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Jia
Zhang-ke. Man möge sich an diesen Namen gewöhnen. Platform,
sein zweiter Film, ist nämlich nicht nur ein persönlicher und detailreicher
Rückblick auf das China der 80er Jahre und eine verblüffende Übung
in raum-zeitlicher filmischer Meditation, sondern womöglich das
unauffällige Meisterwerk der Jahrtausendwende.
In
keinem Filmgenre zerbröselt Zeit so offensichtlich vor unseren Augen wie
im historischen Epos. Da helfen Ben
Hur
und den anderen Giganten
ihre 3, 4 Stunden Laufzeit nichts - die Jahrzehnte überspannenden Zeitstrecken,
die die Handlung zu absolvieren hat, lassen sich nur in isolierten Episoden
bezwingen. Diese Handlungsbrocken bemühen sich zwar nach Kräften,
durch das Ausstellen historisierender Schauwerte sowie einen Gestus des langen
Atems, des ausladend Zeitlichen, epische (auch im ursprünglichen Sinn dieses
Wortes: erzählerische statt dramatische) Geschichtlichkeit zu suggerieren.
Aber das macht die bisweilen Jahre verschluckenden Ellipsen nur noch auffälliger.
Sklave Ben Hur rettet einem römischen General während einer Seeschlacht
das Leben, und schon treiben sich beide - als dankbarer Ziehvater und respektvoller
Adoptivsohn – viel, viel später am Forum romanum rum.
Die
Schwierigkeit, vom Evozieren von Gegenwärtigkeiten zur Verdichtung zeitextensiver
Entwicklungen überzugehen, ist ein typisches, obwohl kein spezifisches
Problem des Films: Nicht einmal der Erzählfluss von Tolstois Krieg
und Frieden kommt
ohne elliptische Schnitte aus.
Jia
Zhang-kes
Platform
weiß aus dieser Verlorenheit von Erzählung in der Zeit ästhetischen
Gewinn zu schlagen. Im Zentrum des Films steht eine provinzielle chinesische
Entertainer-Truppe, die im Laufe der 80er Jahre von staatlich finanzierter Darbietung
maoistischer Erbauungsstücke zur privaten "All-Star Rock and Breakdance-Band"
mutiert. Nie in den zweieinhalb Stunden seiner Dauer versucht Platform,
diese Entwicklung "festzuhalten". Dem Fluss der Zeit, den Verschiebungen,
die sich unter dem Druck verschiedenster Faktoren allmählich und beiläufig
vollziehen, will hier keiner mehr eine destillierte Erzählung abluchsen.
Das Hauptaugenmerk gilt stattdessen jenen kleinen Impressionen, die dem üblichen
Epos gerade einmal zum notdürftigen Kitten der Handlungsspalten gereichen.
Es
sind vor allem Momente des Wartens, Trödelns und Zeittotschlagens, die
das Mark dieses Films ausmachen und sich im Fluss zu einer genuin filmischen
Erfahrung zusammensetzen, geerdet in der Identifikation mit der Handvoll rat-
und zielloser Mitzwanziger, die hier im Fokus des Interesses stehen: Was in
und zwischen den kleinen Vignetten, zu denen die Szenen sich hier sukzessive
zusammenziehen, spürbar wird, das ist das Vorbeiziehen offizieller Geschichte
an einer alternativen Sub-Historie aus verinnerlichten, oft peripheren Momenten.
Selbst eine private Historie im narrativ-psychologischen Sinn lässt das
störrische Eigenleben der ausgewählten Momente hier nur zögerlich
zu.
Mit
einer schwärmerischen Rhetorik der auratischen Schönheit des Moments
kann man Platform
allerdings ebenso wenig beikommen, wie der Film auf seine Art auch den lebenswütigen
Carpe-Diem-Slacker-Romantizismus eines Richard Linklater (Dazed
and Confused,
Before
Sunrise),
dessen Apologetik/Poetik des Herumhängens und Driftens, übersteigt.
