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Der Pornograph
Pornographie
als Metapher fürs Leben
Ein Film mit dem Titel Der Pornograph erzeugt zwiespältige Erwartungen:
Er weckt das voyeuristische Interesse - und zugleich den Verdacht, dass eben
diese Schaulust, besonders das illegitime Quäntchen daran, enttäuscht
werden wird. Denn ein Filmtitel, der so unverhüllt benennt, wird selten
anders als in Worten explizit. Zumal Regisseur Bertrand Bonello mit seinem ersten
Spielfilm Quelque
chose d'organique
schon den Eindruck hinterließ, dass er sein Interesse am Abgründigen
in Menschen und Beziehungen ungewöhnlich direkt, aber ohne Exzesse darzustellen
weiß. Man stellt sich sozusagen auf die intellektuelle, die Arthouse-Variante
von Boogie
Nights
ein.
Mit entsprechender Genugtuung
registriert der mitdenkende Zuschauer deshalb den quasi-dokumentarischen Beginn
des Films, der eine klassische Künstlerbiographie einzuleiten scheint:
Vor herbstlich gestimmten Naturaufnahmen werden die Lebensdaten des "Pornographen"
verlesen. Man erfährt, dass Jacques Laurent (Jean-Pierre Léaud)
1950 in Lyon geboren wurde, in den siebziger Jahren etliche Pornos drehte und
sich dann Mitte der achtziger Jahre vom Metier zurückzog, ohne sein mutmaßliches
Meisterwerk mit dem Arbeitstitel L'Animal - einen Porno, den er sich "an
den Grenzen zur Abstraktion" vorstellt - verwirklicht zu haben. Nun versucht
Jacques einen Wiedereinstieg ins Geschäft; von finanziellen Engpässen
ist die Rede.
Auf seinen Plot reduziert, erzählt
Der Pornograph die Geschichte des Scheiterns
dieses Neuanfangs - das Business hat sich verändert, aber auch Jacques
ist vielleicht weniger kompromissbereit als zuvor. Das Scheitern entpuppt sich
für ihn jedoch nicht als Abstieg, sondern als Umbruch: Während er
seine beruflichen Ambitionen neu überdenken muss, gelingt ihm die Aussöhnung
mit seinem Sohn. Und er trennt sich von seiner Frau, deren Geduld er nicht länger
strapazieren will. So steht am Ende ein erneuter Anfang, der diesmal ganz auf
Beschränkung baut: Selbst das Haus, das er eigenhändig errichten will
und in dessen Grundriss auf grüner Wiese wir ihn schließlich sitzen
sehen, hat nur noch einen sehr bescheidenen Umfang.
Die vermeintliche Künstlerbiographie
entpuppt sich als Schilderung der Midlife-Crisis eines Alt-68ers. Man ist versucht,
das Pornobusiness als Metapher fürs Filmemachen zu begreifen oder darüber
hinaus als Metapher für jeden Job, der sich zu Anfang mit radikalem Engagement
verbindet und dann zum schmutzigen Geschäft mutiert. Denn Bonello geht
es nicht um die Darstellungsprobleme des Sex. Pornographie ist hier ganz
einfach akzeptiert, sowohl in der beiläufiger Ernsthaftigkeit, mit der
die wenigen "Hardcore"-Szenen eingebunden sind, als auch in der müden
Ironie, mit der Jacques seine "unkonventionellen" Vorschläge
unterbreitet (etwa eine Sexszene ohne Stöhnen zu drehen). Wie überhaupt
Bonello in seiner Beschreibung der Branche ganz ohne Abziehbilder oder Karikaturen
auskommt. Sogar der von Schuldeneintreibern gejagte Jungproduzent, der Jacques
schließlich die Regie aus der Hand nimmt - zur Rettung des Projekts ",
muss hier nicht die hässliche Fratze einer als zynisch empfundenen Realität
vertreten, sondern darf als Figur fast genauso müde und verloren erscheinen
wie der alternde Léaud.
Die Pornographie ist in diesem
Film gewissermaßen so sehr bei sich selbst, dass sie zur Metapher für
das ganze Leben wird, in dem die Fragen nach Liebe und Beruf, danach, wo die
Selbstdarstellung aufhört und der Selbstverrat beginnt, ständig neu
beantwortet werden müssen. Wie nebenbei führt Bonello dem Zuschauer
vor, dass die Fixierung auf das Explizite oft genug das Wesentliche, das sich
diskreter gibt, verdeckt. Im Warten auf Sexszenen könnte ihm zum Beispiel
die schöne Struktur des Films entgehen: eine strenge musikalische Dreiteilung,
die mit jedem Satz ihre Tonart wechselt. Auf die tragisch angehauchte Einführung
folgt die versöhnliche Vater-Sohn-Geschichte, in der Bonello den Generationenkonflikt
von heute auf den Punkt bringt: "Bürgerlicher" als ihre Eltern,
stehen den Jungen gradlinigere Entwicklungswege offen, während diese wie
zu einem Leben mit Brüchen und Ausstiegen verurteilt scheinen. Der letzte
Teil löst sich mit langen, stillen Szenen von Wäldern und Gesichtern
- an der Grenze zur Abstraktion! - fast ganz von der Geschichte ab, um endlich
in ein abschließendes Bekenntnis von Jacques zu münden.
Und während sich die Lebenslinien
von Jacques und seinem Sohn wieder auseinanderbewegen, rundet sich die des Schauspielers
Jean-Pierre Léaud. Wie selten zuvor bringt er als "Pornograph"
jene selbstbewusste Unbestimmtheit seines ersten Auftritts als dicklicher 15-Jähriger
bei Truffaut in Erinnerung: eine Manieriertheit, so individuell, dass man sie
als Natürlichkeit hinnimmt, gleichzeitig aber so exzentrisch, dass jeder
Allgemeinplatz wie eine doppelbödige Weisheit daherkommt.
Barbara Schweizerhof
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film
Der Pornograph
Le Pornographe
Frankreich/Kanada 2001. R und B: Bertrand Bonello. P: Carole Scotta. K: Josée Deshaies. Sch: Fabrice Rouaud.
M: Laurie Markovitch. T: François Maurel. A: Romain Denis. Ko: Romane
Bohringer. Pg: Haut & Cout/In Extremis Images. V: Alamode. L: 108 Min. Da:
Jean-Pierre Léaud (Jacques), Jérémie Rénier (Joseph),
Dominique Bland (Jeanne), Tribault de Montalembert (Richard), André Marcon
(Louis), Alice Houri (Monika), Catherine Mouchet (Olivia Riochet).
Start: 14.11.2002 (D).
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