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Peter
Tosh – Stepping Razor
Tod
auf Jamaica
Am
11. September jähren sich so manche Massaker. An die Twin Towers und ihre
Toten werden wir wohl noch ein paar Jahrzehnte lang termingerecht erinnert werden,
den blutigen Militärputsch in Chile von 1973 betrauert immer noch, kaum
registriert, ein Häuflein aufrechter demokratischer Sozialisten, aber wer
weiß schon noch von der Hinrichtung des Peter Tosh am 11. September 1987?
Und überhaupt. Wer war Peter Tosh noch mal eigentlich?
Mick
Jagger müsste es noch wissen, denn wie wir im Dokumentarfilm „Peter Tosh
– Stepping Razor“ erkennen können, ist er es, der sich mitten im Auftritt
dieses Rastamans an dessen Seite vorzappelt, um gemeinsam mit ihm ein Reggae-Duett
zu singen in einem Stadion irgendwo in den USA. Er war es auch, der den Jamaicaner
für die Restwelt „entdeckte“, ihn der Plattenindustrie zuführte, ihn
zu einem reichen Rastafari machte - und zu einem künstlerisch ausgebeuteten.
Peter
Tosh vereinigte quasi alle einschlägigen Reggae-Attribute auf sich, von
denen sich auch sein langjähriger Freund und Musikerkollege Bob Marley
niemals lösen wollte - oder konnte: Beide galten als authentische jamaicanische
Propheten und Revolutionäre, die sich aus den Gettos von Kingston mit der
Hilfe von Reggae, Ganja und Rastafari herausgekämpft hatten. Nicht nur
der unterdrückten schwarzen Bevölkerung Jamaicas dienten sie als Idole
des Freiheitskampfes, denn die Anti-Apartheid-Heroen von Jamaica anvancierten
mit ihrer Musik auch weltweit zu Symbolfiguren im Kampf gegen Rassismus und
soziale Ungerechtigkeit - und für einen ungebremsten THC-Konsum. Tosh aber,
der Hitzkopf mit Palästinenser-Tuch und mit der Gitarre in Form eines Gewehrs,
war immer der Radikalere. Als Marley etwa als Friedensgeste weiße Apartheids-Politiker
auf der Bühne umarmte, erklärte Tosh im Gegenzug, dass Frieden ohne
Gerechtigkeit für ihn kein Frieden sei. Beide standen auf der Todesliste,
Marley starb an Krebs, Tosh und drei seiner Freunde wurden bei einem „Raubüberfall“
in seinem Haus erschossen.
1991,
also vier Jahre nach seinem Tod, wurden im Nachlass Peter Toshs die „RED x Tapes“
gefunden, von Tosh besprochene Tonbänder, aus denen einmal eine Autobiografie
werden sollte. 1992 machte Regisseur Nicholas Campbell diese Monologe zum Orgelpunkt
eines Films, der jetzt, 13 Jahre später, erstmals in deutscher Bearbeitung
in den deutschen Kinos zu sehen sein wird.
Heute,
gestern, vorgestern. Vom Jahr 2005 führt der Film „Peter Tosh – Stepping
Razor“ den Zuschauer sukzessive rückwärts, zunächst in sein Entstehungsjahr
1992, von wo aus sich jemand erinnert an jemanden, der wiederum fünf Jahre
vorher starb. Das alles dann mit Hilfe dessen eigener Erinnerungen, die naturgemäß
noch weiter zurückliegen. Toshs Monolog, der klingt wie eine Stimme aus
dem Grab, verleiht der merkwürdig vergangenen Suche nach seiner Biografie
einen zusätzlichen Dreh ins Morbide, Mystische oder Mythische, oder dahin,
wo alles drei eventuell zusammentrifft, hinein in die Selbststilisierung einer
lebenden Ikone.
Der
Dokumentarfilm liefert rohe Impressionen eines Jamaica, dessen rotgefilterte
Sonnenuntergänge zugleich in einem Paradies und in einer Hölle hätten
fotografiert sein können, während Peter Toshs Pathos aus dem Off die
Kräfte der Natur und die „Wahrheit“ beschwört, seine einzige Waffe
im Kampf gegen das „Shitstem“ (System) und gegen die „Teufel“, die sich gegen
jeden richten, der im Besitz dieser „Wahrheit“ ist, gegen ihn selbst zuerst.
