Der Pianist
Nach Auschwitz sei es barbarisch, noch Gedichte zu schreiben, schrieb
Adorno . Er hat diese Meinung später revidiert, beziehungsweise
spezifiziert, aber das Problem bleibt: Es ist schwierig, vielleicht
unmöglich, in den Künsten Bilder für das Grauen, für das Unsagbare zu
finden, und doch bleibt es unermesslich wichtig, die Vergangenheit
aufzuarbeiten, immer und immer wieder, in den verschiedenen Medien und
auf so verschiedene Arten wie möglich.
Roman Polanski versucht es in seinem Medium, dem Film. Was dabei
herauskommt, wird nicht zufällig vielerorts mit Spielbergs Schindlers
List verglichen. Den beiden Filmen gemein ist der enorme Aufwand, mit dem
versucht wird, ein Stück Geschichte darzustellen, die unzähligen
Komparsen, die Darstellung zahlreicher brutaler Exekutionen von Hand
namenloser nationalsozialistischer Soldaten und die klare, reine Ästhetik
des Hollywoodfilmes.
Diese Ästhetik ist es auch, die im Pianist fragwürdig erscheint. Ist es
wirklich angemessen, einen Film über Ereignisse von solcher Grausamkeit
zu drehen, der sich der Mittel und Konventionen, der Kameraästhetik und
dem Schnitt bedient, die auch und gleichzeitig im gewöhnlichen Genrefilm
Anwendung finden? Entsteht nicht ein Widerspruch, wenn Polanski eine
Geschichte erzählt, die - nicht zuletzt durch ihren biographischen und
autobiographischen Charakter - absoluten Realismus beansprucht, und
diesen vermeintlichen Realismus in hoch artifiziellen Bildern von sauber
ausgeleuchteten Kulissen und im Computer entstandenen Städten ausdrückt,
in Kostümen und Dekorationen verpackt, die direkt einem opulenten
Ausstattungsfilm entspringen könnten?
Ist es angemessen, im Drehbuch zu diesem Film Charaktere von solcher
Klischeehaftigkeit vorkommen zu lassen, wie sie die Szenerie des
Pianisten durchwandern? Die böse Deutsche, die, kaum dass ein Jude im
Hausflur entdeckt ist, ihn mit lauten Rufen verrät, oder der gute
Deutsche, der trotz - oder gerade wegen? - seines Offiziersamtes dem
Flüchtling unerlaubt Hilfe zu Teil werden läßt, ihn in seinem Versteck
sogar noch mit Nahrung versorgt, aber trotz dieser heldenhaften Tat nach
Kriegsende, wie den Zuschauer der Abspann belehrt, in einem
Kriegsgefangenenlager sterben muss? Diese einfachst gestrickten Figuren
werden der Komplexität und dem Grauen kaum gerecht, welches viel zu lang
sein Unwesen treiben konnte und die Welt mit Krieg und Gewalt überzog.
Sind nicht experimentellere Formen des Films angemessener, Filmformen,
die Brüche zulassen, Sprünge, Leerstellen, in denen der Rezipient
reflektieren kann, was er gesehen, gehört, was geschehen?
Polanskis Film bietet kaum solche Bruchstellen, erzählt wird vielmehr
relativ gradlinig die Geschichte des jüdischen Warschauer Pianisten
Wladyslaw Szpilman (Adrien Brody) und seiner Odyssee durch das Warschauer
Ghetto und später sein Dasein im zerbombten Skelett der Stadt, hungernd
und beständig auf der Flucht. Seine Flucht, sein Hunger, sein Leiden
bilden einen Spannungsbogen, der erneut die Frage aufwirft nach der
Angemessenheit tradierter Erzählkonventionen angesichts der Thematik.
Sicher, der Zuschauer wird schockiert, zu Tränen gerührt vermutlich, wenn
er zum wiederholten Male gemeinsam mit Szpilman auf der Leinwand den
grausamen Tod zahlloser Menschen mit ansehen muss, aber dieser Schock ist
ein filmisch evozierter, einer, den andere Filme anderer Genres mit
anderen Thematiken auf die gleiche Weise erzielen, obwohl die Erzählung
der Geschichte des Warschauer Ghettos sicherlich eine andere Behandlung
verdient hätte.
All diese Kritik darf nicht den Blick dafür verstellen, wie wichtig und
gut es sein kann, dass Filme wie Schindlers List oder The Pianist auch
ein großes Publikum mit Tatsachen konfrontieren, die viel zu oft als
schon viel zu lange her charakterisiert werden. Schon in der Schule sind
Sätze nach dem Muster rechter Argumentationsstrategien keine Seltenheit
mehr, die behaupten, der junge Deutsche dürfe sich heute nicht mehr
'schuldig' fühlen, und wenn ein Film wie The Pianist auch nur eine kleine
Diskussion im Umfeld solch trauriger Behauptungen anstachelt, ist dies
bereits ein Verdienst, das ihm zu Gute gehalten werden kann.
Dennoch, das schale Gefühl bleibt, und es muss weitergedacht werden: Wie
kann, soll, vielleicht anders, umgegangen werden mit einer Vergangenheit,
die unsere heutige Gesellschaft mehr prägt, als diese es teilweise
wahrhaben möchte?
Benjamin Happel
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Zum Pianist gibt es im filmzentralen-Archiv mehrere Kritiken
Der Pianist
(The Pianist)
UK/F/P/D/NL, 2002
Roman Polanski