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Permanent
Vacation
Auf Reisen ...
"Irgendwann ist das Neuartige
weg.
An seine Stelle tritt diese Angst,
eine schleichende Angst ...
Nach einer Weile hörst Du
eine
Stimme, und dann ist Schluss.
Zeit zu verduften, woanders hingehen.
Die Leute werden überall
gleich sein. Sie besitzen höchstens
andere Kühlschränke
oder Klos ...
Fremde sind überall nur Fremde."
Allie (Chris Parker) ist so ein
Fremder, a stranger everywhere. Den 16jährigen treffen wir in New York.
Und gleich die ersten Szenen vermitteln den eigentümlichen, den sehr eigenen
Blick Jarmuschs in seinem ersten, schon viel beachteten Film, auf die Metropole
aller Metropolen. Tom Di Cillos Kamera wechselt zwischen Szenen eines belebten,
aber anonymen New Yorks und anderen der Lower East Side, in denen er das Verfallene
der Stadt, fast menschenleere Straßen, Müll usw. zeigt. Den Film
durchzieht eine Jarmusch ebenso eigene Musik, eine Mixtur aus fast schon bedrohlich
wirkenden Klängen, gemischt mit blechernen Glockengeräuschen. Abwechselnd
dazu hört man Charlie Parkers Jazz und John Luries Saxophon, u.a. ein stark
verfremdetes "Somewhere Over the Rainbow".
Allie ist ungefähr 16, streift durch die verfallenen
Straßen der Lower Eastside Ende der 70er Jahre, sprüht in gelber
Farbe auf eine Hauswand "Allie, total blam blam" und wohnt bei einer
schönen jungen Frau, die das Alleinsein satt hat: Leila (Leila Gastil).
Leila sitzt am Fenster einer dieser seit langem unrenovierten Wohnungen, die
Beine auf der Fensterbank, den Blick hinaus zum Fenster und wartet. Allie tanzt
zu Parkers Musik. Die Beziehung zwischen beiden ist eine vorübergehende
- wie alles im Leben Allies vorübergehend ist.
Allie ist ein Wanderer durch die Welt. Er lernt Leute
kennen, Räume, Gegenden, aber schon bald sagt ihm eine innere Stimme, dass
er weiterziehen müsse. Er wird auch Leila verlassen. Begegnungen finden
im eigentlichen Sinne nicht statt. Aufgewachsen in Erziehungsheimen hat Allie
seinen Vater schon früh verloren: der haute ab, während seine Mutter
(Ruth Bolton) im Irrenhaus landete.
Schon in "Permanent Vacation", diesem nie
enden wollenden Dauerurlaub, präsentiert Jarmusch eine dieser Figuren auch
seiner späteren Filme, die ständig auf Reisen sind, ständig neue
Wege beschreiten und nie irgendwo ankommen - schon gar nicht bei sich selbst.
Man könnte es sich einfach machen und Jarmuschs Figuren zu Outsidern deklarieren.
Aber das träfe nicht den Kern. Allie ist alles andere als ein Außenseiter,
auch wenn es zunächst so scheint. Er ist eher der Protagonist all jener
Reisenden, für die das Leben nicht in der zivilisatorisch geformten Zeit
des Industriezeitalters und schon gar nicht der Postmoderne bestehen kann. Allie
ist nicht zu faul zum arbeiten. Allie hat einen inneren Rhythmus, der gegen
den Zeittakt der Moderne rebelliert, rebellieren muss.
"Somewhere
over the rainbow way up high
And
the dreams that you dream of
once
in a lullaby
Somewhere
over the rainbow blue birds fly
And
the dreams that you dream of,
dreams
really do come true
Someday
I'll wish upon a star,
wake
up where the clouds are far behind me." (1)
Allie begegnet dem Krieg. Er geht an die Stätte
seiner Geburt, jedenfalls meint er dies, einen Ort, an dem die zerfallenden
Gebäude bereits von Pflanzen überwuchert werden. Er hört Bomber
und Flieger, als wenn sie über dem Ort nahe der Metropole kreisen würden.