Zhang-ke muss sich nicht selbst vom zeitweiligen jugendlichen Überschwang
seiner Twens anstecken lassen, er muss sich nicht in einen Rausch juveniler
Selbsterklärungen verstricken, wie es Linklater so charmant nicht lassen
kann. Das Wunder dieses Films ist: Er kann seine Figuren in ihrer ganzen, ungeheuerlichen
Tristesse und Abgefucktheit zeigen, und trotzdem sind die staubigen Provinznester,
die mutlosen Beziehungsspiele, die läppischen Agitprop-Aufführungen
und lächerlichen Rock-Kasperleien, aus denen ihr Leben und ihre Kunst besteht,
vollgesogen mit einer ganz ungeschmäcklerischen Schönheit.
Das
nicht ganz auflösbare Geheimnis dieser Inszenierung besteht in ihrer Mischung
aus formaler Strenge und pragmatisch-phlegmatischem Tonfall: Die Augenblicke,
die diesen Film füllen, suggerieren nicht, sie wären "gefunden",
hätten sich "ergeben", sondern sind Ergebnisse einer atemberaubend
präzisen, selbstbewussten Inszenierung von Raum und Zeit. Lange, statische,
genau komponierte Einstellungen und konzentriert die tristen Gegenden durchmessende
Kamerafahrten markieren die formale Arbeit im Raum. Wenig hat hier allerdings
den Anschein von Kunstfilm-Politur (sieht man von dem deplaziert gespreizt-depressiven
Streicher-Leitmotiv ab, das manche der Übergänge kleistert), stattdessen
zeigt die Inszenierung ein gesundes, ruhiges Interesse an ihrer Umwelt und findet
permanent genug Material, um sich nicht selbst verschlingen zu müssen.
Angenehm
unprätentiös ist auch das Spiel der Darsteller, zu einem großen
Teil Laien. An dieser nicht bloß soziologisch interessanten Verbindung
formbewusster Regie mit Laiendarstellern dürfte wirklich etwas Produktives
dran sein, immerhin verdankt ihr das gegenwärtige Autorenkino einige seiner
bemerkenswertesten Leistungen. (Man denke an Gus Van Sants Elephant,
an Zacharias Kunuks Atanarjuat
oder Ulrich Seidls Hundstage.)
Aus der Befruchtung von Inszenierungs-Konzepten durch die freigelegte Präsenz
von (nicht nur Laien-)Darstellern gewinnen diese Filme selbst und gerade in
ihren narrativ banalen Momenten Stimmungslagen, die distanziert und einfühlsam
zugleich sind, ästhetisch abstrakt und in einer konkreten Lebenswelt festgemacht.
(Ein später Triumph für Robert Bresson, könnte man sagen.)
Die
Sicht auf das Leben im China der 80er Jahre ist dabei so wenig apolitisch wie
Platform
in
seiner Abdrängung gewöhnlicher narrativer Konstruktion wirklich auf
das Erzählen verzichten würde. Dass das privat wie politisch "Historische"
nur nebenbei, unter tunlichster Vermeidung von Emphase und Redundanz, erzählt
wird, wirkt an einigen Stellen gerade in seinem Understatement schon wieder
wie eine entsetzte, hilflose Betonung: Das Phlegma, mit dem der Film etwa der
Szene beiwohnt, in der einer der Protagonisten einem verwandten Analphabeten
dessen Vertrag als Minenarbeiter vorliest ("Tod und Unfall sind Akte des
Schicksals. Die Firma übernimmt keine Verantwortung."), formuliert
eine Anklage als selbstverständlich mit.
Langer
Rede kurzer Sinn: Dies ist nicht eine achtenswerte, geistreiche, maßvolle
"Leistung", die dem Interessierten wohlwollendes Nicken abtrotzt.
Wenn man Filme um der Filme willen schätzt, liebt, braucht, ich weiß
nicht, was einen dann begeistern soll, wenn nicht Platform.
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Platform
OT:
Zhantai
(Hongkong,
Japan, Frankreich 2000)
Regie:
Zhang Ke Jia
Drehbuch:
Zhang Ke Jia
Musik:
Yoshihiro Hanno
Kamera:
Nelson Yu Lik-wai
Schnitt:
Jing Lei Kong
Darsteller:
Hong
Wei Wang .... Minliang
Tao
Zhao .... Ruijuan
Jing
Dong Liang .... Chang Jun
Tian
Yi Yang .... Zhong Pin
Bo
Wang .... Yao
Eryong
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