Praxis Dr. Hasenbein
Aus dem Schneider
Mit seinem dritten selbstverantworteten Film beginnt Helge Schneiders
Spätwerk
Der Redakteur hat's verboten, ich tu's trotzdem. Und sage: Praxis Dr.
Hasenbein hat was. Charme. Die Ruhrgebietsvariante dessen, was man woanders
auf der Welt "Esprit" nennt, eine Art Geist also. Der Redakteur wird nicht
begeistert sein, das Wort "Geist" im Zusammenhang mit Helge Schneider zu
hören. Aus gutem Grund, schließlich hat Herr Schneider bisher den
überwiegenden Teil seiner Karriere damit zugebracht, so etwas wie Geist zu verneinen. Ein fröhlicher Verweigerer, mit
dem kein ernsthaftes Interview möglich war, der sein Geld mit Blödeltiteln
wie "Katzeklo" verdient hat, aber eben auch mit Liedern wie dem vom
Gartenzaun, wo ein Hausbesitzer verzweifelt-fröhlich feststellt, daß er nicht
nur "All das Geld mit Quatsch verdient" hat, sondern auch seinen Garten
einfach an der falschen Seite des Hauses angebracht hat. Nix zu sehen da.
Wir, mein Redakteur und ich, wir kennen Helge Schneider noch von früher.
Einmal haben wir ihn erlebt, wie er auf einer ansonsten ausgesprochen schönen
Kinoeröffnungsparty eine Kinoorgel bedient hat, und das war relativ
scheußlich. Ein kleiner Mann in merkwürdigen Klamotten, der für einen
Kinoorgelspieler definitiv nicht oft genug die richtigen Töne getroffen hat.
Das ist schon ein bißchen her, zwischendurch hat Herr Schneider eine Karriere
als singende Herrentorte gemacht, Säle in der ganzen Republik (außer im
Osten, die haben andere Sorgen da) gefüllt, Bücher geschrieben, Filme
gemacht: einen Western und einen Krimi, ganz genauso wie eine singende
Herrentorte eben einen Western und einen Krimi machen würde. Vorsätzlich
schlecht, in jeder Beziehung. Passé.
Eine Freundin, mit dem Schneider-Werk vertraut und ihm auch durchaus zugetan
(doch, doch, das gibt's), sagte mir, daß Helge Schneider mit seinen jüngeren
Arbeiten, dem Buch Der Mörder mit der Strumpfhose und dem Film Praxis Dr.
Hasenbein, offenbar sein Alterswerk begonnen habe. Man könne den Geschichten
folgen, es habe alles einen Zusammenhang und auch einen gewissen
Spannungsbogen. So weit würde ich nicht gehen. Das Buch ist ganz nett, jeden
Tag drei Seiten lesen, laut & vor, und die Ehefrau hört zu und lobt die
Denkweise, die sie von Kindern zu kennen glaubt. Aber Zusammenhang?
Spannungsbogen? Nee. Genau wie der Film. Soweit ist Schneider seinem Konzept
treu geblieben: Eine Geschichte kann man nicht erwarten, obwohl Praxis Dr.
Hasenbein einen Anfang, eine Mitte und einen Schluß hat, sogar in dieser
Reihenfolge, aber das, was andere zu einer Filmgeschichte machen würden,
erledigt Schneider schnell mal eben in drei Minuten kurz vor Schluß.
Praxis Dr. Hasenbein besteht, über den Daumen gepeilt, aus 80 Minuten
Exposition, fünf Minuten Konflikt (der spielt im Off, während der Held in
einem rührenden selbstgebastelten U-Boot in einer Dekoration dümpelt, die
aufs Bezauberndste an die Augsburger Puppenkiste erinnert) und acht Minuten
Auflösung, die jedoch nichts auflöst, sondern den Helden vor vollendete
Tatsachen stellt. Am Ende ist die Welt anders geworden, nicht schöner
übrigens.
Praxis Dr. Hasenbein spielt in einer selbstgebauten Straße (ich verlange
mindestens einen Bundesfilmpreis für Szenenbildner Uli Hanisch!), in der Dr.
Angelika Hasenbein (Helge Schneider) seine Praxis hat. Dr. Hasenbein hat
einen Sohn, der ungefähr 15 Jahre älter und mindestens ebenso viele Kilogramm
schwerer als sein Film-Vater ist und seine Zeit vor allem mit einsamen
Ballspielen verbringt. Dr. Hasenbein geht öfter in den benachbarten
Zeitungsladen, träumt von Zigarren, aber seine Frau ("Sie haben ja gar keine
Frau" - "Umso schlimmer!") hat ihm das Rauchen verboten. Im nächsten Haus
betreibt Tante Uschi (Andreas Kunze) ein Waisenhaus. Bis auf ein kleines
Mädchen sehen die Waisen alle ziemlich erwachsen aus, und sie mögen den
Doktor nicht, weil er einmal ihren Hamster zertreten hat. Es gibt eine
Filmpremiere im benachbarten Kino ("Ruck Ruck der Taubenmensch"), dann ist
Krieg, und nach 30 Jahren kommt Dr. H. zurück in seine kleine Straße, die auf
einmal ganz normal geworden ist, mit Spielsalon und Eisdiele, und der man
erst dann ansieht, welche behaglichen Vorzüge sie vorher hatte. Hasenbein
besucht seinen Sohn, der ist jetzt selber Arzt und hat keinen Platz für ihn,
und geht dann ins ehemalige Waisenhaus, das ein Altersheim geworden ist. Dort
spielt er mit seinen alten Freunden noch einen schönen herzerwärmenden Jazz,
während Tante Uschi unten steht und nicht rein darf, und dann ist der Film
aus.
Mein Redakteur hat mir maximal 4.800 Buchstaben genehmigt, jetzt bin ich
schon bei fast 5.000 und muß also langsam aufhören. Und sage abschließend:
manchmal, ganz selten, kommen Filme ohne Geschichte aus. Wie dieser, wegen
des Charmes und der Stimmung. Und vielleicht auch wegen Helge Schneider und
seiner Kollegen, die mich keine Minute gelangweilt haben. Mehr Spätwerk also,
und was der Redakteur sagt, ist mir ganz egal.
Jens Steinbrenner
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: