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Die Passion der Jungfrau von Orléans
Welches
künstlerische Potential der Stummfilm bot, weiß erst, wer Carl Theodor
Dreyers „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ gesehen hat. Im Ausreizen
filmischer Möglichkeiten ist dieses Werk Klassikern wie „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Sunrise“ auf jeden Fall ebenbürtig. Der Film beginnt mit
einer dokumentarischen Einleitung. Uns werden die Akten des Prozesses gezeigt,
der auf Betreiben der Engländer 1431 in Rouen gegen die gefangene Jeanne
d’Arc geführt wurde, und wir sehen eine Hand, die in den Folianten blättert.
In diesen Akten sei die wahre Jeanne d’Arc zu entdecken, verkündet uns
eine Texttafel, nicht als Kämpferin in Waffen, sondern einfach und menschlich.
Damit ist der Inhalt des Films vorgegeben. Wir sehen eine junge fromme Frau,
die einem Tribunal mächtiger Theologen gegenüber steht, das sie mit
dem Vorwurf der Ketzerei konfrontiert und mit dem Tod bedroht. Fast drei Viertel
des Films zeigen uns die Befragung Jeanne d’Arcs durch ihre Richter. Im letzten
Viertel beschleunigt sich die Handlung, um mit Jeannes Feuertod und der gleichzeitigen
Niederschlagung eines Volksaufstandes seinen Höhepunkt und Abschluss zu
finden.
Der
Film ist einer strengen Authentizität verpflichtet. Die Texte der Zwischentitel
sind wörtlich den Prozessakten entnommen und die Kostüme sind so echt
wie möglich. Und doch verzichtet der Film auf jegliches Kolorit eines Historienfilms.
Mit strenger Askese beschränkt Dreyer sich auf sein einziges Thema: Er
führt das Mädchen Jeanne in all seiner Angst und Hoffnung, in seiner
Seelenpein und Verzweiflung vor. Und er zeigt, wie Jeanne in ihrem Leiden und
durch ihr Leiden inneren Frieden und Größe findet, und zwar in dem
Augenblick als sie ihr Schicksal, ihren Tod akzeptiert. Der Film hat damit ein
explizit religiöses Thema und Dreyer nimmt diese Religiosität ernst,
absolut ernst. Trotz aller Eindringlichkeit der Darstellung gelingt es ihm aber,
falsches Pathos und Sentimentalität zu vermeiden. Und trotz aller Religiosität
ist die „Passion der Jeanne d’Arc“ kein frömmelnder Film geworden, sondern
ein Film über die leidende menschliche Kreatur, die in ihrem Leiden und
in ihrer Erniedrigung eine menschliche Größe gewinnt, die sie letztlich
über ihre Peiniger siegen lässt.
Dreyer
erreicht diese Wirkung durch die radikale Art seiner Darstellung. Sein bevorzugtes
Mittel ist dabei die Großaufnahme menschlicher Gesichter. „Nichts in der
Welt ist dem menschlichen Gesicht vergleichbar“, sagt Dreyer. „Es ist ein Land,
das zu erforschen man niemals müde wird.“ Die Kamera zeigt uns ungeschminkte
Gesichter, die oftmals den ganzen Bildschirm ausfüllen. Nicht selten sind
es gar nur Augen oder nur Münder, die das Bild zeigt. Doch werden auf diese
Weise äußerst eindringlich die Gefühle und Gedanken der Menschen
vermittelt, paradoxer Weise sogar eindringlicher als es durch den Ton geschehen
könnte. Dreyer suchte seine Darsteller nach ihren Gesichtern aus, er wollte
jeweils das Gesicht, das einer Rolle voll und ganz entsprach. So fand er auf
einer Boulevardbühne in Paris, die völlig unbekannte Maria Falconetti,
die für ihn die ideale Verkörperung Jeanne d’Arcs war. Es sollte dies
die einzige Filmrolle Falconettis bleiben.
