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Paris,
je t'aime
"Uns bleibt immer Paris!",
sagt in "Casablanca" auf dem nächtlich-nebligen Flughafen Humphrey Bogart
zu Ingrid Bergman. Daran mögen sich auch die Produzenten Claudie Ossard,
Emmanuel Benhiby ("Die fabelhafte Welt der Amélie") und Stefan Piech erinnert haben, als sie fast zwei Dutzend
renommierte Filmemacher zu einem so genannten Episodenfilm über das heutige
Paris einluden. Unter den Beteiligten finden sich die Gebrüder Coen, Tom
Tykwer, Wes Craven, Christopher Doyle, Gus van Sant, Isabel Coixet, Gurinder
Chadha, Vincenzo Natali, Olivier Assayas, Gérard Depardieu, Nubuhiro
Suwa und Alexander Payne.
Leider haben die meisten Filmemacher
nicht etwa ihrer Fantasie freien Lauf gelassen, sondern sich auf den alten Schlager
"Ganz Paris träumt von der Liebe" besonnen und den Filmmythos
Paris, die Stadt der Nouvelle Vague, beschworen. Betitelt wurden die einzelnen
Beiträge nach den Arrondissements der Stadt der Liebe und des Kinos. So
schicken die seit Jahren ausgebrannt wirkenden Brüder Coen den notorischen
Steve Buscemi in die Metro-Station "Tuileries", wo er als unbedarfter
amerikanischer Tourist sogleich zum Opfer eines der bekanntlich immer höchst
leidenschaftlichen französischen Paare wird. Komisch ist das nicht!
Auch Tykwers Beitrag, angesiedelt
am Faubourg St. Denis, zeigt einen Filmemacher in der Krise, der sich auf seinen
gekünstelten Regiemätzchen ausruht und keinen Kontakt zum Sozialen
mehr zu haben scheint. Seine vorhersehbare Liebesgeschichte mit Pointe zwischen
einer Schauspielschülerin und einem Blinden ist zwar als technisch furiose
Montage von Augenblicken reines Kino, aber ohne Herz und Dringlichkeit. In Nobuhiro
Sawas Beitrag über die fassungslose Trauer einer von Juliette Binoche gespielten
Mutter, die gerade ihren Sohn verloren hat, gibt Willem Dafoe den Marlboro Man
aus dem Jenseits, was dann nur noch albern ist. Auch Werwölfe treiben ihr
Unwesen.
Doch während man noch staunt,
wie schwach einzelne Beiträge ausgefallen sind, wie wenig inspirierend
Paris gewirkt haben muss, wie erschreckend konservativ und wenig abenteuerlustig
die Stars vor und hinter der Kamera agieren, sammelt der Film Pluspunkte. So
erzählen die beiden brasilianischen Filmemacher Walter Salles und Daniela
Thomas in "Loin du 16ème" vom atemlosen und sekundengenau getakteten
Alltag einer Hausangestellten, die jeden Tag aus den tristen Vororten ins lichte
Stadtzentrum zur Arbeit fährt, daneben aber auch noch ihren eigenen Familienalltag
bewältigen muss. Überhaupt: Paris als Multikulti-Metropole ist Thema
der besseren Beiträge, die erzählen, wie sich in der Stadt Kulturen,
kulturelle Klischees und Erinnerungen begegnen. In Gurinder Chadhas Episode
verliebt sich ein französischer Junge in eine Muslima, in der von Gus van
Sant wird anhand einer Begegnung zweier junger Schwuler in der Kunstszene augenzwinkernd
gezeigt, wie erotisch anziehend Sprachbarrieren sein können. Nick Nolte
gibt gewohnt brummbärig den Amerikaner in Paris, Wes Craven erweckt auf
dem Friedhof Père-Lachaise Oscar Wilde (gespielt von Steve Coogan) zum
Leben, um ein Liebespaar zu therapieren.
Gleiches versucht Bob Hoskins
am Montmartre, unter anderem mit dem Star Fanny Ardant, während in Oliver
Schmitz" "Places des Fêtes" auch mal eine Seite von Paris
zum Tragen kommt, bei der sich der örtliche Fremdenverkehrsverein nicht
die Hände reibt. So fadenscheinig und leidenschaftslos einiges auch ausgefallen
sein mag, das Staraufgebot von "Paris, je t"aime" ist überwältigend
- und gedreht wurde vor Ort. So kann der Zuschauer auch in der Tristesse das
Auge schweifen lassen und es mit Bogart halten: "Uns bleibt immer Paris!"
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: Stuttgarter Zeitung
Paris,
je t'aime
Frankreich
2006 - Regie: Joel & Ethan Coen, Nobuhiro Suwa, Olivier Assayas, Gus Van
Sant, Gérard Depardieu - Darsteller: Emilie Ohana, Julie Bataille, Steve
Buscemi, Axel Kiener, Juliette Binoche, Willem Dafoe, Orlando Bloom - FSK: ab
6 - Länge: 120 min. - Start: 25.1.2007
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