Nach dem kraftlosen The 9th Gate, nach dem Rummel um die Dreharbeiten in Babelsberg, der
sogleich Erinnerungen an Enemy at the Gates wecken mußte, war für Roman Polanskis neuen Film
einiges zu befürchten. Manche sahen schon eine jener melodramatisch auf Emotion frisierten
Hollywood-Leidensgeschichten mit Moralanspruch, abgeschmackt und déja-vu, vor dem geistigen
Auge entstehen. Noch so ein Film über jene Epoche, die von der Filmindustrie restlos vereinnahmt
und in Genrekino verwandelt wurde, Nazideutschland als transrealer Abenteuerspielplatz mit
Gruseleffekt, von dem man scheinbar alles gesehen hat, nichts mehr sehen mag und in Wahrheit
doch nicht so richtig viel weiß.
Nun ist der Film fertig und kommt in unsere Kinos, beladen mit der goldenen Palme aus Cannes –
zu Recht, denn der Film erweist sich als unerwartetes Juwel. Polanski schert sich kein bißchen um
den Tross der vorausgegangenen Nazifilme. Er erzählt die Geschichte seines Protagonisten,
konsequent und eigensinnig, er weicht ihm nicht von der Seite, als nach und nach all seine
Mitmenschen aus der Handlung verschwinden, und verlässt niemals seine Perspektive. So reduziert
er die Leidensgeschichte vom Pathetischen ins Private und macht aus dem Pianisten Szpilman einen
Jedermann, der dem Terror, der aus heiterem Himmel sein Leben verwüstet, nichts als fassungsloses
Staunen entgegenzusetzen weiß. Szpilman ist kein Held und auch kein Antiheld, er ist ein Mann ohne
Eigenschaften, der ganz einfach das will, was wir alle wollen: nicht sterben. Als die letzten Freunde
ihn verlassen haben, verstummt auch der Film, über weite Strecken wird kein Wort gesprochen,
doch wir erleben die Geschehnisse aus Szpilmans Augen und durch seine Ohren, die für einen
Moment taub werden, als eine Granate in seinem Versteck einschlägt. Und wenn er am Ende als
langhaariges, ausgemergeltes Gespenst durchs zerstörte Warschau schleicht, verzweifelt auf der
Suche nach Essen, dann sind wir ihm so nahe, wie man einer Filmfigur überhaupt nahe sein kann.
Völlig ohne die moralische Pose vergleichbarer Filme gelingt Polanski so eine Erzählung, die in
ihrer Schlichtheit universell ist. Er demonstriert nicht, er läßt geschehen und läßt uns zusehen. All das
inhumane Entsetzen, das sonst immer mit Gewalt auf die Leinwand gezwungen werden soll, findet
seinen Platz im Kopf des Zuschauers. Zusammen mit Adrien Brodys Leistung in der Titelrolle, vor
der man sich nur noch wortlos und tief verbeugen kann, entsteht so ein Film, der mit einigem Recht
als Polanskis bislang größtes Werk betrachtet werden kann.
Dieser Text ist auszugsweise auch erschienen im:
Zum Pianist gibt es im filmzentralen-Archiv mehrere Kritiken