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Das
Parfum von Yvonne
Liebe
und wie sie vergeht
"Es
ist einfach mit den Menschen", seufzt der alte Arzt. "Die einen liebt
man zu sehr, und die anderen liebt man nicht genug." Solche Weisheiten
über die Liebe, noch dazu mit solchem Gestus gesprochen, die gibt es doch
eigentlich nur noch, man vermutet richtig, im französischen Kino.
Patrice
Lecontes meisterhaftes Drama von 1994 schwelgt in einem Sommer der Liebe. Der
junge russische Deserteur Victor (Hyppolyte Girardot) reist unter falscher Identität
durch die Pensionen Frankreichs und trifft auf die geheimnisvolle Yvonne (Sandra
Majani), die zusammen mit dem homosexuellen belgischen Arzt Rene (Jean-Pierre
Marielle) und einer depressiven deutschen Dogge der süßen Langeweile
frönt.
Wie
auch in seinen späteren Filmen "Ridicule" oder "Rue des
plaisirs" kleidet Leconte seine keineswegs aristokratischen Protagonisten
in kunstvolle Kostüme der Zeit (hier sind es die frühen 50er), badet
sie in traumwandlerischem Licht und läßt sie für kurze Zeit
eintauchen in die Welt der Reichen und Schönen. Dankbar flüchten sich
Victor, Yvonne und Rene in den sorgenfreien Lebensstil der Witwen, Kurgäste
und Rentner und vertreiben sich die Zeit mit Spaziergängen, Bootsfahrten,
kleinen Festen und High-Society-Schönheitswettbewerben.
Und
am Ende trennen sich ihre Wege wieder, unabwendbar. Victor versucht, an seinem
Traum von Yvonne, die er kaum kennenlernen konnte, festzuhalten. Doch je stärker
er sie an sich binden will, desto geschmeidiger entgleitet sie ihm. Und als
sie schließlich flüchtet, geschieht es ohne Abschied. Man merkt schon:
Leconte ist nicht an schweren Konflikten oder rasanten Wendungen interessiert,
sondern an einer Studie über des Begehren, über die Liebe und wie
sie vergeht.
Dabei
bleiben die Objekte der Begierde immer schemenhaft, sie erscheinen uns, den
Zuschauern, ebenso geheimnisvoll wie den Liebhabern. Der Geliebte des Arztes,
ein junger Soldat, wird nach nur wenigen Filmminuten in den Krieg geschickt.
Und von Yvonnes dunkler Vergangenheit bleibt auch nur der Hauch einer Andeutung:
Als wir sie mit einem fremden Motorradfahrer streiten sehen, beobachten wir
sie durch die verzückten Augen Victors. Yvonnes Geheimnisse bleiben fest
verschlossen hinter der betörenden Schönheit Sandra Majanis, die in
ihrer bislang einzigen Filmrolle perfekt gecastet ist: Sie bleibt ein Versprechen,
bleibt ganz bezaubernde Oberfläche.
Wir
kennen unsere Gegenüber nicht, will uns Leconte sagen. Wir verstehen nicht,
warum wir sie gewonnen haben, und wir verstehen nicht, warum wir sie verlieren.
Zurück bleiben die Verlassenen, ein gebrochener Victor und ein selbstzerstörerischer
Arzt. Ihnen bleiben nur schmerzhafte Erinnerungen, offene Rechnungen und auch
weiterhin zuviel Zeit.
Denn
Leconte erspart seinen Figuren nach dem Sommer der Liebe den darauffolgenden
Winter nicht. Dann sind die Liebenden längst auseinandergerissen, kauern
frierend und betrunken in verregneten Hauseingängen und murmeln Weisheiten
über die Liebe vor sich hin.
Daniel
Bickermann
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Das
Parfum von Yvonne
Le
parfum d'Yvonne. F
1993. R,B: Patrice Leconte. K: Eduardo Serra. S:
Joelle Hache. M: Pascal Estève. P: Lambart Productions, Zoulou Films.
D:
Jean-Pierre Marielle, Hippolyte Girardot, Sandra Majani, Richard Bohringer u.a.
89 Min.
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