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Tatis
herrliche Zeiten
Playtime
Ebenso wie in „Mein Onkel” beschäftigt sich Jaques Tati in „Playtime”, der beim Publikum überhaupt nicht ankam und ein Misserfolg auf ganzer Linie wurde, mit der Stereotypie, Monotonie und dem Reglement der Moderne, die alle gleich macht, alles gleicht macht und diese quantitative Gleichheit auch noch als Ausgeburt des eigenen Fortschritts im Denken und Handeln feiert. In einer Zeit, Ende der 60er Jahre, in der der spätindustrielle Fortschrittsoptimismus seinen Höhepunkt erreicht hatte, mochte kaum jemand einem Mann folgen, der all das Erreichte gründlich und grundsätzlich in Frage stellte.
Tati
zauberte eine Kulissenstadt mit Glasfassaden, modernen Möbeln und anderem
Interieur – und den dazu gehörigen modernen Menschen, die mehr oder weniger
stark durch dieses „Tativille” getrieben werden. Monsieur Hulot hat einen Termin
mit einem gewissen Monsieur Giffard in einem dieser Glaspaläste mit langen
Gängen und riesigen Zimmern. Gleichzeitig kommt am Flughafen eine Gruppe
amerikanischer Touristen an, auf die Hulot später noch treffen wird. Schon
diese ersten Szenen auf dem Flughafen vermitteln ein Bild, in dem sich Menschen
einerseits den vordefinierten Pfaden anzupassen versuchen, andererseits ihr
Unwohlsein deutlich wird, das nur niemand wirklich artikulieren will. Eine Krankenschwester
bewegt sich fast wie ein Soldat durch die Räume, von einem Ticketverkäufer,
den Tati von hinten filmen ließ, sieht man nur die tänzelnden Beine.
Er sitzt auf einem Stuhl mit Rollen, um rasch von einer zur nächsten Person
am langen Tresen zu gelangen. Was „oben” als genormter Bewegungsablauf erscheint,
ergibt „unten” ein ganz anderes, fast künstlerisch gewobenes Bild, das
an Ballett erinnert.
Hulot
und Giffard laufen aneinander vorbei, suchen sich, finden sich nicht, und wenn
sie sich treffen, treibt Hulots Neugier ihn z.B. in einen Fahrstuhl, der sich
plötzlich nach oben bewegt. Giffard ist wieder weg. Für Hulot, immer
leicht nach vorne gebeugt (seine Neugier auf diese merkwürdige Welt), von
seinen Füßen jedoch stets zurückgehalten (Vorsicht, aber keine
Angst) ist diese technisch überformte Welt ein Mysterium. Der Sessel, auf
den er sich setzt, verursacht ein Geräusch beim Hinsetzen und Wiederaufstehen.
Hulot drückt mit der Hand auf das Kunststoffpolster, das nachgibt und beim
Loslassen wieder seine vorherige Form annimmt. Die Beine des Sessels sind zu
kurz, Hulots Knie „zeigen” in Richtung Kinn. Doch Hulot versucht, sich solchen
Situationen anzupassen. Aus dieser „Anpassungsleistung” entsteht die besondere
Komik Tatis.
Bei
der Suche nach Giffard – man weiß nicht, was er von ihm will, aber das
ist Auch gar nicht wichtig – schaut Hulot von der Treppe aus in einen Raum,
der mit quadratischen Kabinen bestückt ist, in denen irgendwelche Menschen
irgendetwas tun – was, ist ebenfalls gleichgültig. Alles Tote – die Sessel,
die Kabinen, ja auch der glatte Boden, auf dem Hulot ausrutscht – scheint ein
Eigenleben zu haben, während die im Warteraum aufgehängten, großen
Fotografien von Männern nichts von Lebendigkeit verkünden. Nur schrille
Geräusche irgendwelcher Gegenstände und das Gemurmel von Personen
durchbricht hier und da die Wortlosigkeit der Szenerie. Ein alter Portier versucht
sich an der Schaltanlage des Gebäudes, aus der es piepst und brummt und
an der Knöpfe leuchten. Er hat keine Ahnung, wie dieses Ding zu bedienen
ist.
