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Power
and Terror: Noam Chomsky in Our Time
Das
Sequel: Doku über Chomskys Kritik an der US-Politik
Noam
Chomsky ist der Kerl, den man als verzweifelter Aufklärer erfinden müsste,
wenn es ihn nicht gäbe. Er zeigt in seiner Arbeit, wie man vom Nachdenken
über Zeichen und Sprache sozusagen automatisch zur Politik kommt – und
umgekehrt. Eine Bemerkung, die man zu allen Büchern, Artikeln und eben
auch Filmen von und über Chomsky lesen darf, lautet so: „Urteilt man nach
Wirkung, Reichweite, Innovation und Einfluss seiner Theorien, so ließe
sich Noam Chomsky als der wichtigste Intellektuelle der Gegenwart bezeichnen".
Weggelassen wird aber immer der zweite Teil dieses Granaten-Satzes: „ – wenn
dies der Fall ist, wie kann er dann solchen Unsinn über die amerikanische
Außenpolitik schreiben?" Unnütz zu sagen, dass es dieser unterschlagene
Satz ist, auf den Chomsky stolz ist – auf die gereizte Reaktion des politischen
und medialen Mainstreams.
Für
die praktische Arbeit im Mediendschungel ist gewiss „Manufacturing Consent"
der wichtigste Text-Baustein, aber warum sich nicht mal durch „Language And
Thought" arbeiten? Noam Chomsky ist ein exzellenter Schreiber und ein sympathischer,
charmanter Performer. Und vielleicht ist der Glaube der Filmemacher verständlich,
das sei ausreichend für eine in Spielfilm-Schnittweise rhythmisierten Talking-Head-Dokumentation.
Filme können natürlich einer Verdichtung dienen, sie sind Reklame
für ein Denken, und das hat der Film Manufacturing Consent: Noam Chomsky
And the Media vor zehn Jahren recht gut gemacht, indem er Chomskys Denken behutsam
auch in Bildern fortsetzte. Power
and Terror
ist sozusagen ein Sequel und als solches unverzichtbar, denn Chomskys Kritik
an der Politik und an den Medien hat an Bedeutung noch zugenommen Und es ist
ein Genuss, einem Mann beim ruhigen, humorvollen und genauen Denken/Sprechen
zuhören und zuschauen zu können, der gewiss in keine Sabine-Christiansen-Runde
passen würde, und der sich von der Post-9/11-Ideologie nicht dumm und blind
machen lässt. Einen „rebel without a pause" nannte Bono von U2 ihn.
Jedenfalls hat Chomsky im Frühjahr 2002, als dieser Film gedreht wurde,
ein paar Sachen gesagt, die ihn wie einen negativen Propheten des Irak-Krieges
erscheinen lassen. Es ist aber nur einfach analytisches und unbestechliches
Denken; schade, dass es davon so wenig gibt.
Als
Film ist Power
and Terror
dennoch nur ein Ersatz für direktere Begegnungen. Und über manche
ästhetischen und rhetorischen Entscheidungen kann man nicht vollständig
glücklich sein. So ist zum Beispiel das Ineinanderschneiden verschiedener
Vorträge mit Interview-Passagen eine eher lästige Dramatisierung.
Als müsse man da eine Art Reader's Digest-Fassung von Chomsky-Rhetorik
bekommen, als müsse man „Spannung" schaffen.
Allerdings:
Ein Film wie dieser ist vor allem erst einmal notwendig. Denn die Mainstream-Medien
stehen einem Kritiker wie Chomsky zumindest in den USA schon lange nicht mehr
wirklich zur Verfügung. Für Zuschauer, die mit seiner Text- und Interview-Produktion
ein wenig vertraut sind, bietet der Film allerdings nichts aufregend Neues.
Ob es ihm gelingen kann, Chomsky-Muffel zu erreichen, mag man bezweifeln. Ungewollt
offenbart Power
and Terror
sogar so etwas wie einen rhetorischen Umschlagpunkt. 98 Minuten lang Rechthaben
ist einfach zu viel, auch wenn's ein wichtiges und echtes Rechthaben ist.
Georg
Seeßlen
Chomskys
Kritik an der amerikanischen Außenpolitik nach 9/11, montiert aus Vorträgen
und Interview-Szenen. Das Medium stellt sich ganz in den Dienst der politischen
Argumentation und verpasst dabei die Chance, selbst etwas zur Aufklärung
beizutragen.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Power
and Terror: Noam Chomsky in Our Times / Noam Chomsky on the Post-Iraq World
USA/Japan
2002. R:
John Junkerman. P:
Yamagami Tetsujiro. K:
Otsu Koshiro. Sch: John Junkerman, Hata Takeshi. M: Imawano Kiyoshiro. T: Tsurumaki
Yutaka. Pg:
Siglo. V: Neue Visionen. L:
98 Min.
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