Die Chinesen hätten sein Geburtshaus im Krieg zerstört, erzählt
er Leila. Dort trifft er auf einen Kriegsveteranen (Richard Boes), der glaubt,
Vietnam sei noch nicht zu Ende. Symbolisch und in der Phantasie steht dieser
Ort für Allies Kindheit, für den Krieg in der Familie, der den Vater
verschwinden ließ und die Mutter auch - im Irrenhaus. Dort besucht er
sie, ohne sie wirklich zu erreichen. Der Krieg im Kopf scheint allgegenwärtig
- nicht nur bei seiner Mutter, die mit Irrsinn auf das Erlebte reagiert, sondern
auch bei einer jungen Lateinamerikanerin (María Duval), die er kurz darauf
auf der Treppe eines herunter gekommenen Hauses trifft, im Unterrock, den Mund
mit Lippenstift verschmiert, eine Frau, die ihn wegjagt, ihn fort schreit.
Dieses "Irresein" durchzieht auch das Verhalten
der weiteren Personen, die er trifft, etwa den Mann im Kino (Frankie Faison),
der vom Zusammenhang des Doppler-Effekts mit Charlie Parkers Biografie phantasiert.
Jarmuschs Blick auf die Stadt aller Städte,
auf die Metropole, ist - wie auch später z.B. in "Mystery
Train" bezüglich Memphis
- ein messerscharfer Blick, ein sezierender, scharfer Schuss, der durch die
Ausschnitt-Haftigkeit, der durch sein Weglassen dessen, was man sich von New
York vorstellt, umso tiefere Einblicke gewährt. Allie nimmt in seiner begrenzten
Sicht das Anonyme, das Flüchtige, das ihm Fremde - und im eigentlichen
Sinne ist ihm paradoxer Weise alles so fremd, wie es ihm vertraut ist - in einer
Weise wahr, die sein Weiterziehen, die Fortsetzung seiner Reise nur konsequent
erscheinen lässt. Wenn ihm auf einer seiner Stationen die Popcornverkäuferin
(Lisa Rosen) an der Kinokasse von einem Film erzählt, in dem Eskimos verkünden,
ein neugeborener Junge würde warm gehalten und beschützt, während
einem neugeborenen Mädchen Schnee in den Mund gesteckt würde, um es
zu ersticken, dann klingt dies so beiläufig, so unwichtig, so unbedeutend
wie alles Alltägliche, was ansonsten zu passieren scheint. Allie zieht
weiter. Es gibt nichts Neues für ihn, sondern immer nur die Wiederholung
des schon Bekannten.
"Someday
I'll wish upon a star,
wake
up where the clouds are far behind me
Where
trouble melts like lemon drops
High
above the chimney tops is where you'll find me
Somewhere
over the rainbow way up high
And
the dreams that you dare to, why, oh why can't." (1)
Schließlich klaut er einer Frau (Suzanne Fletcher)
ein Auto, verkauft es für 800 Dollar an einen Schieber (Eric Mitchell),
um mit dem Geld ein Ticket für eine Seereise nach Paris zu kaufen. Im Hafen
trifft Allie auf einen Seelenverwandten, einen Franzosen (Chris Hameon), der
gerade in New York angekommen ist, geflohen aus Paris, um hier, wie er sagt,
"sein Babylon" zu finden.
Begriffe wie Verlorensein, Einsamkeit, Außenseiter
können die Atmosphäre von Jarmuschs Filmen kaum annähernd umschreiben.
Allie ist nicht wirklich verloren, nicht tatsächlich einsam und auch kein
Außenseiter. Er ist eher so etwas wie ein stiller Rebell, einer, der sich
den Funktionsprinzipien der Moderne nicht unterwerfen kann und will, aber nicht
durch eine offene oder gar gewaltsame Rebellion, sondern eher durch eine Art
innere Emigration. Es gibt für ihn eigentlich nichts wirklich Fremdes,
weil es für ihn (noch?) nichts wirklich Eigenes gibt. Man könnte sagen,
dass ihm die Funktionsprinzipien der Moderne fremd sind. Trotzdem kann er sich
ihnen nur schwer entziehen, so dass er gezwungen ist, ständig zu reisen.
Aber Allie ist kein Reisender, der irgendwo ankommt oder gar dort bleibt, wo
er ist, kein Tourist, der sich an dem Fremden eines neuen Ortes ergötzt.
Die Orte, die er aufsucht, sind sich - zumindest seinem Gefühl nach - immer
gleich. Er lernt Menschen und Räume kennen, deren Neuartigkeit sich schnell
in Bekanntes verwandelt. Seine permanente Reise ist eine Suche nach dem Individuellen,
dem wahrhaft Eigenen, das er in anderen nicht finden kann.
