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Pi
Der Held dieses Films ist jene faustische Sorte Mystiker,
die partout wissen will, was es ist, das die Welt im Innersten zusammenhält.
Die pythagoreische Vermutung: Zahlen ist auch die seine. In Übereinstimmung
mit platonisch/plotinischen Wahrheitsvorstellungen haben wir hier auch
die wunderbarste Lichtmetaphorik, vom Kinde, das in die Sonne geblickt
hat, daran fast erblindete und jetzt aus der Schattenhöhle bloßer
Alltagskontingenz ausbrechen, die Rätsel der Welt mit Hilfe des Computers
erkunden will.
Der Film geht erstaunlich sorglos mit seinem Grundgedanken
um - und das schadet ihm außerordentlich. Die Obsession seines Helden
ist weder ein geschlossenes noch in sich schlüssiges Wahnsystem und
folglich ziemlich uninteressant. Des Welträtsels Lösung wird erst
im Filmtitel „Pi“ vermutet, dann in irgendwelchen Spiralen, zuletzt in einer
216-stelligen Zahl, ohne nachvollziehbare Begründung für diese
Veränderung. Des weiteren werden ganz oberflächlich zusammengerührt
Licht, Mathematik, Computer, Go und Kabbala. Die Nachvollziehbarkeit des
Zusammenhangs alles mit allem ist kein Anliegen des Films. Er teilt die
Obsession seines Helden nicht. Und so bleibt sie bloße Behauptung. Der
Regisseur glaubt, diese Behauptung mit den äußeren Mitteln der Kinematografie plausibilisieren
zu können. Das ist ein verhängnisvoller Formalismus, der dem großen
Vorbild David Lynch nie unterlaufen wäre. Eine Kopfgeburt, die nicht interessiert,
was sich im Kopf abspielt, die, im Gegenteil, am Reißbrett entwirft,
wie ein Wahn suggestiv zu gestalten ist.
Das Kalkül des Film ist von einer kühlen Nüchternheit,
von einer Absehbarkeit der Intentionen, die der behaupteten Paranoia, dem Verlust
der Wirklichkeit stracks zuwiderläuft. Noch dazu sind die kinematografischen
Behauptungen, vom Schwarz-Weiß, über die dräuende Tonspur,
zur Übergangslosigkeit von Realität und Halluzination auf allzu
epigonale Weise an Lynchs 'Eraserhead' geschult, ohne doch je dessen klaustrophobische Geschlossenheit zu erreichen. Alles in allem ein Film, der ärgerlich
weit hinter seinen Ambitionen zurückbleibt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Pi (USA 1997)
Regie: Darren Aronofsky
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