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Proteus
"Proteus" erzählt Geschichte als Vorgeschichte.
Oder eher: Vorgeschichten, im Plural, denn schon im Titel kommen mehrere Fäden
und Motive des Films zusammen. "Proteus" ist der lateinische Name
der südafrikanischen Nationalpflanze, die linneische Klassifizierung wird
Teil der Narration des Films. Er spielt auf Robben Island, in den Jahren 1725-1735
und stützt sich auf Gerichtsakten, die der Filmemacher Jack Lewis in den
Archiven von Kapstadt gefunden hat. Der Prozess, der den Film rahmt, wird einem
schwulen Liebespaar gemacht, dem schwarzen Claas Blank (aus dem Stamm der Khoi)
und dem holländischen Matrosen Rijkaarts Jakobsz.
Gespiegelt wird die Beziehung der beiden in der Figur
des britischen Botanikers auf Linneus' Spuren Virgil Niven, der als Instanz
der Klassifikation auftritt und Claas Blank, den zu begehren er nie offen eingesteht,
als Hottentotten zwischen Mensch und Affen einordnet. Jedenfalls steht das so
im Buch, das Niven mit sich trägt, an dem er, abgrenzend, Namen gebend,
aufzeichnend, forschend, Claas Blank als Eingeborenen befragend, weiter schreibt.
Niven steht als schwuler Klassifikator freilich selbst zwischen den Fronten,
auf höchst prekärem Posten - sein Auftreten im Prozess wird das ebenso
schlagend verdeutlichen wie die Tatsache, dass sein eigener Beitrag zur Botanik
in der Buchveröffentlichung gelöscht werden wird. Linneus, unter dessen
Namen das Buch erscheinen wird, hat die Unterarten der "Proteus"-Pflanze
umbenannt. Auch Claas Blank, auf dessen Namen Niven eine der schönsten
taufte, ist aus der Klassifikation gestrichen, Blank tritt nur noch auf im Porträt
zu Beginn des Buchs als Emblem eines Schwarzen, zum Mythos rückideologisiert.
Es geht also um mehrfache Grenzüberschreitungen:
die Liebe zwischen zwei Männern, einer schwarz, einer weiß, die Kreuzung
biologischer und sozialer Linien, die allerdings - dies eines der Rätsel,
die die historischen Akten aufgeben - zehn Jahre lang im Lager geduldet worden
ist. Der Film, ein gemeinsames Projekt des kanadischen Videokünstlers John
Greyson und des südafrikanischen Dokumentarspezialisten Jack Lewis, zeichnet
geduldig, ohne Sentimentalität und mit schönem Sinn für beiläufige
Anachronismen die Geschichte einer Liebe nach, konstelliert sie in eine Umwelt
aus als Natur verkleideten ideologischen Kräften und fällt vom Grat
zwischen Exemplarischem und Individuellem kaum ein einziges Mal.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Proteus
Südafrika
/ Kanada 2003 - Regie: John Greyson - Darsteller: Rouxnet Brown, Shaun Smyth,
Neil Sandilands, Kristen Thomson, Tessa Jubber, Terry Norton, Adrienne Pierce,
Grant Swanby, brett Goldin - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 100 min. - Start:
27.10.2005
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