Noch
etwas wird durch diese Art der Darstellung erreicht: Es wird jegliche Distanz
übersprungen. Wir schauen nicht einem historischen Prozess zu, wir befinden
uns mitten drinnen. Dies wird dadurch verstärkt, dass es im ganzen Film
so gut wie keine Totalen gibt. Wir sehen nie die handelnden Personen im räumlichen
Zusammenhang, sondern die Personen rücken uns ganz nahe. Und nicht selten
entsteht der Eindruck, sie würden gleichsam von allen Seiten auf uns eindringen.
Wir sehen in rascher Folge die Gesichter der Theologen, lauernd, höhnisch,
drohend, wie sie erwarten, dass Jeanne eine falsche Antwort gibt, sich in den
Fallstricken ihrer scholastischen Absurditäten verfängt. Und wir sehen
Jeanne, ihre großen Augen, die angstvoll aufgerissen sind oder ihre stumme
Qual. Die innersten Regungen der Personen werden mit ihrer Mimik und Gestik
vermittelt, ihr Charakter wird von der Kamera eingefangen. Es ist diese Art
der Darstellung Dreyers, ein Stil, den nach ihm niemand mehr mit solcher Konsequenz
verwirklichte, was dem Film seine Unverwechselbarkeit verleiht. Dieser Film
wirkt wie ein historisches Dokument aus einer Epoche, in der das Kino noch nicht
existierte, sagte Jean Cocteau.
Die
Richter werden meist in Untersicht gefilmt und gewinnen so zusätzliche
Bedrohung, etwa in einer Szene, wo wir Gesicht für Gesicht eine Reihe von
Richtern sehen, die sich etwas zuflüstern, eine Szene die gegengeschnitten
wird mit Jeannes angstvollen Blicken. Jeanne wird häufig von oben gesehen
oder mit schief geneigtem Kopf. Sie ist das Opfer, das einer erdrückenden
Übermacht intriganter Theologen gegenübersteht. Es gelingt Dreyer
diesen Gegensatz ganz deutlich zu vermitteln: Auf der einen Seite die Ankläger,
denen es bei aller vorgeblichen Frömmigkeit und Kirchentreue doch nur um
eine Frage der Macht geht. Wir sehen ihre lauernden Blicke und erahnen ihre
ständigen Hintergedanken. Auf der anderen Seite Jeanne, deren Person jederzeit
absolut aufrichtig wirkt. Sie glaubt, was sie sagt und sie sagt, was sie glaubt.
Bei der Befragung wird ihre Gewissennot deutlich. Ob sie sicher glaubt im Stand
der Gnade zu sein und die Kirche zu ihrer Erlösung nicht zu brauchen, lautet
eine Frage. Ob sie so wie Jesus der Sohn, die Tochter Gottes sei, lautet eine
andere. Und von der Beantwortung dieser Fragen hängt ihr Leben ab. Doch
nie versucht sie zu taktieren. Und so bejaht sie: ja sie ist die Tochter Gottes.
Sie bleibt gegenüber allen Drohungen standhaft, auch als man sie in die
Folterkammer führt und als man ihr die Hostie verweigert, was für
sie schlimmer als Folter ist. Auf die Drohung, sie werde in der Ewigkeit allein
bleiben, antwortet sie: „seule …seule avec dieu“ („Allein … allein mit Gott“).
Die
Formulierung „Tochter Gottes“ ist programmatisch für den Film. Dreyer baut
eine Vielzahl von Parallelen zu Christus ein. Sie steht vor einem Scheingericht
wie Jesus und sie weigert sich allen Qualen zum Trotz, ihren Anspruch aufzugeben,
genauso wie Jesus. In den Prozesspausen wird sie von den Wächtern verspottet
und diese setzen ihr eine geflochtene Krone auf und drücken ihr ein Quasi-Szepter
in die Hand. Und immer wieder filmt die Kamera sie mit leicht schief geneigtem
Kopf, so wie Christus in Kreuzigungsdarstellungen erscheint.
