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Perdita
Durango
PERDITA
DURANGO erzählt von einer Frau gleichen Namens und von einem Pakt zweier
Menschen, denen das Leben bisher nicht gut mitgespielt hat. Perdita hat gerade
ihre ermordete Schwester beerdigt. Jetzt läßt sie sich an einem Imbiß
an der mexikanisch-texanischen Grenze von LKW-Fahrern und Handelsreisenden anquatschen,
um sich das Überleben zu sichern. Romeo ist karibischer Herkunft, ein Krimineller,
der seinen Unterhalt aus Raubüberfällen und effektvoll inszenierten
Voodoo-Menschenopfer-Ritualen für US-Touristen kofinanziert. Als er Perdita
begegnet, ist er gerade mit einer Leiche auf der Rückbank seines Geländewagens
auf der Flucht vor der Polizei und einem Kumpel, den er um die Beute aus einem
Bankraub gelinkt hat.
Eine
Frau wäre zum Grenzübertritt eine gute Tarnung. Perdita (Rosie Perez
) ist attraktiv, auf eine energetische Art schön. Daß es ausgerechnet
der häßlichste aller Männer sein muß, dem die selbstbewußte
Frau ihre Unabhängigkeit opfert, scheint bitter. Wie eine menschgewordene
Bulldogge sieht dieser Romeo (Javier Bardem) aus, auch wenn er den schön-traurigen
Beinamen Dolorosa trägt. Doch dieser Mann spielt nicht nur den Macho, er
ist wirklich einer. Perdita, selber Machista genug, hat für so etwas Gespür.
Und sie mag es. Perdita also steigt bei Romeo ein. Beide verbindet die Direktheit
ihrer Lust und die Lust an der Grenzüberschreitung. Sex und Gewalt. „The
two greatest pleasures in life are fucking and killing." Wer
von beiden das sagt? Erstmal scheint das egal. Beider Phantasien steigern sich
aneinander hoch, bis Perdita die aufregendste Idee hat, die makabren Vodoo-Rituale
noch ein bißchen aufzumotzen mit frischem, lebendigen weißen Blut.
Das blonde Teenagerpärchen, das dieser Idee zum Opfer fällt, scheint
mit nur leichten Verzerrungen aus einer x-beliebigen US-amerikanischen Familienserie
geklaut. Rosig sind sie und so blond und so unschuldig, daß das verbürgt
Schöne im Exzeß häßlich wird und die Unschuld zur Schuld.
„Looks like another planet", sagt der gefesselte Knabe, als Romeo ihn in
der Wüste zwischen den phallischen Kakteen aus dem Wagen schmeißt.
Natürlich muß beider Unschuld in der Folge materiell und seelisch
tüchtig leiden, bevor sie sich irgendwann wie heimgekehrte Hänsel
und Gretel unter einem heimelig-leuchtenden „Tucson-Inn"-Emblem wiederfinden.
Denn Perdita und Romeo verstehen sich nicht nur aufs blanke Quälen, sondern
auch darauf, die sexuellen Wünsche und die Überlebensängste ihrer
Opfer zu einer Quelle jeweiliger Komplizenschaft zu machen.
Eine
Initiationsgeschichte? Nebenbei auch. Aber PERDITA DURANGO ist Perditas Film
und als solcher eher ein Rachefeldzug der Verdammten gegen die weiße Mittelschicht.
Denn dieser Film inszeniert Perdita und Romeo nicht als NATURAL
BORN KILLERS,
sondern Iäßt sie durch schlaglichtartige Rückblicke in beider
von Gewalt bestimmte Vorgeschichten durchaus als gewordene Personen erscheinen.
Mit Bonny-and-Clyde-Freiheit, wie etwa das Presseheft mit einem bekannten Janis-Joplin-Zitat
suggeriert, hat dieser Amoklauf aber nur als romantische Projektion zu tun.
Kein göttliches Paar, sondern auch nur verstrickte Menschen. Und so fällt
den Machtspielereien irgendwann auch der ursprüngliche satanische Pakt
zum Opfer.
Drogendeals, Sippenkämpfe, ungelenke FBI-Verfolger und eine ganze LKW-Ladung
voll tiefgefrorener Embryos sind dabei eher schmückendes Beiwerk. Dabei
sind manche der Zutaten, wie etwa der hyperdominante Soundtrack, schwer erträglich.
Doch die unbekümmerte Popästhetik, die sich auch an Zitaten unbekümmert
vergreift (so ist Romeo Western-Fan, der sich am liebsten als Burt Lancaster
träumt), läßt jeden Widerstand schnell ersterben. Ein grell-grausames
Latino-Märchen. Und am Ende wird sogar geweint.
Regie
geführt hat der junge Baske Alex de la Iglesia, dessen beide vorherige
Filme ACCION MUTANTE und EL DIA DE LA BESTIA einige Preise auf nationalen und
internationalen Festivals gewinnen konnten. Zu einem „Kultfilm" hat PERDITA
DURANGO, der nach der Vorlage eines „Kultromans" des „Kultautors"
Barry Gifford (Vorlage zu David Lynchs WILD
AT HEART
und LOST
HIGHWAY)
entstand, wohl nicht das Zeug. Als genregesättigte Latino-Antwort auf Lynch
könnte man ihn schon sehen. Und alle Pferdeflüsterer und Apostel sind
gottseidank meilenweit entfernt.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
PERDITA
DURANGO
Spanien/Mexiko
1997. R: Alex de la Iglesia. B: Barry Gifford, Jorge Guerricaechevarria, Alex
de la Iglesia (nach dem Roman von Barry Gifford). P:
Andres Vincente Gomez. K:
Flavio Martinez Labiano. Sch: Teresa Font. M:
Simon Baswell. T:
Salvador de la Fuente, Juan Carlos Prieto. A:
Jose Luis Arrizabalaga, Arturo Garcia Biaffra. Ko: Mariaestela Fernandez, Glenn
Ralston. Pg:
Sogetel/Lolafilms/Mirador Films/Canal Plus. V: Advanced. L: 128 Min. St: 29.10.1998.
D: Rosie Perez (Perdita Ourango), Javier Bardem (Romeo Dolorosa), Harley Cross
(Duane), Aimee Graham (Estelle), James Gandolfini (Dumas), Screamin" Jay
Hawkins (Adolfo).
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