PRINZENBAD
Fad & falsch ist der Schluß des Films. Der falsche Nackte liegt da,
erstochen. Das falsche Paar verschmilzt im letzten Kuß, und das noch
auf der grünen Wiese, draußen, Tag, auf der anderen Donauseite und
fern von den Labyrinthen des Gellért-Bads. Ein böses Aufwachen, aber
jetzt weiß man es: im Budapester Thermalkomplex, innen, Nacht, war es
fast die volle Spielfilmlänge richtig gewesen und üppig und natürlich
auch warm und naß.
Das fahle Sonnenlicht der Schlußsequenz verhilft denn auch zur
zugegebenermaßen ziemlich trockenen Erkenntnis, daß man soeben einem
deutschen Film beigewohnt hat, der nichts von dem unangenehm
Deutschen, dem Sendungsbewußten, an sich hat. Niemand ist
verpflichtet, PRINZENBAD zu sehen. Keiner wird pädagogisch angeleitet,
sich pflichtschuldig in Betroffenheit zu üben. Auch muß niemand
befürchten, visuell geläutert werden zu müssen; kein Wenders weit und
breit, der bekanntlich die Bilder der Welt verbessern will, um die
Welt zu verbessern. Regisseur Richard Blank ist mit anderen Worten
kein typischer deutscher Spielfilmregisseur, und das ist eine solche
Seltenheit, daß man dies gleich als erstes wissen sollte.
Kaum zu glauben, daß eine Landesfilmförderung (Hamburg) einem Film
Geld gab, dessen Kamera (35 mm) achtzig Minuten lang Kacheln des
Gellért-Bads (Jugendstil) aufnimmt, im Vordergrund mehr oder minder
dicke Männerbäuche und mehr oder minder hängende Männerärsche.
Dazwischen treten relativ unpassend, nämlich elegant kostümiert, zwei
international ausgewogene Profi-Stars von Bühne und Film, nämlich
Ekaterina Strishenowa, 25, vom Anton-Tschechow-Theater in Moskau und
Elisabeth Schofield, USA, von der NBC-Serie „South Beach".
Die Handlung? Sie interessiert nur am Rande. Und da die Gattung Film
Bildermedium und das Bild eher ambivalent als narrativ ist, ist mir
ein Film wie PRINZENBAD sympathisch, wo es einfach falsch & fad wäre,
die Handlung zu referieren, obwohl es die selbstredend gibt, denn der
Bademeister, jenseits von gut und böse, nämlich Bernhard Wicki, 75,
trennt die Kampfhähne, nämlich den jungen Maler, Robert Alfödy (den
Shooting-Star der Budapester Theaterszene), vom eifersüchtigen Gatten
Michael Mrakitsch (der Respektsfigur des deutschen Dokumentarfilms:
SCHALOM, WIR HABEN NICHTS ZU VERLIEREN). Eine Wehrsportgruppe macht
sich im Thermalbecken lächerlich, ein Kokainhandel platzt, die Polizei
hat einen Undercoveragent plaziert, und Ulrich Wildgruber, jetzt auch
Titelheld der Berliner "Sybille", heizt kontaktfreudig, aber schlimm-sinnlich die Stimmung an. Ein Unternehmenschef treibt
Managerkandidaten in einen selbstmörderischen Tauch- und
Schwitzwettbewerb. Machozoten übelster Art werden ausgetauscht. Den
ausgewogenen Frauen aus Ost und West wird brutale Gewalt angetan,
erbarmungslos werden sie mit Wasser bespritzt, immer und immer wieder,
bis Thermalnestor Wicki zum wiederholten Male zum Dampfschlauch greift
und die wüste Szene erfolgreich vernebelt. Daß hierfür kein Dialog
gebraucht wird, ist über die Maßen praktisch, weil es dem Filmton eh
ein wenig schwerfällt, den Text verständlich auf die Spur zu bringen.
Was sofort einzusehen und leichtverständlich ist (weil es ohne
Prätention daherkommt), ist die optische Struktur des Films. Damit
meine ich nicht (nur) das Abbild von dem vielleicht schönsten
Jugendstilbad Europas, in welchem die Kamera so eindrucksvoll
herumfährt: Die dem Film eigene Bildchoreographie produziert eigene
Rituale, eine Schnittfolge lüsterner Köpfe, ein Schmerbauchballett,
eine Fahrt über enggepreßte Leiber. Das setzt manische Akzente und
beschwört die Genien des Ortes. Mit anderen Worten: das historische
Gellért-Bad dient nicht als Staffage für die diversen heterogenen
Stars. Es verliert seine Definition als Drehort. Praktischerweise
können die Stars heterogen bleiben, und die kleinen Mängel der
Inszenierung ebenso wie die großen der Selbstdarstellung werden ebenso
sympathisch wie die kleinen und großen Mängel der Wasserleitungen.
Immer wieder greift Chefbademeister Wicki zum großen Hammer und
befördert durch wohlplazierte Schläge den Röhrenfluß.
Die Genien des Ortes sind anarchisch. Vor tausend Jahren hatten die
ortsansässigen Helden den venezianischen Abt Gellért in die Donau
geworfen. Was er wider fromme Absicht bewirkt hatte, war die Einsicht,
„daß zwischen den Bädern und der Wollust eine enge Beziehung besteht" (Louis Aragon).
Dietrich Kuhlbrodt
Diese Kritik ist zuerst erschienen in:
PRINZENBAD
BRD/Ungarn 1993. R, B: Richard Blank. P: K.W. Schmidt, Lajos Ovari.
K: Horst Schier. Sch: Zsuzsa Csakany. M: Loek Dikker. T: Gabor
Erdelyi. A: Peter E. Schmid. Pg: Granit Film. V: Zorro. L: 85 Min. St:
21.7.1994. D: Bernhard Wicki (Dany), Ulrich Wildgruber (Gomorra),
Robert Alföldy (Mathias), Ekaterina Strisenowa (Lisa), Michael
Mrakitsch (Hans Ossenberg), Sándor Szabó (Schlee), Gabor Reviczky
(Werner), Martin Abram (Harald), Nicolas Lansky (Albano).