Selbst im Spiel des Saxophonisten (John Lurie), der
"Somewhere Over the Rainbow" verjazzt spielt, erkennt Allie nur allzu
Bekanntes. Seine Rebellion gegen das Homogenisierte, das Vereinheitlichende,
die Glättung der Unterschiede, das Unsichtbarmachen des Individuellen,
des Eigenen, des Eigensinns ist daher in ihrer Konsequenz und auch in ihrer
individuellen Radikalität sowohl nachzuvollziehen, als auch in dieser ihrer
Radikalität in gewisser Weise riskant, weil sie, wie Allie selbst am Schluss
sagt, als er das Schiff nach Paris betritt, dazu führt, dass für ihn
jegliche Art von Bindung - nicht nur an eine Frau wie Leila, sondern überhaupt
zu Menschen - unmöglich erscheint. Mit diesen Worten geht Allie an die
Reling des Schiffes und schaut über das Wasser auf die Skyline von New
York, die irgendwann in der Weite des Ozeans verschwinden wird.
"Permanent Vacation" deutet - im Rückblick
betrachtet - auf alle anderen Filme Jarmuschs, wobei schon in diesem ersten
Film, den der Regisseur kurz nach Absolvierung seiner Ausbildung drehte, paradoxer
Weise deutlich wird, wie wenig pessimistisch Jarmuschs Filme dennoch sind. Schon
in diesem Film schwingt immer eine dem Regisseur eigene Form subtiler, fast
schon "vorsichtiger", "bedächtiger" Komik mit, die
sich kaum in äußerlichen Gesten manifestiert, sondern durch die Gesamtkomposition
jeder Szene - und auch hier schon wirken die einzelnen Szenen wie in sich abgeschlossene
Stücke und zugleich als Teil eines Gesamtkunstwerks - wirkt.
"Permanent Vacation" sei nicht Jarmuschs
bester Film, wird geschrieben. Aber das ist eine schwierig zu entscheidende
Frage. Ich mag diesen Film, ja, ich liebe ihn. Er ist Teil des Gesamtkunstwerks
eines Regisseurs, der selbst in seiner Radikalität und Hollywoodferne,
in der Liebe zu seinen Figuren, über die Jahre hinweg sich treu geblieben
ist - und vielleicht ist dieser Film, das, was er bedeutet oder bedeuten kann,
auch ein Teil meiner selbst.
• D V D •
Bild: 1,33:1
Sprachen/Ton: Englisch
Untertitel: Deutsch
Der Film ist sowohl als Einzel-DVD,
als auch in der Jarmusch-Collection neben acht anderen Filmen des Regisseurs
zu haben - herausgegeben von Arthaus und Kinowelt. Der englische Originalton
ist gut verständlich. Das Bild weist gelegentlich einzelne Verschmutzungen
auf und ist generell sehr körnig. Trotzdem hat die digitale Bearbeitung
des Films die Bildqualität erheblich verbessert.
Eine besondere Zugabe auf der DVD
ist ein 42 Minuten langes Porträt des Regisseurs aus dem Jahr 1984, in
dem Jarmusch, Tom Di Cillo, Chris Parker und etliche Mitarbeiter von Jarmusch
zu Wort kommen. Die Dokumentation enthält etliche längere Passagen
aus "Permanent Vacation" und "Stranger
Than Paradise".
Ulrich Behrens
Dieser Text ist
zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
(1)
"Somewhere Over the Rainbow" (Musik: Harold Arlen, Text: E.Y. Harburg)
Permanent
Vacation
(Permanent
Vacation)
USA
1980, 75 Minuten
Regie:
Jim Jarmusch
Drehbuch:
Jim Jarmusch
Musik:
Jim Jarmusch, John Lurie
Kamera:
Tom Di Cillo, James A. Lebovitz
Schnitt:
Jim Jarmusch
Darsteller:
Chris Parker (Allie), John Lurie (Saxophonspieler), María Duval (Latin
Girl), Richard Boes (Kriegsveteran), Ruth Bolton (Mutter), Sara Driver (Krankenschwester),
Frankie Faison (Mann im Kino), Jane Fire (Krankenschwester), Suzanne Fletcher
(Mädchen im Auto), Leila Gastil (Leila), Chris Hameon (französischer
Tourist), Eric Mitchell (Autoschieber), Lisa Rosen (Kartenverkäuferin im
Kino), Felice Rosser (Frau am Briefkasten)
©
Ulrich Behrens 2005
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