zur startseite
zum archiv
Preußisch
Gangstar
Notizen aus der bundesdeutschen Provinz, diesmal
Buckow. Man kann „Preußisch Gangstar“ durchaus als Ergänzung zu einem
Film wie „Karger“ (fd 38 238) begreifen, nur dass in diesem Fall der Alltag
jüngerer Protagonisten zum Thema gemacht wird. „Preußisch Gangstar“
erzählt aus dem Leben dreier Jugendlicher, die versuchen, ihren Platz im
Leben zu finden, wobei die schulische Laufbahn als Sozialisationsinstanz weitgehend
ausfällt. Die Eltern von Tino, Nico und Oli sind rational und freundlich,
können ihren Kindern aber irgendwie auch nicht wirklich weiterhelfen, wenn
der Hauptschulabschluss mal wieder auf der Kippe steht oder der Sachbearbeiter
die Hartz-IV-Bezüge sperrt, weil er kein aktives Bemühen bei der Jobsuche
erkennen kann.
Nico ist 23 Jahre alt, hat seine Ausbildung abgebrochen,
ist vorbestraft und träumt davon, mit seinen Skills als Rapper Anerkennung
zu finden. Seine wenig originelle Musik hätte allerdings gute Chancen,
bei Aggro Berlin veröffentlicht zu werden. Tino hat erhebliche Probleme,
seinen Hauptschulabschluss zu schaffen. Schon jetzt ist er wesentlich älter
als seine Klassenkameraden – und das Halbjahreszeugnis verheißt nichts
Gutes. Dass er nicht aufgibt, hat weniger mit seiner Einsicht in die Notwendigkeit
zu tun als vielmehr damit, dass er seine Mutter nicht enttäuschen möchte.
In seiner Freizeit fährt er gerne MotoCross, aber davon darf seine sich
sorgende Mutter besser nichts wissen. Oli hat eine Lehrstelle als Veranstaltungstechniker,
wird aber von seinem Arbeitgeber vorzüglich als Springer auf Veranstaltungen
eingesetzt, wo er dann halbnackt die Disco-Besucher bedienen muss. Oli träumt
davon, in einem stillgelegten Bunker einmal selbst einen Club zu eröffnen,
aber seine Freundin will weg aus Buckow.
Der Film zeichnet eine Momentaufnahme des Alltags
dieser Clique, dokumentiert ihre Langeweile und Aussichtslosigkeit, aber auch
die kleinen Sensationen und Glücksmomente. Ihr gemeinsames Hobby ist die
Musik. Die Filmemacher Irma-Kinga Stelmach und Bartosz Werner haben bei ihrem
Diplomfilm mit Laiendarstellern gearbeitet, was dem Film eine große Authentizität,
einen quasi dokumentarischen Charakter verleiht. Der Zuschauer ist nah dran
an den Jugendlichen, was nicht immer ein Vergnügen ist, wenn man sieht,
wie sich Nico, Tino und Oli immer wieder selbst Knüppel zwischen die Beine
werfen und teilweise auch recht borniert agieren. Die Jungs spielen ein wenig
„Gangstar“ in der brandenburgischen Provinz, versuchen, Geld einzutreiben, um
kleinere Drogendeals zu erledigen. Bei Nico schlägt die Frustration auch
schon mal in Aggression um.
Den Eltern und Großeltern bleiben die HipHop-Attitüden
der Jungs fremd; die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen ist teilweise
erschütternd. Die „Gangstar“ verstecken sich hinter ihren „angelesenen“
Images, stählen ihre Körper und feiern Parties, die in kompletter
Erschöpfung enden. Vielleicht ist angesichts der Trostlosigkeit des Dargestellten,
die durch die Authentizität noch verstärkt wird, den Filmemachern
selbst unbehaglich geworden. Wie anders ist es zu erklären, dass der Film
sich derart bemüht, den Jugendlichen Qualitäten und Fähigkeiten
zuzuweisen, die gewissermaßen jenseits der Erwachsenenwelt und ihren Normen
und Werten bestehen können? Dafür stehen Nicos Mikrofon-Fertigkeiten,
Tinos Sportlichkeit, nur zu Oli ist den Filmemachern nichts eingefallen, aber
dafür hat dieser eine recht konkrete Vorstellung von seiner Zukunft. Angesichts
der objektiven Trost- und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen wirkt diese forcierte
Suche nach dem Positiven etwas schematisch und sozialpädagogisch. Eine
Begabung beim Kickboxen ist ja ganz nett, aber ein Hauptschulabschluss ist auch
nicht zu verachten. Wobei bildungsbiografisch ein Hauptschulabschluss in dieser
Gesellschaft de facto ja längst wertlos ist. Nur in wenigen Momenten gelingt
dem Film ein Blick hinter die Panzerung der HipHop-Posen, dann sind Hilflosigkeit
und Leere mit Händen zu greifen.
„Preußisch Gangstar“ ist ein unangenehmer Film,
der bestens zunächst bestens zu anderen Meldungen aus Dunkeldeutschland
zu passen scheint, zu Geschichten wie „Der
Kick“ oder den Attacken auf Ausländer.
Guckt man etwas länger hin, merkt man, dass dieser Film genauso gut in
Mannheim, Köln oder Kiel spielen könnte. Wenn einer Gesellschaft die
Arbeit abhanden kommt, ist die Kombination von Perspektivlosigkeit und einer
extrem machistischen und aggressiven Jugendkultur wie Proll-HipHop eben eine
recht brisante Angelegenheit.
Ulrich
Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Preußisch
Gangstar
Deutschland 2007 - Regie: Irma-Kinga Stelmach, Bartosz Werner - Darsteller: Mario Knofe, Benjamin Succow, Robert Ohde, Aline Staskowiak, Anne Helm, Kristin Kramer, Ulrike Hübschmann, Lutz Blochberger - FSK: ab 12 - Länge: 88 min. - Start: 4.10.2007
zur startseite
zum archiv