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Die
Passion Christi
BAD
RELIGION IM POPCORN-PALAST
DIE
PASSION CHRISTI verändert die Bilder-Beziehungen zwischen Kirche und Kino
Wie
merkwürdig das doch ist! Die Kirchen leeren sich, und das Kino ist auch
wieder in der nächsten Krise. Aber an einem Punkt, wo sich beide berühren,
entsteht beinah explosiv ein skandalisiertes Interesse, ein sich schnell nach
eigenen dramaturgischen Gesetzen fortzeugender Diskurs, der auch (vielleicht
sogar vor allem) Menschen erreicht, die schon lange nicht mehr in einem Kino
oder in einer Kirche gewesen sind. MeI Gibsons gedanklich, theologisch und ästhetisch
geradezu peinigend schlichter Film wird zum Zentrum von Aufregungen, die offensichtlich
schon lange auf ihren Anlass lauerten. Die Frage nach dem Antisemitismus in
einer fundamentalistischen Wiedergabe der Passionsgeschichte, die Frage nach
der Gewalt, die im Bild, die durch das Bild vermittelt wird, die Frage nach
der Abkehr vom Dialog zwischen Aufklärung, Humanismus und Religion - das
alles reicht einerseits wohl tief in verborgene Schichten unserer kulturellen
Kompromiss-Situation, und es ist andererseits ein simples Pfand in einem Spiel
der politischen Interessen. Wenn die Idee von einem „Zusammenprall der Kulturen"
und eine bestimmte Vorstellung von der Allianz der Bush-Regierung und fundamentalistisch-christlicher
Kreise in den USA nicht in unseren Köpfen spukte, dann würden wir
wohl auch einen solchen Film nicht so fürchterlich ernst nehmen, den man
schnell auf eine einfache Formel bringen kann: eine gnaden- und seelenlose Version
der Passionsgeschichte in der fetischistischen Ästhetik eines splatter
movies.
Seit
100 Jahren gibt es eine Parallel- und Kontrageschichte zwischen Kino und Religion.
Es gab Zeiten, in denen man die grausameren Bilder in der Kirche, die barmherzigeren
im Kino gesehen hat; erst in den siebziger Jahren wurde das Kino explizit höllisch,
während die Kirchen ihre Bildwelten zu humanisieren versuchten. Es sind
Bilder der Gewalt, durch die man in unserem Kulturkreis ziemlich früh lernt,
sein Vertrauen in die Welt, so wie sie ist, zu verlieren: Sie kommen in „Peterchens
Mondfahrt" vor oder in den Religionsfibeln, in denen man Männer sieht,
die sich von ihren wallenden Bärten nicht davon abhalten lassen, mit dem
Messer auf die eigenen Kinder loszugehen oder Frauen für weiß der
Himmel welche Vergehen zu steinigen; sie kommen vor in DUMBO oder THE
TEXAS CHAINSAW MASSACRE.
Man kommt um die Begegnung mit dem Bild dieses großen Zerwürfnisses
nicht herum, egal ob man sich in die Kirche oder ins Kino flüchtet: Von
der Wirklichkeit ganz zu schweigen. Aber eins setzt das andere in Bewegung:
Die Funktionen von Hölle und Gnadenort der Bilder wurden zwischen Kino
und Kirche hin und hergeschoben; vor den Schrecken der religiösen Bilder
konnte man ins Kino flüchten und vor den Schreckensbildern des Kinos zum
Religiösen. Nun aber hat Mel Gibson einen Christus-Film gedreht, der funktioniert
wie DUMBO oder THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE. Als Bild einer radikalen Verneinung.
Das
Opfer als dramaturgische Linie
Die
Geschichte der Kino-Bilder und der religiösen Bilder kommt in der PASSION
CHRISTI zu
einem Kurzschluss. Material für dieses Bild freilich ist auch die Geschichte
der Selbst- und Weltbilder ihres Autors: Mel Gibson hat in seinem Filmen, mit
anderen Regisseuren wie als eigener Autor, eine ganz eigene Mythologie des biederen
Mannes entwickelt, der zum über alle Pflichterfüllung hinausgehenden
Gewalttäter werden muss. Weit entfernt von den Rechtsanarchisten des gewohnten
Actionfilms erhalten in seinen Filmen, mal so deutlich wie in THE
PATRIOT
oder BRAVEHEART, mal eher verhalten wie in WE WERE SOLDIERS die Gewalttaten
eine politische und religiöse Symbolik. Gibson ist in seinen persönlichen
Filmen ein rückwärtsgewandter Rebell. Es ist nicht die Gestalt des
einsamen, stoischen Helden, es ist die Gewalt eines familiären Überzeugungstäters,
die auch schon in seinen frühen Erfolgen - wenn auch als Negation - angelegt
ist: In den MAD MAX-Filmen und in denen der LETHAL WEAPON-Serie gleitet der
Amokläufer im Dienste der Gerechtigkeit stets in eine Position der quasi-religiösen
Überhöhung, und immer sucht dieser merkwürdige Held nicht allein
den Triumph über den Feind, sondern auch die Selbstverletzung, das „heilige"
Bild des verwundeten Körpers. Bis ins Detail kennen wir die Verletzungen,
die er am Körper Christi zeigt, schon von seinen eigenen Film-Körpern.
