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The
Piano Tuner of Earthquakes
Die Welt der Quay Brüder
Stephen und Timothy hat die Flüchtigkeit eines Wachtraums; ihr Kino lässt
sich in Worten kaum erfassen. Die Bilder der Quays befinden sich im fließenden
Übergang zwischen Realität und Traum, Obsession und Wahn, irisierender
Schönheit und latentem Unbehagen. Doch selten hat man sich als Kinogänger
in seiner Orientierungslosigkeit besser aufgehoben gefühlt. So entrückt
sind die Filme der Quay Brüder, dass man sich in ihnen vorbehaltlos verlieren
kann. Dem ätherischen Gesäusel und der kunstvollen Verdrexelung der
gesprochenen Worte setzen sie die ganze Stofflichkeit ihrer Miniaturwelten entgegen:
die Harzigkeit des Holzes, das Klicken und Rattern der mechanischen Apparate,
die liebevolle Ausarbeitung noch des kleinsten, fantastischsten Details. “The
Piano Tuner of Earthquakes”, der zweite Langfilm der Quays nach ihrem unbeschreiblichen
“Institute Benjamenta” (1995), ist eine Art Puppenhaus, das den Zuschauer in
Bewußtseinszustände entführt, in denen sich noch die abstrusesten
menschlichen Begehren auf magische Weise manifestieren.
“Ich kann mit meinen Ohren alles
hören, von einem Niesen bis zur Unendlichkeit,” erklärt der Klavierstimmer
Filesberto bei seiner Ankunft auf der verwunschenen Insel von Dr. Emmanuel Droz
(Gottfried Johns zweite Hauptrolle in einem Quays-Film). Die menschlichen Sinne
spielen im “The Piano Tuner of Earthquakes” eine zentrale Rolle; auf sie muss
auch der Betrachter sich einlassen, um die befremdliche Schönheit eines
Quay-Films erfahren zu können. Keine äußere Handlung treibt
die Geschichte voran. Das Mysterium “The Piano Tuner of Earthquakes” entfaltet
sich Trance-artig als ein Geflecht aus Stimmungen, Geräuschen, Erinnerungsfragmenten
und kryptischen Monologen, die von den Figuren in unwirklichen Lichtbädern
aufgesagt werden. Die Worte, Bilder und Gesten verschwinden hinter einem milchigen
Schleier, in dem sich die Figuren genauso zu verlieren scheinen, wie sich der
Klavierstimmer schließlich in den Model-Landschaften des Dr. Droz verlieren
wird.
Jede dieser Landschaften ist eine eigene kleine
Welt, von den Quays in jahrelanger Handarbeit entworfen. Sie befinden sich eingeschlossen
in sieben Musikautomaten, die der Doktor für sein Opus Magnum, eine Oper
zu Ehren seiner Angebeteten Malvina, in Einklang bringen will. Hierfür
hat er den Klavierstimmer ans Ende der Welt berufen. Aber der Mann verfällt
selbst der schönen Frau, deren Arien nachts die Stille der Insel durchschneiden.
Ein Geheimnis scheint Malvina, Filesberto und Droz zu verbinden, doch als der
Klavierstimmer hinter das Schicksal der jungen Frau kommt, ist es bereits zu
spät. Eine weitere Welt schließt sich und nimmt die Liebenden gefangen.
Der siebte Musikautomat ist der Film selbst.
Die Faszination der Quay-Brüder
für mechanische Apparaturen verschafft “The Piano Tuner of Earthquakes”
seine schönsten Momente. Wenn Felisberto an den Musikautomaten schraubt
und ihr Innerstes freilegt, werden die Quays zu Magiern, die den Zuschauern
in eine verborgene Welt entführen, die noch von Zahnrädern und altertümlichen
Kippschaltern bewegt wird. Hier wird der Einfluss des tschechischen Animationskünstlers
Jan Svankmajers deutlich. Doch mehr noch als an Svankmajer erinnern ihre beiden
Langfilme an die Arbeiten des kanadischen Filmemachers Guy Madden, dessen surrealistischer
Expressionismus ebenfalls stark vom Weimarer Kinos inspiriert ist. Dieses Artifizielle
verleiht den Filmen der Quays auch ihre somnambule Flüchtigkeit. In “The
Piano Tuner of Earthquakes” ist es vor allem die Geräuschkulisse, die sich
den betörenden Bildern permanent widersetzt. Es rumort mächtig auf
der Insel des Dr. Droz, aber das ferne Gejohle und Insektengezirpe scheinen
in ein akustisches Loch zu fallen, fast so, als spiele “The Piano Tuner of Earthquakes”
in einem schallisolierten Raum. Genauso flach und tonlos erklingen auch die
menschlichen Stimmen und unterstreichen damit die geisterhafte Qualität
des Films.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film
The
Piano Tuner of Earthquakes
Großbritannien
/ Deutschland / Frankreich 2005 - Regie: Stephen Quay, Timothy Quay - Darsteller:
César Saracho, Amira Casar, Gottfried John, Assumpta Serna, Ljubisa Lupo-Grujcic,
Marc Bischoff, Henning Peker - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge:
99 min. - Start: 17.8.2006
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