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Private
Wenn das Private
politisch wird...
In der Scheu, sich dem kategorischen Antisemitismus-Vorwurf
auszusetzen, liegt es vermutlich begründet, dass nur wenige Filmemacher
den Israel-Palästina-Konflikt als Ausgangspunkt einer politischen Geschichte
verwenden. Steven Spielberg als prominentester Filmemacher hat sich mit seinem
umstrittenen „München“ getraut, mit großer Geste Genrekino zu machen,
das als cineastische Aufklärung gesehen werden muss: Die israelische Vergeltungspolitik
als staatlichen Terror zu entlarven, ist mutig. Besonders für einen amerikanischen
Juden.
Dass dies auch mit kleiner Geste gelingen kann, zeigt
uns der Italiener Saverio Costanzo, in seinem mit zwei Goldenen Leoparden ausgezeichneten
Debüt „Private“. Hier jagt die israelische Einheit nicht effektvoll durch
die ganze Welt, sondern besetzt schlicht das in der Einöde angesiedelte
Wohnhaus der palästinensischen Familie von Mohammed. Nun ist sie gezwungen,
Wand an Wand mit ihren Feinden zu leben, die von nun an ihren Alltag kontrollieren,
den Costanzo mit bestechender Genauigkeit und fernab aller Klischees über
Muslime dokumentiert. Wer so gründlich durchleuchtet, dem sei dabei die
Gleichgültigkeit gegenüber perfekten Kadragen und prätentiöser
Beleuchtung verziehen.
Was sie machen werden, wenn die Israelis wieder ihr
Tomatenhäuschen zerstören, fragt einer der Söhne, den der passive
Widerstand seines Vaters befremdet. „Wir bauen es so lange immer wieder auf
bis sie die Schnauze voll haben!“ Dies ist dem Jungen, der die permanente Demütigung
und Überwachung nicht akzeptieren möchte, zu wenig, und so platziert
er eines Tages eine Handgranate in dem Häuschen. Auch die Tochter widersetzt
sich der Anordnung des Vaters, nicht in das obere Stockwerk zu gehen. Immer
wieder versteckt sie sich dort in einem Schrank, um an ein Gewehr der Soldaten
zu kommen. Minutenlang übernehmen wir ihre Perspektive. Durch einen Spalt
des Schrankes beobachten wir die Soldaten, die hier ihre Maske des stereotypischen
Besatzersoldaten fallen lassen, zu Menschen werden. Rumalbern, sich langweilen.
Die Hartnäckigkeit dieser Einstellung beweist
den großartigen filmischen Einfall: Bei aller gewollter Neutralität
und Objektivität des Erzählers kann auch er lediglich einen Ausschnitt
dieses Krieges zeigen. Bei aller Beschränktheit der Mittel gelingt es dem
Autor und Regisseur Costanzo anhand dieses Kunstgriffes die Soldaten aus ihrer
Schablone des Bösen zu schälen, um sie von einer anderen, einer menschlichen
Seite zu zeigen. Die Idee der Kamera (einen reduzierten Ausschnitt zu zeigen)
übersetzt dabei gekonnt die Idee des Filmvorhabens, die darin besteht,
den komplexen Israel-Palästina-Konflikt exemplarisch in ein Haus, teilweise
sogar in ein Wohnzimmer, zu verlagern, worin das ganze Spektrum des Widerstands
ausgelotet, Möglichkeiten durchgespielt, probiert und wieder verworfen
werden.
All das geschieht ohne ein schwülstiges Orchester,
das uns Gefühle einreden würde, wo keine sind. Wenn bei einer nächtlichen
Schießerei vor der Tür der älteste Sohn im Feuergefecht steht,
ist es vielleicht eine Frage des geringen Budgets, dass wir der Dunkelheit ausgesetzt
sind und den nächtlichen Angriff nur dem Ton entnehmen können. Vielleicht
aber auch eine Frage des Geschmacks und der Stilsicherheit dieses klugen Filmemachers,
der selbst auf Tote verzichtet. Obschon es genug Anlass dafür gegeben hätte.
Doch das Ende, das zunächst mit dem Abzug der israelischen Einheit den
dramaturgischen Bogen schließen wollte, spielt der Dramaturgie einen bösen
Streich. Nicht einer erzählerischen Innovation, nicht um eines herkömmlichen
kiss off
Willen, sondern um auf die erschreckende Realität hinzuweisen, von der
sich der Film schließlich ernährt: Kaum von dem Schock der Besatzung
erholt, platzt die nächste Militäreinheit ins Wohnzimmer, um das Haus
erneut und in ähnlicher Manier zu besetzen. Ein Jahrzehnte langer staatlicher
Terror, der nicht enden will. Der sich sogar weiter zuspitzen würde, wenn
man ihn weiter denkt, als der Meister des Weglassens, des Andeutens, Costanzo,
ihn zeigt: Im letzten Bild gehen zwei israelische Soldaten auf das Treibhaus
zu, in dem der Junge die Granate platziert hatte.
So ist „Private“ nicht nur ein mutiger Film, über
das Private, das politisch geworden ist und das Politische, das privat geworden
ist, sondern vor allem ist er der gelungene Versuch, uns vor unseren eigenen
Bilder zu schützen, die wir durch die Wiederholung der immergleichen Ausschnitte
der Auslandsberichterstattung für die Wahrheit halten. Dabei ist sie die
halbe Wahrheit. Und eine halbe Wahrheit ist nun mal keine ganze Wahrheit.
Malte-Yücel Can
Private
Italien
2003 - Regie: Saverio Costanzo - Darsteller: Mohammed Bakri, Lior Miller, Tomer
Russo, Arin Omary, Hend Ayoub, Karem Emad Hassan Aly, Marco Alasaying, Sarah
Hamzeh, Niv Shafir, Sahar Lachmy - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge:
90 min. - Start: 18.5.2006
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