Selbst in Gibsons trivialeren Filmen überlagert die Größe des
Opfers dieses Helden dessen eigentlichen Inhalt. Es ist das Opfer-Bild des verwundeten
Männerkörpers, um genau zu sein, denn wenn man die Filme intensiver
ansieht, dann geht es offensichtlich stets auch um die Konstruktion von Männlichkeit.
Und
vielen Mel-Gibson-Filmen, vom allerersten MAD MAX an, ist eine dramaturgische
Linie zu eigen: Man versteht den maßlosen Zorn des ursprünglich so
biederen Helden erst durch die abgrundtiefe, unbegrenzte Bosheit der Feinde,
die ihn erzeugt haben. Da ist der Held, und beinahe alle anderen sind des Teufels.
Dass von Gibson ein filmisches Passionsbild kommt, das so viel Hass und so wenig
Liebe verrät, das ist also auch dann keine große Überraschung,
wenn man seine persönliche religiöse Überzeugung und die seiner
Kirche, seiner Familie und seiner Mitarbeiter nicht kennt. Christus als Gibson-Held,
das kann nur einer sein, der durch die besinnungslose Bosheit der anderen zum
Opfer getrieben wird, der erst durch die Abfolge der Verletzungen wird, wer
er ist, und wenn der Film uns mit der Auferstehung allein lässt, dann müssen
wir erwarten, dass dieser Gekreuzigte nur als Rächer unter die Menschen
zurückkehren kann. Oder als einer, der der Welt radikal den Rücken
kehrt. Und in der Tat ist ja unserem Bedürfnis nach Rache schon vorauseilend
einiges geboten worden: Judas baumelt am Strick, dem mitgekreuzigten Schächer
wird von einer Krähe das Auge ausgehackt, weil er an den Erlöser nicht
einmal hier glauben will (das ist ein reines Gibson-Bild: die Verletzung des
Auges ist ein wiederkehrendes Bild in seinen Filmen), ein Donnerwetter geht
hernieder nach der Kreuzigung, das so offensichtlich auf ein viel größeres
strafendes Unwetter hinweist. Wir ahnen etwas Schreckliches: Dieser rückwärtsgewandte
Rebell will durch sein Opfer gar kein Neues Testament begründen. Er provoziert
vielmehr die Realisierung alttestamentarischer Strafe.
Vielleicht
ist dies der Skandal des Films in der Geschichte der spannungsvollen Beziehungen
zwischen Kino und Kirche: Bislang war es so, dass sich ein mehr oder weniger
fundamentalistischer Kern der Kirchen von einem modernen, ketzerischen oder
gar blasphemisch „befreiten" Christus-Bild auf der Leinwand provoziert
fühlen musste. So war es bei Pasolinis EVANGELIUM, bei Herbert Achternbuschs
DAS GESPENST oder bei Martin Scorseses DIE
LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI.
Nun aber verhält es sich gerade umgekehrt: Eine liberale, aufgeklärte
und jedenfalls nicht-fundamentalistisch christliche Gesellschaft muss sich durch
ein fundamentalistisches Leinwand-Bild der Passion provoziert fühlen. Und
während die „Provokationen" der Ketzer stets auch formale, filmästhetische
Komponenten der Dissidenz aufwiesen, wirkt Gibsons Film gerade dadurch, dass
er bedenkenlos alle Register des Blockbuster-Kinos, der Effekmaschinerie Hollywoods,
der emotionalen Manipulation durch das Bewegungsbild zieht.
Religiosität
der Oberfläche
Das
Passepartout für diese Umkehrung ist ausgerechnet das Gewaltbild; es erzeugt,
aller Widersprüchlichkeit, mit der wir es aufnehmen, zum Trotz, eine mystische
Einheit; es erzeugt einen Glauben aus Angst. Und es funktioniert als Ausweis
der Authentizität: Er meint es ernst. Und auch diese negative Erhabenheit
ist ein Köder, der hier und da von unerwarteter Seite geschluckt wurde.
