an diesem Film.)
Die Unschärfe als Ausdruck jugendlicher
Verwirrung ist, was man keine Sekunde lang übersehen kann, künstlich
und kunstvoll hergestellt. So scharfkantig einerseits das, was die Geschichte
wäre, die "Paranoid Park" erzählt, in Fetzen und einzelne
Bilder gerissen wird, so glatt und gefällig geraten andererseits immer
wieder die Aufnahmen des vor allem für seine Zuammenarbeit mit Wong Kar-Wei
bekannten Kameramanns Christopher Doyle. Den ziemlich misslungenen Sex mit der Alex eher lästigen Freundin Jennifer löst
er auf in eine Komposition aus blondem Haar im blendenden Gegenlicht. In einer
minutenlangen Einstellung, die Alex' Kopf im Profil unter der Dusche zeigt,
wird das Licht rauf- und runtergedreht: Ein Bild, das sich aus den Bezügen
auf Figur, Geschichte, Stimmungszusammenhang fast vollständig löst.
Und dann, als sehr eigenständiges
Gegengewicht, die Musik. Immer wieder spielt Gus van Sant sie gegen die Bilder
und gegen die Gesichter seiner zum großen Teil über mySpace gecasteten
Darsteller in den Vordergrund. Die wirklich erstaunliche Bandbreite reicht von
sakralisierender Klassik über Elektronik und Metal-Gedresche bis zu Fellinis
Hauskomponisten Nino Rota und zum alternativen Singer-Songwriter Elliot Smith.
Die Wirkungsskala bewegt sich von intensivierender Stimmungsuntermalung zu fast
schon komischer Kontrapunktierung. So begegnen einander im Niemandsland des
titelgebenden Skaterparadieses Paranoid Park in Portland der Authentizitätsfetischismus
von mySpace und Jugendkultur und ein Wille zur Form, der mal subtil, mal gewaltig
und manchmal nur kunstgewerblich durchschlägt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen am 14.05.2008. im www.perlentaucher.de
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
PARANOID
PARK
F/USA 2007 - Regie, Buch, Schnitt: Gus Van Sant. Nach dem Roman von Blake Nelson. Kamera: Christopher Doyle, Rain Kathy Li. Schnitt: Mit: Gabe Nevins, Jake Miller, Taylor Momsen, Lauren McKinney, Daniel Liu, Winfield Jackson, Grace Carter, Jay "Smay" Williamson, Olivier Garnier, Emma Nevins. Peripher, 85 Minuten.
zur startseite
zum archiv