Kurze Ausschnitte aus Interviews mit Verwandten und Freunden geben Anhaltspunkte
über seine Kindheit und Jugend, doch als wäre ihnen nur bedingt zu
trauen, verlässt sich der Film stärker auf das Sammeln unruhiger Szenarien,
auf alte Aufnahmen eines elenden Trenchtown, dem Getto von Kingston, während
Tosh im landesüblichen Idiom erzählt: "The most dangerous things
I´ve ever heard or seen in my life is when I find myself in Trenchtown."
Ein
Mix aus grobkörnig gefilmten Sessions der alten Wailers, die Tosh in den
Sechzigern mitbegründete, aber verließ, als Bob Marley ihn als Leadsänger
ablöste, aus Bildern des verbittert und krank wirkenden Tosh seiner letzten
Jahre und posthumen Statements seiner Freunde zeichnet den Weg des „von Gott
mit dem Talent des Gesangs Gesegneten“ aus der Gosse zum „Propheten“. Dabei
entstehen Skizzen, die, obwohl sie zur Heroisierung tendieren, durch Tosh selbst
konterkariert werden. Es zeigt sich, dass der Mythos Tosh alles andere als ein
sicherer Ort gewesen sein muss, dann nämlich, wenn Toshs gesprochene „Memoiren“,
die von einem philosophischem Vermächtnis oder fundamentalistischen Credo
meist nicht unterscheidbar sind, nach und nach die Psyche eines Paranoikers
offenbaren.
Tosh-Mythen
sind Reggae-Mythen sind Kiffer-Mythen. Doch wenn der Filmabschnitt über
Marihuana, in welchem klischeesichere Jamaicaner THC-Emissionen schwerindustriellen
Zuschnitts inhalieren, offenbar versucht, die wahre Substanz der Subversivität
anzupreisen, dann demontieren die Bilder finster und rotäugig dreinblickender
Gestalten, die eine Droge, eine Drogenphilosophie und, sobald sie die Droge
konsumiert haben, auch sich selbst rettungslos überschätzen, den Kult
schon von selbst. Einen Joint möchte man mit jenen Hardcore-Erleuchteten
nur vorbehaltlich rauchen wollen.
Dem
viel propagierten freien und unbezähmbaren Herzen des Reggae zum Trotz
– ja, auch dass der Reggaebeat identisch mit dem Herzschlag sei, wird uns im
Film noch einmal doziert – produziert „Peter Tosh – Stepping Razor“ Ernüchterung
und sinistre Einblicke in die gehypete Gegenkultur eines der ärmsten Völker
dieser Erde. Ohne seine pathologischen Manien und ohne die ideelle Überfrachtung
seiner Person durch die Rastafarier-Religion, die in Vielem nur eine schräge
Kopie der bei den Rastas verhassten christlichen Erlöser-Religion ist,
hätte es die Ikone Tosh wohl nicht gegeben.
Trotzdem
muss man Peter Tosh lieben, nicht für seinen religiösen Größenwahn
aber für sein Engagement und seine unvergleichlichen, mit zugleich weicher
und kämpferischer Stimme gesungenen, Rebellensongs (von denen im Film leider
nicht einer komplett zu hören und zu sehen ist): Nur „Legalize Marihuana“
irritiert nach diesem Film irgendwie. Neueren Untersuchungen zufolge könnten
etwa 20 Prozent der unter Jamaicanern ziemlich verbreiteten Psychosen auf frühzeitigen
Cannabis-Gebrauch zurückzuführen sein. Tosh selbst jedenfalls, der
„Malcolm X“ Jamaicas, kämpfte in seinen letzten Lebensjahren engagierter
gegen halluzinierte Gespenster in seinem Haus als gegen das Apartheid-Regime
seiner Heimat. Trotzdem blieb er letzterem so gefährlich, dass er unter
bis heute nicht ganz geklärten Umständen beseitigt wurde. Sein dubioser
Tod, sein Leben jenseits der Klischees, der Film tastet sich heran, lässt
manche Fäden unverknüpft, am Ende aber, vielleicht liegt darin seine
größte Qualität, ist es keinem anzuraten, „Peter Tosh – Stepping
Razor“ unter THC-Einfluss anzusehen, denn dieses Jamaica und dieser Peter Tosh
sind so bedrückend, dass sie Kifferseligkeiten keine Chance geben.
Andreas
Thomas
Dieser Text ist in ähnlicher Form auch erschienen in "Junge Welt"
Peter
Tosh – Stepping Razor
Stepping Razor
Regie:
Nicholas Campbell
Drehbuch:
Nicholas Campbell
Kamera:
Edgar Egger
Musik:
Peter Tosh, The
Wailers
Schnitt:
Trevor Ambrose
105
min
Dt.
Start: 13.10.2005
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