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„Jeder Spielfilm ist
ein Dokumentarfilm“
– Werner Herzog
Eltern, die gegen Anfang
der Neunziger männlichen Nachwuchs bekamen, den aber insgeheim am liebsten
allein Zuhaus zu lassen gedachten, gaben ihm gerne den Namen Kevin – ein Name
entliehen beim gleichnamigen Hollywood-Horrorfilm, worin ein von seinen Eltern
vergessenes Kindmonster harmlose Kleinkriminelle in lebensgefährliche Lebenslagen
beförderte. Da Kindergewalt dieser Art breite Zustimmung erfuhr, gab’s
bald eine Fortsetzung namens „Kevin allein in New York“ und spätestens
deshalb werden heutzutage sehr viele Teenager in Deutschland Kevin gerufen.
Gerufen, weil diese ungezählten
Kevins schon immer gerufen und nie angesprochen wurden, weil entweder ihre Eltern
nicht mehr ansprechbar waren oder sie ihre Kevins gar nicht ansprechen wollten,
weil sie Kevin allein zuhaus lassen wollten, z.B. wenn sie sich mit ihren Freunden
an der Bude trafen oder sie riefen Kevin, wenn er draußen in den wilden
Straßen der Sozialblocks mit Patrick und Nicole Scheiße baute. KEVIN!
Ein Symptom der Distanz und Kälte, aber auch ein endogener, authentischer
Aufschrei in den Zeiten der Arbeitslosigkeit.
Bezeichnend für Ur-Kevin,
um den es hier geht, ist, dass der auch schon von seinen Eltern Zuhause vergessen
worden war. Der Darsteller dieses ersten von tausenden allein seiender Kevins
aber hörte (zunächst) in Wahrheit auf den unmöglichen Namen Macauly
Culkin – MACAULY, ein Schrei, der zuerst auf den Schreienden zurückfällt,
ihn der Lächerlichkeit preisgibt, aber der auch dem so Bezeichneten seine
Glaubwürdigkeit rauben muss, seine street credibility, seine school oder
girlfriend credibilty.
Gebt
dem Kind, das so heißt – Holden Caulfield könnte übrigens sein
Opa in der Familie der Namensverlierer sein – Geld. Macht es reich! Und lasst
es weiter allein und denken, es sei ein Star, und ganz schnell habt ihr jemand,
der nicht erwachsen werden kann, keine Identität findet und auch sonst
von der Welt immer das denkt, was die Welt gerade mal nicht gesagt hat. Lüge,
Illusion und Orientierungslosigkeit, das sind die drei Dinge, die Hollywood
für Geld produziert.
Macauly
blieb die Schimäre Kevin, und ihm blieben die Partys und die Designerdrogen.
Pubertät war nicht vorgesehen und wurde nicht belohnt. Er wollte nur weiter
spielen, mehr nicht. Ähnlich wie der authentische Michael Alig, den Culkin
nun in seiner ersten Rolle seit „Kevin allein in New York“ im Film „Party Monster“
spielt, der gemeinsam mit James St. James (im Film Seth Green) Anfang der Neunziger
zum dauerbedröhnten New Yorker Party-Kind aufstieg und schließlich
aus Gründen des Realitätsverlusts damit prahlte, jemanden umgebracht
zu haben. Das war aber nicht nur Angeberei und St. James schrieb über das
tödliche wilde Leben der Freunde einen Roman namens „Disco Bloodfeast“,
der als Vorlage für den Film diente.
Das
Resultat ist eine überaus unkritische und schwärmerische Koketterie
mit der Szene, die der Film gleichzeitig versucht zu problematisieren. Trunken
taumelt eine äußerst konventionelle, aber dabei äußerst
ungelenke Kamera den lustigen Paradiesvögeln (die übrigens durch die
Bank schwul sind, keine Partys ohne Homos, keine Homos ohne Partys) hinterher,
die vor allem durch ihre Dummheit glänzen. Die Regie hat nicht den Hauch
einer Ahnung von Dramaturgie, und ein chronisch ironisch angelegter Unterton
desavouiert in seiner Indifferenz jeder Figur gegenüber am Ende den kleinsten
Rest von Empathie oder Distanz oder Analyse. Ganz klar ist dieser, übrigens
in billiger Video-Qualität gedrehte, Brei von einem Film ein Rohrkrepierer,
und langweilig sofort nach dem Opener, in dem der breite Seth Green eine noch
witzige Einführung vom Stapel lässt. Macauly sieht immer noch so aus
wie mit 8, nur hat er inzwischen sein Talent restlos eingebüßt, interessant
als Nebenfiguren sind Chloe Sevigny („Kids“) und Marilyn Manson, der
(hier wirklich nur noch durch sein darstellerisches Charisma wieder zu erkennen)
eine blumige „Christina“ gibt.
Gescheitert
als Film, aber interessant als Dokument ist „Party Monster“, weil man den Eindruck
nicht los wird, er sei von denselben bemitleidenswerten, orientierungslosen
Showhäschen gemacht worden, von denen er handelt. Die Drogen scheinen vor
und hinter der Kamera ihre Wirkung zu tun, und dass das Leben nur aus Party,
Verkleiden (den Oscar für die besten Kostüme hätte der Film verdient)
und in Rollen schlüpfen besteht, darin werden sich Macauly & Co, James
und Michael wohl
völlig einig sein - ob vor oder nach dem Film.
Party
Monster
Party
Monster,
USA
2003
Regie:
Fenton Bailey
Premiere:
18. Januar 2003 (Sundance Film Festival, USA)
Drehbuch:
Fenton Bailey & Randy Barbato
Dt.
Start: nicht bekannt/ auf Video seit:
Land:
USA
Länge:
98 min
Darsteller:
Macaulay Culkin (Michael Alig), Seth Green (James St. James), Manny Perez, Chloe Sevigny (Gitsie), Natasha Lyonne (Brooke), Justin Hagan (Freeze), Wilson Cruz (Angel Melendez), Wilmer Valderrama (DJ Keoki), Dylan McDermott (Peter Gatien), Marilyn Manson (Christina), Diana Scarwid (Elke Alig), John Stamos (Talk Show Moderator), Matthew Carey, Daniel Franzese
Party
Monster
ist als DVD herausgekommen bei: http://www.mc-one.de/home.html
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