Hulot
gerät in eine Ausstellung, wird von den amerikanischen Touristen in ein
Restaurant getrieben und trifft einen alten Bekannten, dessen Wohnung von außen
durch eine Art Schaufenster einsehbar ist. Alles kann beobachtet werden, die
Passanten allerdings interessieren sich nicht dafür, was hinter der Glasscheibe
geschieht. Nebenan verhalten sich die Menschen in einer gleichartigen Wohnung
gleichartig. Sie haben die gleichen Stühle, den gleichen Fernseher, die
gleichen Verhaltensweisen. Man hört nicht, was gesprochen wird. Nicht wichtig,
denn was geschieht, ist nichts anderes als Ausdruck des scheinbar ewig Gleichartigen.
Erst
im Restaurant, in das Hulot gerät, kommt allmählich so etwas wie Stimmung
auf. Eine Stimmung, die dem Versuch gleicht, der Eintönigkeit zu entkommen.
Als eine Jazzband aufspielt, geraten einige Gäste – endlich – aus der Fassung.
Frauen flippen beim Tanzen aus, die Touristen amüsieren sich und trinken,
eine Frau setzt sich ans Klavier, eine andere singt, Hulot reißt eine
Verkleidung von der Decke, die Kellner werden – endlich – nachlässig, weil
sie merken, dass das Geordnete einer organisierten Langeweile entspricht.
Die
Objekte der Moderne scheinen den Menschen vorzuschreiben, was sie tun und zu
lassen haben. In dieser Welt, in der „das Dorf”, das in den früheren Filmen
Tatis eine große Rolle spielte, nur noch in Gestalt einer alten Blumenverkäuferin
auf der Straße präsent ist, ist es schwieriger, nicht etwa leichter
geworden, sich der Gleichmacherei, der Monotonie und der so genannten „Sachzwänge”
zu entziehen. Individualität ist nicht gefragt. Das Geräusch einer
Pfeffermühle, von Schuhen oder das der Sessel scheint das Lachen, Weinen,
Sprechen von Menschen abgelöst zu haben. Doch wie der Löwenzahn, der
sich durch den Asphalt zwängt, blühen hier und da zarte Pflänzchen,
die Emotionalität verkünden.
Tati
wäre nicht Tati, würde er diese Szenerie mit Boshaftigkeit oder Überheblichkeit
skizzieren. Nein, das ist nicht seine Art. Seine Art ist die Komik der Situation,
in der Mensch wie Objekt sich der Tücke verschrieben haben. Die Bilder
dieses Films sind prall gefüllt mit Einzelheiten im Hintergrund wie im
Vordergrund. Die Kamera fängt vieles ein, ohne sich zu bewegen. Wie kleine
Gemälde, in denen sich viel zuträgt, erscheinen diese Bilder einer
Moderne, die sich oft selbstgefällig affirmativ zunickt – wie der eitle
Geck, der sich im Spiegel betrachtet und seinem Narzissmus freien Lauf lässt.
Diese Kritik ist in dieser Form zuerst erschienen in der filmzentrale
Zu diesem Film gibt es mehrere Texte im filmzentralen-archiv
(Playtime)
Frankreich
1967, 119 Minuten
Regie:
Jacques Tati
Drehbuch:
Jacques Lagrange, Art Buchwald, Jacques Tati
Musik:
James Campbell, Francis Lemarque
Director
of Photography: Jean Badal, Andréas Winding
Schnitt:
Gérard Pollicand
Produktionsdesign:
Eugène Roman
Darsteller:
Jacques Tati (Monsieur Hulot), Barbara Dennek (junge Touristin), Billy Kearns
(Mr. Schultz), Rita Maiden (Mr. Schultz Begleitung), Yves Barsacq (Hulots Freund),
André Fouché (Restaurant-Chef), George Montant (Mr. Giffard),
Erika Dentzler (Madame Giffard), John Abbey (Mr. Lacs), Michel Francini (erster
Kellner), Nicole Ray (Sängerin), Valérie Camille (Mr. Lacs Sekretärin),
France Delahalle (Verkäuferin), France Rumilly (Brillen-Verkäuferin)
Internet
Movie Database:http://german.imdb.com/title/tt0062136
©
Ulrich Behrens 2004
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