Noch einmal baut Dreyer ein retardierendes Moment ein, nur um die Unbedingtheit Jeannes anschließend um so deutlicher herauszuheben. Aus Angst vor dem Feuertod unterschreibt sie endlich das gewünschte Dokument und rettet damit ihr Leben. Sie tut dies nicht aus Überzeugung sondern fast wie schlafwandlerisch, und bei der Unterschrift wird ihr von einem Priester die Hand geführt. In der gleichen träumerischen Haltung bleibt sie sitzen, während man ihr die Haare schert, bis sie plötzlich nochmals nach den Richtern verlangt, um ihre Unterschrift zu widerrufen. „Ich habe Gott geleugnet, um mein Leben zu retten“. Jetzt aber hat sie ihre Entscheidung getroffen. Sie akzeptiert ihren Tod. „Lieber Gott, ich akzeptiere meinen Tod“, sagt sie wörtlich, als sie an den Pfahl auf dem Scheiterhaufen gebunden wird und bittet nur noch darum, nicht zu lange leiden zu müssen. Ein junger Priester, der einzige, der ihr wohlgesonnen war, fragt sie, was jetzt der große Sieg sei von dem sie gesprochen hatte, und sie antwortet: „Mein Martyrium“. Ihr Tod, ihr Selbstopfer, das ist ihr Sieg. Bei der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen zieht Dreyer nochmals ganz deutlich die Parallele zu Christus. Am Pfahl, an den sie angebunden wird, ist oben eine Inschrift angebracht und als sie festgebunden ist und das Feuer zu brennen beginnt, fragt sie „Werde ich heute im Paradies sein?“ Vor dem Scheiterhaufen hat sich eine Menge Volk versammelt und schaut ihrer Todesagonie zu. Jeanne stirbt mit dem Ruf „Jesus!“. Und aus der Menge des Volkes ertönt der Ruf: „Ihr habt eine Heilige verbrannt“. Der Aufstand, der damit beginnt, wird von den Engländern grausam niedergeknüppelt und kostet viele Menschen das Leben.
Dreyer
verzichtet in seinem Film auf viele Möglichkeiten, die der Stoff geboten
hätte, und die von späteren Versionen auch ausgiebig genutzt wurden.
Wir bekommen keine Schlachten zu sehen, keine Jeanne d’Arc, die dem französischen
Heer voran zieht, es gibt keine Engelserscheinungen in der Zelle und auch keine
patriotischen Töne bei der Verfilmung der Nationalheiligen, was das zeitgenössische
französische Publikum enttäuschte. Doch gerade durch diese Selbstbeschränkung
gewinnt der Film seine Intensität. Obwohl der Film sich streng an die historischen
Fakten hält, weist er durch die strikte Konzentration auf die angeklagte
Jeanne über ein spezielles historisches Ereignis hinaus und Jeanne wird
so zum Archetyp der hingerichteten Unschuld schlechthin, die durch ihre Aufrichtigkeit
im Angesicht des Todes ihre Henker desavouiert. Dreyer plante einen Christusfilm,
den er mangels Geldgebern niemals realisieren konnte. „Die Passion der Jeanne
d’Arc“ gibt uns eine Ahnung, was für ein Film dies hätte werden können.
Dieser
Text ist nur erschienen in der filmzentrale
Zu diesem Film gibt's im archiv mehrere Texte
La Passion de Jeanne d’Arc
Frankreich 1928, Regie: Carl Theodor Dreyer, Buch: Joseph Delteil und Carl Theodor Dreyer, Kamera: Rudolph Maté, Mit: Maria Falconetti, Eugene Silvain, André Berley, Maurice Schutz, Antonin Artaud, Michel Simon, Jean d’Yd.
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