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Poison
Dass der Begriff queer nicht einzig
auf den geschlechtsspezifischen, sondern auf die Irritation jedweden Identitätsbegriffs
per se referiert, kann nun in Todd Haynes Debütwerk, welches gern als Initialklassiker
des New Queer Cinema apostrophiert wird, in aller Ruhe nachvollzogen werden.
Wie in seinem aktuellen Bob Dylan-Biopic „I`m not there“, in dem nicht weniger als sechs verschiedene Schauspieler der
Figur Dylan ein Gesicht verleihen, ist auch bereits in „Poison“ diese zentralmotivische
Ausrichtung in Haynes Schaffen spürbar.
Der Film erzählt drei ineinander
verwobene Geschichten, die formell und narrativisch zwar wenig, motivisch aber
sehr viel gemein haben: Hero, Horror und Homo.
Stilistisch einer TV-Reportage
gleichend erzählt „Hero“ die Geschichte vom siebenjährigen Richard
Beacon, der seinen Vater tötete und anschließend, laut Aussage seiner
ihn in höchsten Tönen idealisierenden Mutter, einfach aus dem Fenster
flog. Er selbst bleibt, mit Ausnahme einer kurzen Einstellung, konstant abwesend;
es sind die interviewten Gesichter, die uns Einblick in sein Seelenleben verschaffen.
„Horror“ indes steht in der Tradition der 50er Jahre SciFi- und Horror-B-Filme
und transformiert die darin eingelagerte (folgt man zumindest einer fast schon
zur Kulturgeschichte verdichteten Rezeptionsebene) Kommunismusparanoia in eine
sehr offensichtliche Aidsparabel. In herrlich kruder Laboratmosphäre isoliert
ein Wissenschaftler den Sexualtrieb, und nachdem er, abgelenkt von der Anwesenheit
seiner neuen Assistentin, versehentlich von der Mixtur trinkt, überfällt
ihn eine Art Pockenpest, die nicht nur die Libido verstärkt, sondern sich
durch Körperkontakt epidemieartig verbreitet. „Homo“ zuletzt arrangiert
Elemente des Knast- und Arthouse-Kinos zu einer tragischen Liebesgeschichte
zweier Inhaftierter, die sich bereits aus ihrer gemeinsamen Zeit im Erziehungsheim
kennen und im machistischen Milieu der Institution gezwungen sind, ihre Homosexualität
einzig als sadomasochistische Herrschaftsbeziehung auszuleben, um der Ausgrenzung
zu entgehen. Was bei dem Einen über Verdrängung kanalisiert wird,
mündet bei dem Anderen in der Adaption dieser Gewaltverhältnisse und
letztlich in einer Vergewaltigung.
Verbindendes Element dieser disparaten
Teile ist die Stigmatisierung der Außenseiter-Figuren. Dabei steht nicht
ein Plädoyer für die Akzeptanz des Unbekannten im Fokus des Interesses,
sondern die Reaktionen der Umwelt auf potentielle Erosionsgefahren des status
quo. Das zeigt sich bereits in der Verbindung des scheinbar Unverbindlichen:
Die Leerstellen zwischen den Sequenzen drängen zu ihrer Unterfütterung
mit Sinnrelevanzen, zumal sie selbst bereits das identitäre Gefüge
der einstmals schließlich originären Genreerzählungen aufbrechen,
sei es mit Mitteln des Experimentalfilms oder mit erzählfremden Kameraperspektiven.
Inhaltlich erweisen sich die Erzählstränge
zunehmend als Panoptikum individueller wie struktureller Exklusionsmechanismen
gegenüber allem als deviant Deklariertem: der kleine Richard ist ein Schwächling
und wird dafür mit Prügel bedacht, gegen die er nicht mal aufbegehrt,
sie stattdessen gar forciert; der entstellte Wissenschaftler wird von einem
Mob durch die Straßen gejagt, bis er, nach einem kurzen Appell an die
Meute, in den sicheren Tod springt (Masken seines Konterfeis werden gleich vor
Ort verkauft) und die Häftlinge unterliegen einem derart rigiden System
der Selbstverleugnung, dass die einstmalige Misshandlung des Einen (bei der
er beobachtet wurde, wie er sich mit geöffnetem Mund von seinen Folterern
bespucken lassen musste) die Stimulation seines Vergewaltigers befördert,
dessen Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit sich indes beständig
als kitschig-poetischer Kontrast zum trist-grauen Knastalltag offenbart, bis
die Realität die Bilder einholt und grausam überschattet. Haynes spielt
hier mit der strengen Codierung dichotomer Zeichensysteme: das, wie es ist,
schließt das, wie es sein könnte, bereits kategorisch aus. Roberts
Identität wird uns durch seine Abwesenheit als Konstruktionsleistung seines
Bekanntenkreises vermittelt, die sich in ihrer Diagnose des pathologischen Befunds
einig sind und das Erinnerungsvermögen des Häftlings hat sich der
milieuspezifischen Realität so lange unterzuordnen, bis es von ihren Gewaltmomenten
bis in die letzte Faser durchdrungen ist.
Aber so unmöglich ein Ausbruch
aus diesen Gesellschaftsgesetzen auch sein mag, so konsequent wird er dann doch
in der Transformation der Genremodi vollzogen. Das lässt jedoch noch immer
nicht den mahnenden Zeigefinger befürchten. Aber sollte man ihn dennoch
entdecken, so ist er semiotisch höchst originell geerdet.
Sven Jachmann
Dieser Text ist zuerst erschienen in: f.lm
Poison
POISON
USA
- 1990 - 88 min. - teils schwarzweiß - Verleih: NEF 2 (16 mm) Alamode
Film/ Alive (DVD) - Erstaufführung: 31.10.1991 - Produktionsfirma:
Bronze
Eye/Arnold A. Semler - Produktion: Christine Vachon
Regie:
Todd Haynes
Buch:
Todd Haynes
Vorlage:
nach Motiven aus Romanen von Jean Genet
Kamera:Maryse
Alberti
Musik:James
Bennett
Schnitt:
James Lyons, Todd Haynes
Darsteller:
Edith Meeks
(Felicia Beacon)
Larry Maxwell
(Dr. Tom Graves)
Susan Norman
(Dr. Nancy Olsen)
Scott Renderer
(John Broom)
James Lyons
(Jack Bolton)
Zur
DVD von Alamode Film:
Trotz
seines unbestrittenen kleinen Klassikerstatus erfährt der Film erst jetzt
erstmals eine Veröffentlichung im deutschsprachigen Raum. Das sollte genügen.
Dass die DVD keinen Preis für die technische Ausschöpfung des Bildträgers
erlangen wird, versteht sich von selbst. Besonders schön jedoch ist es,
dass Haynes’ anschließender Kurzfilm „Dottie gets spanked“ das ansonsten
unbedeutende Bonusmaterial aufwertet.
Bildformat:
1,33:1
Ton/Sprache:
Englisch (OmU) (Dolby Digital 2.0)
Extras: Kurzfilm
„Dottie gets spanked“, Trailer, Trailershow
FSK:
ab 16
Preis:
17, 95 Euro
Veröffentlichungsdatum:
01.02.2008
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