Als wäre eine Splatter-Version der Passion eine Erlösung gegenüber
den verkitschten, harmlosen und kindlichen Darstellungen, ungefähr so wie
man Steven Spielbergs DER
SOLDAT JAMES RYAN
als Erlösung gegenüber Verharmlosung und kindischer Heroisierung der
Kriegserinnerung empfunden haben mochte. Das Gewaltbild weist auf eine „Erwachsenheit"
hin; es ist das Gewaltbild, durch das wir aus dem Paradies der Kindheit, aus
dem „Urvertrauen" vertrieben werden. Wir mögen uns an Gewaltbilder
gewöhnt haben, aber sie führen nach wie vor ins Zentrum der Empfindungen.
Oft am Kopf vorbei und manchmal auch an der Seele.
Zum
Fundamentalen dieser Passionsdarstellung gehört es, dass es keinen Unterschied
zwischen Text und Bild gibt, keine Abbildung und Reflexion; sondern ein filmisches
Geschehen, das von sich behauptet, der Sache selbst ganz und gar nahe zu kommen.
Dazu setzt Gibson alle Mittel des Filmens im Mainstream ein, seine Kamera bezieht
keine Positionen, sondern bewegt sich beschwörend und predigend, in Gesten
der Macht, der Bedrohung und der Gewalt. Unser Blick switcht von Täter
zu Opfer; wir werden bedroht, und wir sind die Peiniger; so, das mag man in
den einfachen Grundlagen der Film-Psychologie erfahren, lernt man im Kino, Gewalt
zu genießen als eine sadomasochistische Inszenierung, in der es kein Mit-Leiden
gibt; sondern nur die Lehre von Aktion und Reaktion.
Die
Kritik tut sich daher schwer, paradoxerweise, weil es ihr zu leicht gemacht
wird. Denn was diesen Film so stark macht, ist, dass er eine Religiosität
anbietet, die aus reiner Oberfläche besteht. Es ist, was es ist, nichts
dahinter, nichts darüber hinaus, nichts, was eine Auslegung bräuchte,
nichts, was einen zweiten Blick notwendig machte, nichts von der Spaltung zwischen
dem Sinnbild und dem Abbild und vor allem: nichts davon, dass das Bild und der
Blick ihre Gemeinsamkeit immer erst erarbeiten müss (die zweite Zärtlichkeit
des Kinobildes: den Blick nicht bannen, sondern ihn befreien). Die Mainstream-Ästhetik,
der Fundamentalismus und das Gewaltbild werden Komplizen in einem Projekt. Es
ist bad
religion,
gewiss, es ist aber auch „böses Kino".
Freilich
kann man diese Passion auch noch ganz anders sehen. Nicht als Propagandawerk
eines überzeugten und auch ökonomisch, politisch und organisatorisch
in ein strategisches Netzwerk eingebundenen Fundamentalisten, sondern als eine
direkte Wiedergabe der Bibellektüre eines verängstigten, von Scham
und Zorn getriebenen kleinen Jungen, der auf die Grausamkeit der Welt nur reagieren
kann, indem er ein religiöses Bild seiner Angst und seines Zorns erzeugt:
His own personal Jesus. Aber ein Film ist kein Pop-Song, und einer, der mit
diesem Aufwand und dieser Rhetorik entsteht, kann gar nicht persönliches
Bekenntnis bleiben. Traurig genug sind ohnedies beide Lesarten des Films.
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Die
Passion Christi
THE
PASSION OF THE CHRIST
USA
2003. R:
Mel Gibson. B:
Benedict Fitzgerald, Mel Gibson. P: Mel Gibson, Bruce Davey. K: Caleb Deschanel.
Sch: John Wright. M: John Debney. T:
Maurizio Argentieri. A: Francesco Frigeri, Daniela Pareschi. Ko: Maurizo Millenotti.
Sp: Renato Agostini, Ted Rae. Pg: Icon. V: Constantin. L: 126 Min. Da: Jim Caviezel
(Jesus), Monica Bellucci (Maria Magdalena), Maia Morgenstern (Maria), Mattia
Sbragia (Kaiphas), Hristo Naumov Shopov (Pontius Pilatus), Luca Lionello (Judas),
Hristo Jivkov (Johannes), Francesco De Vito (Petrus), Claudia Gerini (Claudia
Prodes).
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18.3. 2004(D), 9.4.2004 (A)