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Princess
Überall Blut. Es spritzt
auf die Wände eines Fahrstuhls, bildet dunkelrote Pfützen auf einem
Büroteppich oder läuft als breiter Strom in einen Swimmingpool hinein,
trübt das klare Wasser so, dass man den Aquarell-Effekt fast wieder bewundern
möchte. „Princess" ist ein Film wie ein Bilderbuch, das seine Unschuld
verloren hat. Gewalt und Schönheit ringen miteinander, der Tod gewinnt.
Geradezu trotzig wirkt da die liebevolle Gestaltung der Zeichentrickhintergründe,
vor allem, wenn die Geschichte für Momente ins Irreale abdriftet: Träume
vom Vogelflug an nächtliche Gestade, ein Bettchen steht im Sand, in großen
Kinderaugen spiegeln sich die Sterne. Geborgenheit, die kurze Einschlafminuten
währt.
Ansonsten ist nichts und niemand heil in
dieser eiskalten Zeichentrickgeschichte, die der dänische Comiczeichner
Andreas Morgenthaler in seinem kompromisslosen Langfilmdebüt abrollt. Im
Mittelpunkt steht August, ein junger Geistlicher, der jahrelang als Missionar
im Ausland unterwegs war. Als er in seine großstädtische Heimat zurückkehrt,
erfährt er vom Tod seiner Schwester. Christina alias Princess war ein Pornostar,
Galionsfigur der Firma „Paradise Lust". In der Chefetage sitzt King Charlie,
Christinas Freund und Zuhälter. Scheinheilig hat er ihr eine königlich-kitschige
Grabstätte errichtet, die von riesigen Marmorphalli umstellt ist. Die Videos
und Hefte mit Princess sind noch immer ein Verkaufsrenner. Um sie zu vernichten,
muss August die halbe Stadt niederbrennen und mutiert bald zum Racheengel und
blutdurstigen Mörder. Einer, der auch gegen sich selber kämpft. Augusts
apokalyptische Wut wurzelt in Mitverantwortung für das Schicksal der Schwester.
Er hortet Pappkartons voller Videocassetten, in denen seine, Christinas und
Charlies gemeinsame Vergangenheit festgehalten ist. August war der Mann hinter
der Kamera, „Unbeteiligter" und doch auch Motor des Geschehens. Für
die Rückblenden in die Zeiten der chaotischen Dreier-WG benutzt Morgenthaler
reale, verrauschte Videoaufnahmen. Sie kommen wie eine Reverenz an „Dogma"
und den Regisseur Lars von Trier daher, dessen Firma Zentropa den Film produziert
hat.
Wer will, kann in „Princess"
gar eine düstere Anime-Fortschreibung von Lars von Triers „Idioten" sehen: Anarchie und sexuelle
Befreiung sind hier in die unerbittlichen Mühlen des Big Business geraten.
Entziehen kann sich dem Sog des Marktes und der Selbstanpreisung kaum einer.
Erschreckendstes Beispiel: Christinas fünfjährige Tochter Mia ist
auch schon Teil des Sexgeschäfts. „Charlie ist ganz ganz doll nett",
spricht das verstörte Kind zu August, der blaue Flecken überall an
ihrem Körper findet und den Mann aufspürt, der ihr das angetan hat.
Blutig ist Augusts Feldzug, selbstgerecht und auch sinnlos, weil alles nur noch
schlimmer wird. Einen pessimistischeren, traurigeren, auch einen blutigeren
Animationsfilm hat es wohl nie gegeben.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Princess
Dänemark 2006 - Regie: Anders Morgenthaler - Darsteller: Thure Lindhardt, Stine Fischer Christensen, Christian Tafdrup, Tommy Kenter, Søren Lenander, Margrethe Koytu, Jens Arentzen, Rasmus Bjerg, Rikke Hallund - FSK: ab 16 - Länge: 80 min. - Start: 27.3.2008
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